Twitter & Co. – der soziale Anschein
Am besten laufen meine Gedanken frei, wenn ich spazieren gehe und nicht durch gedruckte Buchstaben, flimmernde Bildschirme oder das Radio beeinflusst werde. Aber auch wenn ich nachts im Sommer auf dem Balkon sitze und in den Sternenhimmel schaue, geht es mir ebenso. Doch meine Frau sagt: ein Spaziergang wäre gesünder als auf dem Balkon zu sitzen. Nun ja.
In seiner letzten Sitzung hatte der Bundestag noch ein Gesetz gegen Hassbotschaften – oder „hate speech“ wie man das in der Politik oder in der Presse im leider immer beliebter werdenden „Denglisch“ ausdrückt. Ein, zwei Anglizismen in der Rede sollen wohl Weltläufigkeit und Bildung vortäuschen. Mit diesem Gesetz wollen sich Politiker und andere prominente Menschen vor verbalen Angriffen und Drohungen, die über Facebook und Twitter an sie gerichtet sind, schützen. Offensichtlich benutzt nicht nur der amerikanische Präsident Trump diese Informationskanäle, sondern auch unsere Politiker handhaben sie anscheinend auch sehr gern und viel.
Vielleicht bin ich etwas zu alt dafür, aber ich brauche diese Medien nicht. Auch in meinem recht umfangreichen Bekannten- und Freundeskreis kenne ich kaum einen, der Facebook oder Twitter benutzt. Was da untereinander mitgeteilt wird, sind im Allgemeinen nur unwesentliche Plattheiten, die so überflüssig sind wie der sprichwörtliche Kropf. Was früher jemand im Gespräch mal unbedacht äußerte oder auch nur dachte, fingert er jetzt „unsmart“ in sein Smartphone hinein und setzt es in die Welt. In meinen Augen sind Facebook und Twitter nichts weiter als die Müllhalden und Kloaken der Informationsgesellschaft. Meint wirklich irgendein Politiker, dass er damit seinen Wählern näher käme oder ihnen irgendetwas Wichtiges mitzuteilen hätte? Oder das die Zahl der „follower“ – also die Anzahl derer, die diese Botschaft erhalten oder die Zahl der „likes“, die Zahl der positiven Reaktionen darauf – gar seine Wichtigkeit bezeugen würden? Wenn das wirklich so wäre, so wäre das ein Armutszeugnis. Das scheint mir nach dem Rezept zu gehen: Wenn Du nur einer bist und willst mehr sein, so bringe möglichst viele Nullen hinter dich! Einer mit sechs Nullen hinter sich: so wird aus einer 1 schon 1 Million. Und so sind die Follower und die likes eigentlich nichts weiter als die Nullen, die eine besondere Bedeutung vorspiegeln sollen.
Viele machen sich über Donald Trump und seine Zwitschereien auf Twitter lustig – aber machen es unsere Politiker nicht ebenso? Der Unterschied ist doch nur, dass die Botschaften von Trump grob und direkt sind, während unsere Politiker sich eher einer süßlich-säuselnden Ausdrucksweise befleißigen und möglichst nicht an-ecken wollen. Wie schon gesagt, ich halte diese Medien im Wesentlichen für überflüssig. Sie öffnen eben auch Tore für die Hassbotschaften, die niemand haben möchte. Wenn die Politiker und die Prominenten Facebook und Twitter nicht benutzen würden, so würden sie diese unangenehmen Botschaften gar nicht erreichen und alles wäre eigentlich kein Thema mehr und auch kein Gesetz wert.
Dieses Gesetz schafft aber auch eine Atmosphäre der Verunsicherung und der Überwachung. Und vor allem: Wer hat die Entscheidungsbefugnis darüber, was zulässig ist und was nicht? Uwe Tellkamp sagte im Mai dieses Jahres in einer Dresdner Rede, dass er allmählich eine DDR 2.0 befürchte und besonders unangenehm sei es, dass ein Teil dieser Überwachung durch eine Organisation erfolge, deren Leiterin einst inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit gewesen war. Eine politisch neutrale Haltung rechts und links gegenüber ist da wohl nicht zu erwarten. Die Katze lässt das Mausen nicht! Paul F. Gaudi