Widersprüche der deutschen Klimapolitik

Hohe Subventionen für grüne Energien und hohe Strompreise: Und dennoch sinken die CO2-Emissionen kaum. Deutschlands Energiewende ist teuer – und klimapolitisch eher wirkungslos.

Als Weltmeister sind wir entthront, aber seit Kurzem sind wir immerhin Europameister. Nur leider nicht im Fußball, sondern beim Strompreis. Da haben wir die bisher führenden Dänen jetzt auch noch abgehängt, der deutsche Strompreis liegt um etwa die Hälfte über dem EU-Durchschnitt.

Deutsche Klimapolitiker werden das mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen und als Beleg dafür werten, dass unsere nun mal sehr ambitionierte Klimapolitik eben ihren Preis hat. Gerade erst wurde wieder verkündet, dass die Erneuerbaren Energien jetzt zusammen über ein Drittel der Stromerzeugung leisten. Auch die Umweltministerin findet, dass wir bei den Erneuerbaren schon viel erreicht haben. Schade nur, dass die CO2-Emissionen – um die es ja schließlich geht – nicht so recht sinken wollen. Zwischen 2005 und 2016 sind sie bei den energiebedingten Emissionen gerade mal um 7,2 Prozent zurückgegangen. Angesichts von etwa 25 Milliarden Euro, die der Ausbau der Erneuerbaren zuletzt jährlich allein über die Umlage des Erneuerbaren Energiengesetzes (EEG) gekostet hat, ein äußerst mageres Ergebnis.

Deutschland kommt allen Erfolgsmeldungen zum Trotz bei der CO2-Reduktion kaum voran. Dabei sind die 25 Milliarden Euro EEG-Umlage und die hohen Strompreise ja nur ein Teil der enormen Lasten, die wir auf uns nehmen, um im Alleingang das Klima zu retten. Mittlerweile gibt es mehr als tausend Bürgerinitiativen, die sich gegen die Zerstörung der Landschaft durch Windräder zu wehren versuchen – meist ohne Erfolg. Erreicht haben wir mit all den Anstrengungen zur Energiewende, dass der Anteil von Wind- und Solarenergie am Primärenergieverbrauch der Bundesrepublik nach den Daten für 2016 gerade mal 3,1 Prozent betrug. Gigantischer Aufwand, lächerlich geringe Erträge – das ist die Realität deutscher Klimapolitik.

Richtig schlimm wird die Sache aber dadurch, dass selbst die kleinen Erfolge, die scheinbar erzielt werden, komplett verschwinden, sobald wir die deutsche Perspektive aufgeben und die Sache aus der Sicht Europas betrachten. In der EU gibt es den Emissionshandel und der sorgt dafür, dass die Alleingänge Deutschlands in der Klimapolitik hinsichtlich der CO2-Emissionen vollständig wirkungslos bleiben. Wird in Deutschland CO2 durch Windkraft eingespart, brauchen die fossil betriebenen Kraftwerke weniger Emissionsrechte. Die Rechte, die überzählig sind, werden verkauft und die in Deutschland eingesparte CO2-Emission findet früher oder später beim Käufer statt – eben in anderen Ländern. Deutsche Klimapolitiker ignorieren diesen Effekt, seitdem es den Emissionshandel gibt – also seit immerhin 13 Jahren.

Nur im Notfall geben sie zu, dass man mit dem EEG tatsächlich keine Emissionseinsparung hinbekommt, die über die hinausgeht, die im Zuge des Emissionshandels durch die Begrenzung der Emissionsmenge ohnehin sichergestellt ist. In diesem Fall flüchtet man gern in die Behauptung, dass diese Begrenzung nur deshalb möglich sei, weil es in Deutschland so viele Windräder und Solardächer gibt. Angesichts der mickrigen Einsparungen, die in Deutschland seit 2005 (da wurde der Emissionshandel eingeführt), erreicht wurden, hat sich dieses Argument allerdings inzwischen endgültig erledigt. Es war sowieso nie überzeugend, weil der Eingriff, den Deutschland mit dem EEG in den Emissionshandel vornimmt, zur Folge hat, dass das Ziel einer kosteneffizienten CO2-Einsparung, das grundsätzlich mit dem Emissionshandel erreicht werden kann, verfehlt wird.

Der deutsche Weg der CO2-Reduktion – ein weitgehend planwirtschaftlicher, subventionsgetriebener – wird nach Schätzung der Technikakademie Acatech je nach Höhe des Reduktionsziels über die Jahre bis 2050 „im Bereich von 1.000 bis 2.000 Milliarden Euro“ kosten. Das ist eine sagenhaft hohe Summe.

Die Kosten der Emissionsreduktion haben in der deutschen Klimapolitik aber nie eine wichtige Rolle gespielt. Dabei ist die Forderung, kosteneffiziente Politik zu machen, im Kern eine sehr „grüne“ Forderung. Sie bedeutet, dass mit den Ressourcen, die für den Klimaschutz eingesetzt werden, möglichst viel CO2 einzusparen ist, weil die kostengünstigsten Vermeidungstechnologien eingesetzt werden. Die Notwendigkeit, Klimapolitik kosteneffizient zu betreiben, wird in Deutschland genauso ignoriert, wie die Tatsache, dass sich deutsche Klimapolitik im Kontext der EU abspielt und es deshalb auf die europäischen Emissionsziele ankommt und nicht die deutschen. Was nützen CO2-Einsparungen in Deutschland, wenn diese beispielsweise in Polen zu höheren Emissionen führen?

So erfolglos die deutsche Politik ist, so sehr kann sich sehen lassen, was die EU mit dem Emissionshandel erreicht hat. Das mit diesem Instrument verbundene Ziel besteht darin, bis 2030 gegenüber 1990 kosteneffizient 40 Prozent weniger CO2 im Emissionshandelssektor auszustoßen. Und dieses Ziel wird erreicht werden. Bis 2017 sind schon 25 Prozent eingespart. Die Emissionen sind sogar stärker gesunken, als es durch die Festlegung der Obergrenze (den Cap) und deren planmäßige Absenkung vorgegeben war. Im Emissionshandel wurde der Plan übererfüllt und das zu sehr geringen Kosten. Die Gründe dafür lassen sich nicht genau benennen, weil die EU leider keinen Zugriff auf die unternehmensbezogenen Daten erlaubt. Aber es dürfte ganz sicher eine wichtige Rolle spielen, dass Vermeidungsmaßnahmen in Unternehmen nicht graduell, sondern sprunghaft erfolgen. Stellt beispielsweise ein Unternehmen eine Großfeuerungsanlage von Schweröl auf Gas um, führt das zu einer sprunghaften CO2-Reduktion. In Erwartung zukünftig steigender CO2-Preise haben sehr viele Unternehmen solche Maßnahmen eingeleitet und haben in der Summe dabei mehr CO2 eingespart als sie hätten müssen. Da der Cap, die Obergrenze für Emissionen, weiter abgesenkt wird (ab 2020 mit einer höheren Rate), ist zu erwarten, dass die Emissionsrechte, die gegenwärtig quasi angespart werden, später benutzt werden, sodass die Emissionsmengen dann für gewisse Zeit über dem Cap liegen werden. Langfristig betrachtet werden sie aber dem Verlauf des Cap folgen – und nicht der deutschen Klimapolitik.

Das alles ist längst auch empirisch nachgewiesen. Die Arbeiten von Christian Egenhofer und anderen, ein Spezialreport des Centre for European Policy Studies, und die Arbeit von Raphael Calel und Antoine Dechezleprêtre in der „Review of Economics and Statistics“ haben gezeigt, dass sich Emissionsvermeidungen kausal auf den Emissionshandel zurückführen lassen und dass dieser Handel zu verstärkten Forschungsanstrengungen mit dem Ziel der kosteneffizienten CO2-Reduktion führt.

Um endlich vorzeigbare Erfolge bei der CO2-Einsparung vorweisen zu können, plant die Bundesregierung den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Auch das wird die europäischen Emissionsmengen genauso wenig verändern wie Hunderte Windkraftanlagen im Odenwald oder anderswo. Zumal wir nach dem Atom- und dem Kohleausstieg Atomstrom und Kohlestrom in erheblichem Umfang werden importieren müssen. Deutsche Politiker sind mehrheitlich überzeugte Europäer. Aber deutsche Klimapolitiker denken offenbar wie Nationa-listen. Über die Grenzen Deutschlands hinauszudenken ist nicht ihre Sache. Das ist der vielleicht größte Widerspruch in der deutschen Klimapolitik. Joachim Weimann (Der Beitrag erschien am 23. Juli 2018 in der F.A.Z.; Nachdruck mit Genehmigung des Verlages)


Prof. Dr. Joachim Weimann; geboren am 14.02.1956 in Düsseldorf; 1976-1981 Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld; 1987 Promoviert und 1992 habilitiert an der Universität Dortmund am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft von Prof. Dr. Wolfram Richter; 1992 Ruf an die Ruhr-Universität-Bochum; Seit 1994 Inhaber des Lehrstuhls VWL III an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

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