Wir gegen die Gewalt statt ‚Ich gegen Dich‘
Statistisch gesehen wird in Deutschland jede Stunde eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner körperlich schwer verletzt. Unter diesem Punkt waren Medien zuletzt überschwemmt mit Beiträgen. Es geht um Demonstrationen in Frankreich, Italien und Spanien. Immer wieder wird auch über Gewalttaten wie die kürzlich bekannt gewordene Gruppenvergewaltigung in Indien berichtet, bei der die Männer ihr Opfer anschließend töteten und in Brand steckten. Manchmal werden solche Taten in der Berichterstattung mit Floskeln wie „Familiendrama eskaliert“ oder „Beziehungstat“ in einen verharmlosenden Kontext gesetzt. Die Femizide, so wird Mord an Frauen aufgrund ihres Geschlechts genannt, beliefen sich in Deutschland im Jahr 2017 auf über 500 versuchte und über 300 durchgeführte Tötungen. Neben Femiziden werden auch andere körperliche, psychische und sexuelle Handlungen gegenüber Frauen zur Gewalt gezählt. Ebenfalls fallen Schikane und das Verwehren eines beruflichen Aufstiegs in diese Kategorie. Feministische Gruppen und Die Linke fordern nun, den Femizid als Straftatbestand ins Gesetzbuch aufzunehmen. Damit will man zeigen, dass dieses Problem ernst genommen und ihm entgegengewirkt wird.
All diese Aktionen finden durchaus ihre Berechtigung. Aber stellt die Differenzierung eines Femizids nicht eigentlich das Problem dar? Es scheint, als würden Männer in die Rolle unberechenbarer Gewalttäter gedrängt. Die Frau dagegen scheint ihrem Klischee als „schwaches Geschlecht“ gerecht zu werden. Das kommt heraus, wenn geschlechtliche Sonderstraftatbestände entstehen. Die Tötung an Frauen aufgrund ihres Geschlechtes ist ein Problem! Sexismus darf keinen Platz finden. Aber wie sexistisch ist es, Frauen zu unterstellen, sie hätten generell mehr Schutz nötig als Männer? Und wie unfair, keinen, nennen wir es mal Maskulinozid, als Straftat zu definieren? Sind Männer nicht viel öfter Opfer?
Ich weigere mich zu glauben, dass es in irgendeiner Art bestimmt wäre, dass ein Geschlecht vor dem anderen in einem höheren Maße des Schutzes bedarf. Warum wird Gewalt gespalten, als wäre die eine Form schlimmer als eine andere? Gewalt selbst ist das Problem und deren niedrige Hemmschwelle. Gewalt muss in Kitas, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen thematisiert werden. Gegen die Banalisierung von Gewalt; und zwar gegen jede sollte man auf die Straße gehen.
Wir leben in Zeiten, in denen Gleichberechtigung ein riesiges Thema ist. Wir müssen aber nicht über die Gleichwertigkeit von geschlechtlichen Definitionen reden, wenn wir am Ende genau dort wieder zu differenzieren beginnen. Ohne Frage ist Gewalt gegen Frauen ein Problem, das angegangen und dem entschieden entgegengetreten werden muss. Aber man verliere dabei nicht aus den Augen, dass dies nur eine Sparte des Gesamtproblems ist. Seine Ursachen und tragenden Säulen müssen bekämpft und eingerissen werden. Solange es möglich ist, dass Menschen mit Einsatz von Gewalt ihren persönlichen Zielen näherkommen können, senden wir die falschen Signale. Gewalt hat so viele Facetten. Die Grobheit von Erziehern und Eltern gegenüber Kindern, der maßlose Einsatz von Reizgas und Wasserwerfern gegenüber friedlichen Demonstranten, die aggressive Behinderung von Rettungskräften an Einsatzorten, verbale Gewalt in alltäglichen Situationen und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – nicht nur in der Filmbranche. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Es ist ein Gewinn, dass sich nach Jahren der Unterdrückung endlich viele Tausend Frauen trauen, mit ihrem Anliegen auf die Straße zu gehen, nicht mehr zu schweigen. Aber wir müssen aufhören, so zu tun, als wäre das Problem damit gelöst, dass Frauen mit bemalten Gesichtern und Schildern mit aufgeklebten Slips auf die Straße gehen. Besorgniserregend sind die fehlende Ernsthaftigkeit und Anteilnahme. Vielleicht würden sich noch mehr Menschen beteiligen, wenn der Blick auf das Problem Gewalt nicht mit Scheuklappen versehen werden würde. Swantje Langwisch