Warnung vor den Warnungen

Jetzt forderte also Malte Pieper, Journalist des Mitteldeutschen Rundfunks den Rücktritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nach dem EU-Sondergipfel in Brüssel, bei dem zum wie vielten Male nach einer europäischen Lösung gesucht wurde, gab es erneut kein Ergebnis. So geht das nun seit fast drei Jahren. Außenminister Heiko Maas trällerte im Anschluss an den Gipfel ohne osteuropäische Beteiligung noch ins Mikrophon, dass er vor Alleingängen warne. Wen wollte er im deutschen Fernsehen warnen? Das TV-Publikum, das immer nur Zuschauer am Uneinigkeitsprozess der europäischen Staaten war?

Warnungen haben in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Die einen warnen vor dem Islam und offenen Grenzen, die anderen wollen für alles offen sein und  finden Abschottung alarmierend. Für jeden ist wohl sichtbar, dass ungebremste Kapitalflüsse zu mehr Wohlstand in der Welt geführt haben, Elend aber nicht beseitigt ist. Neoliberalismus nennt man die Politik, die Globalisierung und weltwirtschaftliche Vernetzung ermöglichte und damit auch europäische, amerikanische, asiatische Macht- und Einflussinteressen um den Erdball schickte. Einhergehend mit noch grenzenloserem Naturverschleiß und Ressorcenraubbau. Immer wieder wurde von Konzern-Kanzeln und Hochfinanz-Altaren im Chor mit jeder Regierung das Hohelied fürs Schneller, Weiter und Besser angestimmt. Und dann kam da ein Trump, für viele wie eine unvorhersehbare Katastrophe über die Welt. Der tönt auch nach denselben Maximen, aber unter der First-Flagge. Wieder warnen an den Bildschirmen fast alle vor gruseligen Abschottungsfolgen. Aber was wäre, wenn die Wirtschaft tatsächlich aus dem ewigen Wachstum austreten müsste? Weniger Produktion mit weniger Ressorcenverbrauch? Für Umwelt- und Klimaschutz wird das seit Jahrzehnten gefordert. Ja, wir wissen, dass dies zu Lasten von Arbeitsplätzen geht, auch unseren. Gibt es überhaupt einen Bereich, der nicht davor warnt, dass Broterwerb in Gefahr sei? Was gibt es also zu verlieren, wenn überall Verlust gepredigt wird? Europa gewinnt womöglich gerade eine neue Harley-Davidson Motorradproduktion.

Angela Merkel gibt vor, eine europäische Idee retten zu wollen, die letztlich auch Teil des weltweiten Gesamtproblems ist. In ihrem Festhalten an gemeinsamen Wegen mit Partnern, die längst ganz eigene Ziele verfolgen, zeigt sie keinen wandelbaren Pragmatismus wie beim Atomausstieg oder bei der Flüchtlingshilfe 2015. Und sie warnt beharrlich davor, dass alles zerfällt, wenn man keine Beharrlichkeit beweise. Dabei zerfällt manches genau wegen dieser Beharrlichkeit, die eher wie Sturheit daherkommt. Die Sehnsucht, dass alles so bliebe, wie es war, ist groß. Der Traum, dass die Menschheit in eine Richtung marschieren würde, in die des Lichts, der Zukunft und des Fortschritts, erscheint ausgeträumt. Vielleicht müsste man auch davor warnen, dass eine Richtung allein nicht ins Ziel führt.

Die Welt dreht sich weiter, auch gegen jede Beharrlichkeit und gegen jede Warnung. Vor Erdogan, Putin und Populisten werden wir gewarnt. Sogar vor uns selbst sollten wir gewarnt sein, weil wir ungerecht reden, uns falsch ernähren und zu viel kaufen. Es ist Zeit, dass ein paar Warner zurücktreten.

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