Unglaublich wichtig für das Land

Prof. Dr. Anne Lequy Foto: Peter Gercke

Prof. Lequy, die Fachhochschule Magdeburg wurde 1991 gegründet und im Jahr 2000 mit der Fachhochschule Altmark zusammengelegt. Sie wurden 2006 an die Hochschule berufen und sind seit 2014 als Rektorin tätig.

Was macht für Sie – mit Blick auf die 28-jährige Geschichte der „h2“ – den Reiz dieser Institution aus?
Prof. Dr. Anne Lequy: Wir sind erst kürzlich zum schönsten Campus Deutschlands gekürt worden und darauf können wir stolz sein. Beide Campus in ihrer Großzügigkeit und ihrer schönen Mischung von alten und neuen Gebäuden – das ist etwas, das den Reiz ausmacht: die Aufenthaltsqualität in Stendal wie auch in Magdeburg. Zudem entsteht durch die räumliche Nähe ein besonderes Gemeinschaftsgefühl. Aber natürlich gibt es noch mehr, was sich hinter der schönen Kulisse versteckt – beispielsweise die große Praxisnähe. Es ist zwar üblich, dass man Hochschulen für Angewandte Wissenschaften als praxisnah bezeichnet, aber dies auch umzusetzen, ist gar nicht so selbstverständlich.

Woran messen Sie den Erfolg Ihrer Praxisnähe?
In der arabischen Welt werden wir für das deutsche praxisorientierte Hochschulsystem beneidet. Das merken wir besonders bei einem Projekt, das wir hier an der Hochschule leiten – die German Jordanian University. Bei diesem Austausch wird deutlich, dass vor allem für den Arbeitgebermarkt Praxisnähe Gold wert ist. Zudem wissen wir von unseren Studierenden, dass sie zu 79 Prozent sehr zufrieden sind mit der Qualität ihrer Ausbildung und der guten Betreuung an der Hochschule. Vor allem den Praxisbezug schätzen sie, weil der sich direkt rentiert. Das können wir mit großer Sicherheit sagen, da wir versuchen, den Kontakt zu unseren Absolventen aufrechtzuerhalten und sie bis fünf Jahre, nachdem sie die Hochschule verlassen haben, interviewen. Und viele geben dabei an, dass sie schneller als andere unbefristete Stellen bekommen und das auch in dem Fach, das sie hier studiert haben.

Können Sie ein Beispiel für die praxisnahe Ausbildung nennen?
Ein interessanter Studiengang, der auch sehr modern ist in seiner Konzeption, ist „Recycling- und Entsorgungsmanagement“. Es geht dabei vordergründig um Wertstoffe, die recycelt werden. Dieser Kreislaufgedanke ist sehr nachhaltig angelegt und die Praxisnähe zeigt sich dadurch, dass die Studierenden schon in den ersten Tagen des Studiums ein Wertstoffkonzept für den Campus erstellen müssen. Natürlich sind diese Konzepte noch nicht markttauglich, sonst müssten sie nicht studieren. Aber nachdem sie sich unsere Biotonnen, Papiertonnen und andere angeguckt und sich näher damit befasst haben, merken sie, warum sie ein paar Dinge brauchen wie Chemie, Mathematik, Physik oder auch Logistik. Und diese Kompetenzorientierung, die sich schon sehr früh während des Studiums manifestiert, motiviert die Studierenden, auch Fächer zu beherrschen, die ihnen nicht ganz so leichtfallen.

Studien zufolge sinkt das Niveau in den naturwissenschaftlichen Fächern, die sie soeben angesprochen haben. Ist davon etwas an der Hochschule zu spüren?
Bei diesem Thema muss ich an Sokrates denken. Schon er soll gesagt haben, dass die Jugend immer schlechter wird. Das möchte ich nicht gänzlich unterstreichen, aber es ist sicherlich etwas dran und das spüren wir an der Hochschule auch. Aber es ist nicht ein einmaliges Phänomen in der Geschichte der Menschheit. Wir müssen uns mit diesem Problem in zweierlei Hinsicht auseinandersetzen: Zum einen sind unsere Studienplätze in einigen MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik / d. Red.)  nicht ausgelastet. Zum anderen haben die jungen Menschen, die hier ein Studium beginnen, nicht immer das Werkzeug, das die Lehrenden erwarten. Aber als Hochschule für Angewandte Wissenschaften sind wir mit unseren kleinen Gruppen und der praxisnahen Ausbildung in der Lage, diese Zielgruppen abzuholen. Sie fallen dann eben nicht durchs Raster wie in großen, anonymen Vorlesungen.

Aber wie kann man diesem Phänomen entgegenwirken?
Wir haben als Hochschule erkannt, dass die aktuelle Gesellschaft mehr braucht als Fachexperten, die Profis sind auf ihrem Gebiet, die aber weniger links und rechts gucken. Zum Wintersemester haben wir erfolgreich den interdisziplinären Studiengang „Mensch-Technik-Interaktion“ gestartet. Das ist ein Studiengang, der von drei Fachbereichen unterstützt wird: dem Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Industriedesign, dem Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften und dem Fachbereich Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien. Sie merken schon an der Aufzählung, dass in diesem Studiengang Dinge gelehrt werden, die sonst nur in verschiedenen Kursen stattfinden. Wir möchten technikaffine Menschen, gern auch junge Frauen für Technik begeistern, indem wir ihnen gleich zu Beginn des Studiums zeigen, was Technik für unser Leben bedeutet. Wir sind mit knapp 50 Studierenden gestartet – das finde ich großartig – und wir hoffen, dass wir damit wieder neue Zielgruppen für dieses Thema begeistern können, die sonst nicht auf die Idee gekommen wären an einer Hochschule zu studieren.

Haben Sie in dem Zusammenhang die Möglichkeit, auf frühere Bildungsbereiche einzuwirken?
In Stendal haben wir ein Kompetenzzentrum für Frühe Bildung – in der Altersspanne 0 bis 6. Die Kolleginnen dort führen Projekte mit Kitas durch und entwickeln Konzepte, wie man recht früh auf die Leis-tungen von Kindern beispielsweise in Richtung Mathe einwirken kann, sodass sie dieses Fach als Lust und nicht als Last empfinden. Zudem wurde vor einigen Tagen in Stendal die Kinderuni zum 24. Semester eröffnet. Das ist ein Projekt, das wir mit der Winckelmann-Gesellschaft initiiert haben. An mehreren Samstagen des Semesters kommen Kinder zwischen 8 und 12 Jahren aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien ins Audimax, um kindgerechte Vorlesungen zu erleben. Damit möchten wir zeigen, dass Hochschulen kein Elfenbeinturm sind.

Gibt es dieses Projekt nur in Stendal oder auch in Magdeburg?
In Magdeburg gab es den Juniorcampus. Aber in Stendal sind die Räume einfacher zu füllen als in Magdeburg, weil man dort keine Konkurrenz vor der Haustür hat. Aber gerade im Bereich der kindlichen Frühbildung ist das ein gutes Beispiel, wie Hochschulen jenseits von Lehre und Forschung mit der Gesellschaft interagieren können.

Welche Möglichkeiten hat die Fachhochschule noch, um in der Stadt sichtbarer zu werden?
Das Schauwerk des Instituts für Industrial Design ist eine Ausstellungsfläche und ein Forum, das im Zentrum der Stadt bespielt wird. Es gibt nicht nur Abschlussarbeiten zu sehen, Interessierte können auch an Workshops, Vorträgen, Lesungen sowie Podiumsdiskussionen teilnehmen. Des Weiteren hatten wir auch ein Projekt zur Bewerbung Magdeburgs als Kulturhauptstadt Europa 2025 und der h2-Sommer mit kleineren und größeren Veranstaltungen auf dem Campus rückt die Hochschule auch in den Fokus.

Wodurch die Hochschulen ebenfalls immer wieder in den Fokus geraten, ist das Thema Promotionsrecht.
Wir, die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in der Landesrektorenkonferenz, hoffen sehr, dass das Promotionsrecht mit dem neuen Hochschulgesetz kommt. Wichtig ist für uns nicht, dass die gesamte Hochschule das Promotionsrecht erhält, sondern vielmehr die forschungsstarken Bereiche. Das ist eine kleine, aber wichtige Nuance. Forschungsstarke Bereiche werden definiert nach klaren Kriterien, die es bundesweit schon gibt. Es wäre uns auch deshalb wichtig, weil wir damit unseren Absolventen eine Chance geben, hier zu bleiben. Sonst müssen sie ins Ausland gehen oder zumindest das Bundesland verlassen und kehren dann oft nicht mehr zurück – damit könnten wir sie für das Bundesland halten. Das wäre unglaublich wichtig.

Welches sind die größten Widerständler?
Das sind natürlich die Unis, weil sie ihr Monopol damit verlieren würden und sowas wie einen Dammbruch befürchten. Aber wir, die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, begrüßen sehr, dass das Promotionsrecht befristet an die Qualitätskriterien gebunden werden soll, weil es uns auch hilft, Professorinnen und Professoren zu rekrutieren, die sonst abwandern würden.

Würde das nicht auch einen Bildungswettbewerb zwischen Hochschulen und Universitäten befeuern?
Wir sind als Hochschule mit einer anderen Mission unterwegs. Unsere Hauptaufgabe ist es nicht, den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs, also die Professoren von morgen, zu produzieren, sondern mit praxisorientierten Studiengängen die Absolventen zu liefern, die die Wirtschaft und die Gesellschaft jetzt brauchen. Und da sind wir sehr gut, weil wir merken, dass unsere Absolventen schnell in ihrer Branche eine Stelle bekommen oder eben etwas Eigenes gründen. Das ist unsere erste Mission und das wird sie auch bleiben. Damit wir aber auch die Chance haben, gute, anwendungsorientierte Forschungsarbeit zu leisten, wurde die Idee einer deutschen Transfergemeinschaft geboren – damit gezielt Geld für Forschung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaft zur Verfügung steht. Auf die Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft etwa haben vor allem die Unis den Zugriff. Wir brauchen etwas Zeitgemäßes im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft. Fragen: Thomas Wischnewski, Tina Heinz

Zurück