Wer hat dich, du deutscher Wald?

Joseph von Eichendorff hat gedichtet „Wer hat dich, du schöner Wald“. Aber hier geht es um das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Wald. Darinnen wohne die deutsche Seele, heißt es. Es geht schon damit los, dass die Römer die germanischen Regionen erobern wollten, aber angesichts der Urwälder scheiterten. Der Wald als Verbündeter der Germanen! „Die Bäume sind so gewaltig, dass die Legionäre unter ihren Wurzeln hindurch reiten konnten“, schrieb Tacitus in seiner „Germania“. Heinrich Heine bespöttelte den Mythos vom „Deutschen Wald“ so: „Das ist der Teutoburger Wald, Den Tacitus beschrieben, Das ist der klassische Morast, Wo Varus steckengeblieben. Hier schlug ihn der Cheruskerfürst, Der Hermann, der edle Recke…“. Zwar haben einige skandinavische Länder viel mehr Waldfläche als wir, aber was die emotionale Verbundenheit betrifft, kann es keine andere Nation mit uns aufnehmen. Der Wald spielt in unserer Kulturgeschichte eine große Rolle. Wer würde sich der Faszination entziehen können, die von romantischen Waldbildern etwa von Caspar David Friedrich ausgeht? Die Leinwandflächen, die mit dem Kitsch der röhrenden Hirsche bedeckt sind, lassen sich am ehesten in Hektardimensionen bemessen. Wir erinnern uns des Schauderns, das uns ergriff, wenn wir als Kinder davon hörten, dass sich Hänsel und Gretel im Wald verliefen und dass dem armen Schneewittchen das Schicksal zugedacht war, im finsteren Walde von wilden Tieren gerissen zu werden. Die Musikwelt ist voller Jägerromantik. Der Freischütz gilt als die deutsche Nationaloper und egal ob man Volkslieder oder Kunstlieder betrachtet, der Jäger ist allgegenwärtig.

Der Wald ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Er bedeckt mit 11,4 Millionen Hektar 32 Prozent der Fläche Deutschlands. Rechnet man Arbeitsplätze im Forst mit jenen der holzverarbeitenden Industrie zusammen, waren 2013 im „Cluster Forst“ bei einem Umsatz von 177 Milliarden Euro rund 1,1 Millionen Menschen beschäftigt. Der Forstwirtschaft verdanken wir auch den Begriff „Nachhaltigkeit“. Er bedeutet, dass man nur so viel Holz ernten darf, wie nachwächst. Sinngemäß kann man ihn in allen Lebensbereichen anwenden.

Wald als Hoheitsgebiet der Ideologen
Die ideologische Aufladung des Waldes ging von den Nazis aus. Für sie gehörten der deutsche Wald und das deutsche Volk zusammen. Natürlich ging es auch um Ausgrenzung: Juden, hieß es, seien ein Steppenvolk und nicht fähig, die deutsche Waldkultur zu verstehen. Dabei hat das Thema Wald niemand gekonnter verarbeitet als die als Juden geschmähten Genies Heinrich Heine (Harzreise) und Felix Mendelssohn-Bartholdy (Lieder im Freien zu singen). Heute ist die Ideologisierung von Waldthemen meist nicht böse gemeint, aber manchmal doch. Jäger, früher ein angesehener Stand, können eh nur alles falsch machen. Schießen sie Wild, sind sie brutale Tiermörder, erlegen sie zu wenig, sind sie unfähig, die Bäume vor Tierverbiss zu schützen. Ein von mir eigentlich geschätzter Schriftsteller verglich kürzlich die Hochsitze der Jäger mit KZ-Wachtürmen. Da müssen dann auch die PETA-Aktivisten (People for the Ethical Treatment of Animals, abgekürzt PETA) keine Skrupel haben, deren Leitern anzusägen, um Unfälle herbeizuführen.

Hoch ideologisiert und emotional aufgeladen ist das Thema Wolf. Der deutsche Wald und der Wolf werden zusammengedacht. Dieses Raubtier erlebt bei uns eine quasireligiöse Heiligsprechung und stellt diesbezüglich sogar die indischen Kühe in den Schatten. Selbst die explosionsartige Vermehrung darf der Mensch nicht regulieren. In der Region Hannover gibt es gar einen Krankenwagen, mit dem man seine Heiligkeit, den Isegrim, flugs in die Tierklink bringen kann, sollte er einmal von einem Auto angefahren werden. Der erlösende Gnadenschuss ist streng verboten! Der Wolf würde gebraucht, um die Natur wieder ins Gleichgewicht zu bringen, denn die Jägerschaft sei nur auf Trophäen aus und zu faul, die Wildbestände zur regulieren. So schädigten zu hohe Bestände von Schalenwild die Wälder, lautet das Narrativ. Ursprünglich hofften auch die Jäger, dass der Wolf dabei helfe, den Schwarzwildbestand zu mindern. „Doch das Gegenteil ist der Fall“, berichtet der Chef des Kreisjagdverbandes Bautzen. Die Wildschweine leben jetzt in größeren Verbänden und wehren sich wirksam gegen den Wolf. Auch für die Jäger wird es immer schwerer, Schwarzwild zu schießen. Verängstigt versteckt es sich in Maisfeldern, die es dank grüner Energiepolitik im Überfluss gibt. In seinen Hauptverbreitungsgebieten hat der Wolf das Mufflonwild und freilebendes Damwild praktisch ausgerottet. Hier stellen die ersten Jäger das Jagen ein, denn der Wolf hat dort die Wildbestände derart dezimiert, dass die Erlöse aus der Strecke kaum noch die Kosten für die Pacht, Versicherungen usw. decken. Aber nicht nur Jäger geben auf, sondern auch Schäfer. Schafhaltung ist in Deutschland ohnehin ein schwieriges Geschäft. Wenn Schafsrisse an der Tagesordnung sind, die Schäfer aber die Schäden bestenfalls nach nervenaufreibender Bürokratie und dann oft nur teilweise ersetzt bekommen, stirbt die Schäferei aus. Auch Kälber und Jungrinder fallen den Wölfen zum Opfer. So findet Tierhaltung schon jetzt und in der Zukunft kaum noch im Weidebetrieb, sondern in Ställen statt. Anstatt Insekten mit Kuhfladen und Schafskötteln zu versorgen und mittelbar auch die Vogelernährung zu sichern, wird Gülle produziert. So verkehrt sich die Idee, mit dem Schutz der Wölfe einen Beitrag für die Umwelt zu leisten, ins Gegenteil. Und dass es klug sei, auf Fleisch aus artgerechter Produktion der Wild- und Weidewirtschaft zu verzichten, glauben sowieso nur „eingefleischte Veganer“.

Apokalypse Waldsterben
Da die „Deutsche Seele“ im „Deutschen Wald“ zu wohnen scheint, kann sich jeder vorstellen, welche Panik ausgebrochen ist, als man in den 1980er Jahren ein großes „Waldsterben“ ankündigte. Tatsächlich gingen in den Gebirgen Tannen und Fichten ein. Zu Recht hatte man Schwefeldioxidemissionen aus Kohlekraftwerken als Ursache ausgemacht, aber das Phänomen ließ sich auch als Kampfmittel gegen das Auto instrumentalisieren. Die Ankündigung des Sterbens unserer Wälder machte die Partei der Grünen stark. Sie gerierten sich als Waldschützer und Autogegner. Nachdem man Kraftwerke modernisiert bzw. stillgelegt hatte, löste sich das Problem auf. Heute ist der Wald so gesund wie nie zuvor, aber das Wort „Waldsterben“ hat Einzug in viele Sprachen gehalten. Zur Bekämpfung des Autos haben die Grünen und ihre assoziierten Organisationen inzwischen andere Instrumente gefunden. Es sind die Feinstaub- und Stickoxidgrenzwerte, die allerdings laut Einschätzung führender Wissenschaftler weit unterhalb der Gefährdungsschwelle liegen. Übrigens, wer im Sommer durch einen Kiefernwald wandert, atmet Luft, deren Feinstaubgehalt weit über den Grenzwerten in den Städten liegt. Positives Überbleibsel aus der Apokalypse-Diskussion ist die Erkenntnis, dass man den Wald umgestalten muss: Weg von Fichten- und Kiefernmonokulturen hin zu artenreichen Mischwäldern, die Schädlingsinvasionen, Stürmen und Regenmangel besser standhalten. Gerechtfertigt ist es durchaus auch, dass man einen kleinen Teil der Wälder einer Verwilderung zu Urwäldern preisgibt. Ob es ökonomisch und ökologisch zu verantworten ist, Millionen von Festmetern Holz einfach verrotten zu lassen und diesen Verlust dann durch Importe aus tropischen Urwäldern auszugleichen, ist allerdings fragwürdig.

Verteidigungskriege der Guten
Zwischen Gut und Böse ist ziemlich leicht zu unterscheiden. Als die Guten gelten jene, die den Wald gegen Abholzen verteidigen und Autobahnbau verhindern oder ihn wenigstens verzögern und somit exorbitant verteuern. Aber kahle Flächen, Trockenrasenhänge, durchsetzt mit Flächen von Schotter, Kies und nackten Felsen sind ökologisch oft wertvoller als dichte Wälder. Die hohe Artenvielfalt an Insekten wie Schmetterlingen und Wildbienen sowie von bedrohten Vögeln, die man an den Böschungen der Autobahnen antrifft, verhöhnen mit ihrer bloßen Anwesenheit die Aktivisten vom NABU und BUND, die im zähen Kampf jeden Hektar Wald verteidigen. Eine Vielfalt von Vögeln mit hohem Schutzstatus gibt es auch auf Flughäfen. Dort brütende Lerchen und Brachvögel nur wenige Meter neben den Betonpis-ten. Wir erinnern uns: Als der Frankfurter Flughafen durch die Startbahn West erweitert wurde, fiel dem Vorhaben ein Waldstück zum Opfer. Es gab Massendemonstrationen, die für die damals noch junge Partei der Grünen identitätsstiftend werden sollten. Es ging militant zu. Zwei Polizisten wurden erschossen, sieben schwer verletzt. Inzwischen haben sich die Grünen mit den Flughäfen arrangiert. Obwohl sie das Flugzeug als das klimaschädlichste Verkehrsmittel anprangern, fliegen sie und ihre Wähler nach den Ergebnissen einer Studie von der Forschungsgruppe Wahlen am häufigsten. Auch Claudia Roth, stolz darauf, an der Startbahn West mit dabei gewesen zu sein, fliegt regelmäßig in die Türkei. Womöglich startet sie von dort, wo sie verbissen protestiert hat.

Um Wald, Klima und einen „Krieg der Guten“ geht es auch im Hambacher Forst. Hier soll ein Waldstück gerodet werden, diesmal um einem Braunkohlentagebau Platz zu machen. Die Empörung ist deutschlandweit grenzenlos. Bisher sind die Aktionen der Aktivisten noch weniger gefährlich als an der Startbahn West. Sie bewerfen die Polizei „nur“ mit Kot und Urinbeuteln. Wieder solidarisieren sich Prominente, auch solche, die 1989 zur Erlangung eines Rechtsstaates auf die Straße gegangen sind! Rätselhaft auch, dass, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, nur wenige Kilometer vom Hambacher Forst entfernt im Aachener Münsterwald Energiekonzerne, diesmal mit der Unterstützung der vermeintlichen Umweltschützer*innen, große Waldflächen roden, um dort Windkraftanlagen zu errichten. Nun wäre die Umwidmung von Waldflächen in ökologisch wertvolles Brachland nicht unbedingt zu beanstanden. Aber wer darauf Windkraftanlagen baut, verstößt gegen den Artenschutz und rottet Tierarten aus.

Zu Beginn der Phase des Windkraftwerkbaus gab es den Konsens, solche Anlagen in großen Abständen zu Wäldern zu bauen. Aber das ist vergessen! Der Reinhardswald wird gerade von einer schwarz-grünen Regierung zerstört. Er ist eines der ältesten Naturschutzgebiete des Landes Hessen und das größte zusammenhängende Waldgebiet der Region mit Lebensräumen für geschützte Arten. Vögel und Fledermäuse fallen den Windturbinen zu hunderttausenden zum Opfer, darunter Schwarzstörche, Raubvögel aller Art und in besonderem Maße Rotmilane. Alle genannten Arten sind streng geschützt! Allein etwa 700 Rotmilane werden dort pro Jahr von den Flügeln erschlagen. Ungezählt ist deren verwaister Nachwuchs, der in den Nestern verhungert. Zurzeit lebt mehr als die Hälfte aller Rotmilane der Welt in Deutschland, aber die Population ist in den vergangenen Jahren um etwa die Hälfte zurückgegangen und sein Überleben ist bedroht. Wieso gibt es keine Waldbesetzungen gegen Windkraftanlagen?

Ganz anders als am Reinhardswald ist die Situation mit einem Projekt bei Schierke, wo eine Ganzjahres-Erlebniswelt mit Seilbahn und Skipiste entstehen soll. Ich will diesem Projekt keinesfalls das Wort reden, denn schließlich weiß auch ich nicht, ob es ökonomisch sinnvoll und ökologisch vertretbar ist. Aber immerhin sollen hier keine Vogeltötungsmaschinen entstehen, sondern ein wertvoller Biotop (Wald) gegen einen anderen (blühende Bergwiesen) ausgetauscht werden, über die Gondeln schweben sollen. Der Hinweis darauf, dass bei Eingriffen in den Wald mit zweierlei Maß gemessen wird, muss erlaubt sein. Immerhin soll es in Schierke künftig auch Spielplätze geben, wo Kinder etwas über die Natur lernen können. Das ist auch notwendig. Ähnlich wie für Erwachsene fungiert auch für sie der Wald vor allem als Freizeitraum. Dass im Wald Bäume gefällt werden, finden 70 Prozent der befragten Schüler als eher schädlich und nur 13 Prozent sehen darin einen Nutzen. Die Zahlen stammen von Forschern, die 10- bis 15-Jährige für den „Jugendreport Natur 2010“ befragten. Auf die Frage „wie heißt das Junge vom Hirsch?“ antworteten die Kinder so: „Rehkid (sic!)“ (8%), Rehkitz (13%) „Reh“ (9%), und „Kitz/Kits“ (19%). Sechs Prozent wussten die richtige Antwort: Kalb im Sinne von Hirschkalb. Das passt zu der Beobachtung, dass auch viele Erwachsene das Reh für die Geschlechtspartnerin des Hirschs halten.

Unkenntnis gibt es sogar bei Umweltschützer*innen.
Dr. Barbara Hendrix brüstete sich in ihrer Zeit als Bundesumweltministerin damit, dass sie die Truppenübungsplätze der Natur zurückgeben, also der Verwaldung Tür und Tor öffnen will. Es handelt sich aber um einzigartige Biotope für bedrohte Vögel und Schmetterlinge! Ziegenmelker, Wiedehopf, Heidelerche u. a. m. sind nach diesen Plänen dort verloren.  Prof. Dr. Werner Kunz aus Düsseldorf formuliert es so: „Wildnis in Mitteleuropa bedeutet Urwald. Die meis-ten der heute auf der Roten Liste stehenden Arten, insbesondere die stark bedrohten Schmetterlinge und Offenland-Vogelarten können in einer mitteleuropäischen Wildnis nicht leben. Wer das Ziel hat, dem Artenschwund Einhalt zu gebieten, wird nicht als Anwalt zur Förderung der Wildnis auftreten.“

Fachleute wissen, dass eine unaufgeräumte Stelle, ein Haufen Bauschutt, Straßen- und Wegeränder, Kiesgruben, Steinbrüche, Tagebaue, Truppenübungsplätze und Flugplätze Lebensräume für bedrohte Arten sind, aber nur solange sie nicht von der Natur überwuchert oder gar renaturiert werden. Die Artenvielfalt der Heide gibt es, weil sie vor der Natur, also vor Büschen und Bäumen geschützt wird. Dazu bedarf es keiner Wölfe, sondern einer Schäferei, die den Heidecharakter bewahrt. Insgesamt brauchen wir beim Thema Wald, Umwelt und Artenschutz weniger Ideologie, sondern mehr Wissenschaft. Man kann es vielleicht mit dem Seufzer zusammenfassen: Gott möge die bedrohte Tier- und Pflanzenwelt vor den gegenwärtig agierenden Umweltpolitiker*innen und kenntnisarmen Naturschützer*innen schützen! Prof. Dr. Reinhard Szibor

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