Vom Kükentöten und von Abtreibungen
In einem Zusammenhang betrachtet, verraten das Töten von Küken und Abtreibungen etwas über unsere Gesellschaft
Die erste Geschichte handelt von Hühnern. Für die Produktion von Hähnchenfleisch und Eiern werden unterschiedliche Hühnerrassen gezüchtet. Mastrassen setzen innerhalb von kürzester Zeit viel Fleisch an. Legerassen wachsen hingegen relativ langsam. Die Hennen verwerten ihr Futter für die Eierproduktion und legen jeweils ca. 300 Eier pro Jahr. Männlichen Küken der Legerassen produzieren wenig Fleisch und eierlegen können sie sowieso nicht. Deren Haltung wäre wirtschaftlich nachteilig. Deshalb werden sie direkt nach dem Schlüpfen getötet. Man erstickt sie mit CO2 oder man schreddert sie. Letzteres ist eine Schande. In Deutschland beläuft sich die Zahl der umgebrachten Eintagsküken auf rund 45 Millionen pro Jahr. Kein Wunder, dass es dagegen Proteste gibt. Auch Tierhalter und Politiker fühlen ein starkes Unbehagen. Parteien, die sich gegen das Kükentöten positionieren, können auf starken Zuspruch bauen. Die Regierungsparteien tragen dem Rechnung, indem sie ein baldiges Ende dieser Praxis angekündigt haben. CDU, CSU und SPD verpflichten sich, das Töten von Eintagsküken bis zur Mitte der Legislaturperiode zu unterbinden.
Gibt es eine Alternative?
Könnte man nicht Hühnerrassen züchten, bei denen die Hennen stark im Eierlegen und die Hähnchen gut in der Fleischproduktion sind? Schließlich gibt es doch neuerdings das revolutionäre Verfahren des Geneditierens! Aber so etwas würde erstens sehr lange dauern und zweitens ist das nicht so einfach, vielleicht sogar unmöglich. Die Eigenschaften der effektiven Fleischproduktion und des hochproduktiven Eierlegens sind genetisch negativ korreliert. Man kann also entweder das eine haben oder das andere. Möglich wäre vielleicht die Züchtung einer Kompromiss-Rasse, die beides einigermaßen befriedigend kann. Eine Vermarktung solcher Geflügelprodukte wäre bis auf weiteres unmöglich, denn Geneditieren gilt als Gentechnik und die ist in Deutschland für Nutztiere verboten. Aus gleichem Grunde kommt eine israelische Methode nicht in Frage. Ein Start-Up-Unternehmen aus Tel Aviv hat in das geschlechtsbestimmende Y-Chromosom ein Gen eingebaut, das einen Biomarker produziert. Somit kann man männlich determinierte Eier daran erkennen, dass sie im ultravioletten Licht gelb fluoreszieren. Diese lassen sich dann aussortieren und als Lebensmittel verwenden. Nur die weiblich geprägten Eier würde man ausbrüten. Es wären immerhin 45 Millionen Eier gerettet und nicht ein einziges Küken würde man wegen des ungewünschten Geschlechts töten. Das wird wohl in Ländern mit einer Bevölkerung ohne irrationale Gentechnik-Ängste so kommen, in der EU nicht.
Bei uns geht man einen anderen Weg. Die Bundesregierung hat die Forschung für ein in Deutschland akzeptiertes Verfahren mit 5 Millionen Euro gefördert. Die Entwicklung kommt aus einer Kooperation der Leipziger Universität mit der SELEGGT GmbH (Köln). Schon zu Beginn der Bebrütungsphase produzieren weibliche Hühnchen-Embryonen Östronsulfat, ein weibliches Geschlechtshormon. Diese befindet sich beim Brutei in der Allantoisflüssigkeit. Wenn man am 9. Tag durch eine kleine Bohrung einen winzigen Tropfen entnimmt, kann man mit einem Schnelltest das Östronsulfat nachweisen und somit eine Geschlechtsbestimmung realisieren. Eier, die einen männlichen Embryo enthalten, zeigen ein negatives Östronsulfat-Ergebnis, werden aussortiert und wandern ins Tierfutter, während die weiblichen Küken unbeeinträchtigt am 21. Tag schlüpfen. Genau genommen handelt es sich also hier im Gegensatz zum israelischen Verfahren um eine vorgeburtliche Geschlechtsbestimmung mit einer Vorverlegung des Tötungszeitpunktes. Das Töten von unfertigen Küken ist mit unseren Befindlichkeiten besser kompatibel als der Tod der süßen kleinen Kuscheltiere. Trotzdem ist es Töten, also nicht der ganz große Wurf. Aber ein Fortschritt ist es schon. Damit die Akzeptanz des vorgeburtlichen Kükentötens durch Schockfrosten möglichst hoch ist, ließ das SPD-geführte Umweltministerium unter Dr. Barbara Hendrix mittels Gutachten prüfen, ob die Hühnchen-Embryonen dabei Schmerzen empfinden. Die Schmerzempfindlichkeit sei am 9. Tag noch nicht entwickelt, heißt es. Frühestens am 11. Tag. Das dürfte auch die Jusos zufriedenstellen. Die hatten z. B. auf der Landesdelegiertenkonferenz 2016 in Thale das Ende des Kükentötens gefordert. Auf die Jusos kommen wir in der zweiten Geschichte noch zu sprechen.
Festzuhalten ist, dass in der zeitlichen Vorverlegung der Tötung ein großer Fortschritt gesehen wird und die Schmerzempfindung von Bedeutung ist. Was den Menschen betrifft, wird das ganz anders gesehen. Da darf‘s auch etwas später sein.
Vorgeburtliches und perinatales Töten bei der Spezies Mensch
Die zweite Geschichte handelt von Abtreibungen. Nach § 218 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wer eine Schwangerschaft abbricht. Ein Schwangerschaftsabbruch ist aber nicht strafbar, wenn die betroffene Frau dem § 218a folgt. Danach muss sich die Schwangere, die den Eingriff verlangt, in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen. Außerdem muss eine Ärztin oder ein Arzt die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis abbrechen. In begründeten Fällen kann ein Schwangerschaftsabbruch noch bis zur 22. Woche erfolgen. Dafür müssen rechtfertigende Gründe vorliegen. Dies kann eine medizinische Indikation sein, z. B. wenn für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht. Weiterhin ist eine kriminologische Indikation gegeben, wenn die Schwangerschaft auf einem Sexualdelikt beruht. Die offiziellen Beratungsstellen bieten die notwendigen Informationen kostenlos an. Für jeden ethisch denkenden und empfindenden Menschen dürfte klar sein, dass es ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers ist, ungeborenes Leben zu schützen, aber auch Frauen in Konfliktsituationen einen Ausweg zu ermöglichen, der ihnen das Austragen der Schwangerschaft erspart. Dabei ist aus meiner Sicht zu respektieren, dass sich verschiedene Menschen, je nach ihrer Weltsicht, strengere bzw. liberale Bestimmungen wünschen. Wenn man die Dinge zu Ende denkt, ist jedoch die ersatzlose Streichung des § 218 völlig inakzeptabel.
Jeder Frau stünde das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung zu, sagen die Befürworter der Streichung. Und man dürfe den Frauen keinen leichtfertigen Umgang mit dem Abtreibungsproblem unterstellen. Aber rechtlich wäre dann ja eine Abtreibung für die gesamte Schwangerschaft möglich, also bis kurz vor der Geburt. Auch wenn es zum wirklich Äußersten wohl nur selten kommen würde (da steht schon das Berufsethos der konsultierten Ärzte dagegen) muss man doch mit einer erhöhten Anzahl von Abbrüchen etwa im 6. Monat rechnen. Dann sind die Kinder schon außerhalb des Mutterleibes lebensfähig. Deshalb ist der Forderung nach ersatzloser Streichung des § 218, wie sie auf dem Juso-Bundeskongress im Dezember 2018 erhoben wurde, barbarisch. Im Internet findet man auch die Reden zweier nachdenklicher junger Frauen, die die Konsequenzen des Antrags thematisierten. Sie führten aus, dass es zu Situationen kommen wird, dass die Spätabgetriebenen schon richtige Babys sind, die einfach nicht sterben wollen. Was dann? Deshalb appellierten sie, von dem Vorhaben abzulassen. Damit war aber die Delegierte Sabrina Simmons (Jusos Berlin) gar nicht einverstanden. Meine Empörung über deren Rede kann ich vermutlich nur verständlich machen, wenn ich auszugweise zitiere: „Es kann doch nicht Euer Ernst sein, sone (sic) pathetischen Reden an den Tag zu legen! … Wir müssen für etwas einstehen. Ja für die Lebenden, für die Frauen, für die Selbstbestimmung und nicht für irgendwelche Ungeborenen! Im Ernst – Entschuldigung, aber es ist juristisch vorhin erklärt worden: Die haben einfach vorher kein Recht und die Grundrechte, das Menschenrecht gilt zuerst mal für die Frau und dann für alles andere … Ihr (gerichtet an die Nachdenklichen) seid so dumm, dass Ihr denen von der CDU Argumente liefert…, sexuelle Selbstbestimmung, ja, aber … nicht konsequent, nicht bis zum Letzten! Lächerlich!“ Es wäre schon schlimm genug, hätte hier versehentlich eine seelenlose Bestie Zugang zum Mikrofon erhalten. Aber diese Rede wurde mehrfach von zustimmendem Gejohle unterbrochen und zum Schluss mit großem Beifall aus dem Saal belohnt. Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen. Man bedenke, die Jusos sind die gesellschaftliche Kraft, die die Führung der SPD in Kürze übernehmen wird. Nicht reinformuliert in den Antrag wurden die Ausführungsbestimmungen für die Kindstötung. Ersticken mit CO2 wie bei den Küken, ertränken, wie es Gretchen im Faust getan hat oder was?
Deutschland, mir graut's vor dir!
Wir leben in einem Land, in dem das Wohl von Küken die uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller Parteien geniest. Mit der menschlichen Kreatur, sofern sie ungewollt als Spätschwangerschaftsfötus im Bauch lebt oder gar nach dem Schwangerschaftsabbruch als Baby auf dem Tisch liegt, will man es aber nicht so genau nehmen. Einen Tag bevor die Jusos ihren skandalösen Beschluss verabschiedeten, war die Bundesministerin für Justiz, Katharina Barley, Rednerin auf deren Kongress. Sie versicherte sich der Unterstützung der Jusos in ihrem Europa-Wahlkampf. Könnte man von einer SPD-Politikerin im Amt der Justizministerin nicht erwarten, dass sie den Jusos öffentlich die Leviten liest, wenn diese menschenverachtende und verfassungswidrige Ziele formulieren? Aus der ganzen SPD kam kein Aufschrei, auch nicht aus anderen Parteien, die als demokratisch gelten.
Da musste erst die AfD eine aktuelle Stunde im Bundestag beantragen, damit der Vorfall überhaupt debattiert wurde. In der Aussprache äußerten sich lediglich CDU/CSU-Abgeordnete angemessen. Rudolf Henke erläuterte das einschlägige Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und warum es verfassungswidrig wäre, den § 218 abzuschaffen. Allerdings blieben die anderen CDU/CSU Redner mit ihren Charakterisierungen des Antrags als „schwer erträglich“ (anstatt unerträglich) und „echt schräg“ hinter der notwendigen Klarheit weit zurück. Ansonsten hörte man dort, wo es eine Debatte um unmenschliche Ziele geben sollte, vorwiegend Schmähungen gegenüber der AfD, der man in der Tat vieles vorwerfen muss, aber nicht, dass sie verfassungsgemäß das Leben von Föten in der Spätschwangerschaft und von unwillkommenen Babys schützen will. Prof. Karl Lauterbach (SPD) debattierte völlig am Problem vorbei, indem er sagte „Die von ihnen (der AfD) bekannte allgemeine Hetze gegen Flüchtlinge wird jetzt ausgedehnt in eine Hetze gegen schwangere Frauen.“ Es gab aber keine Hetze gegen Schwangere, sondern nur die Warnung vor der Legalisierung von Verbrechen und die kommen eben überall vor. In meiner beruflichen Praxis war ich nicht selten damit beauftragt worden, tote Neugeborene, die in Mülltonnen und Abfalldeponien gefunden worden waren, per DNA-Test zu identifizieren.
Cornelia Möhring von den Linken fand, der Beschluss der Jusos sei „wirklich gut“ und „eigentlich so, dass er hier verabschiedet werden sollte“. Sie freue sich, dass die Jugendorganisationen der Linken „genauso gute Beschlüsse“ gefasst hätten. Die Rednerin der Grünen, deren Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt lange als Präses der EKD-Synode eine Repräsentantin der evangelischen Kirche war, fand ebenfalls nur zustimmende Worte für „reproduktive Rechte von Frauen, die ohne uneingeschränkte (!) Selbstbestimmung nicht denkbar sind“. Uneingeschränkte Selbstbestimmung heißt aber eben auch Spätabtreibungen mit fließendem Übergang zur Kindstötung. Das Bild rundet sich ab, wenn man sich erinnert, dass alle linken Parteien und sogar der Bundespräsident für ein Konzert in Chemnitz geworben haben, bei dem die Hip-Hop-Formation K.I.Z. unter großem Beifall folgenden Text gesungen hat: „Trete deiner Frau in den Bauch, fresse die Fehlgeburt.“ Nicht wenige im Publikum haben mitgesungen! Der Verfall der Demokratie ist vollzogen, wenn die etablierten Parteien dem Wähler keine andere Wahl lassen, als sich in einer wichtigen Sachfrage ausgerechnet mit der AfD verbünden zu müssen. Prof. Dr. Reinhard Szibor