Schade Otto …

Magdeburg soll vorankommen in Tourismus, Kultur und Ansehen. Dafür wird zurecht jede Menge „Ottonisierung“ veranstaltet, aber im Ergebnis häufig ohne klare Linie zerredet. Siehe Kaiser-Otto-Fest, Otto-Kampagne und Kulturhauptstadtbewerbung. Man möchte ausrufen: Otto verschenkt Chancen.
Kennen Sie Hameln? Vielleicht waren Sie noch nicht da, aber von der Geschichte des „Rattenfängers“ haben Sie ganz sicher schon gehört. Deren Wahrheitsgehalt ist zwar höchst zweifelhaft, doch hat die Legende den Namen der niedersächsischen Kleinstadt berühmt gemacht. Magdeburg möchte im Konzert – zumindest der deutschen Städte –ebenfalls eine herausragende Stellung einnehmen. 2019 bewirbt sich die Elbmetropole gar um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2025. Verdient hätte es Magdeburg mit seiner wirklich bedeutenden mittelalterlichen Stellung und wegen des positiven, dynamischen Wandels vergangener 25 Jahre ohnehin. Fragt man jedoch Menschen in anderen deutschen Bundesländern über ihr Magdeburg-Wissen, hört man zwar oft den geografischen Hinweis über die Lage im Osten, vielleicht kennt mancher gar den Status als Landeshauptstadt. Doch wollte man nach Otto dem Großen fragen, antworten die meisten mit einem Schulterzucken. Schade Otto …
Gewiss, in Magdeburg hat sich über die Jahre viel um Otto getan. 2001 gab es die erste große Ausstellung zum Gründer des später in die Geschichte eingegangenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. 2006 folgte die zweite und 2012 eine dritte Ausstellung. Rund 650.000 Besucher zählte man im Museum über die mittelalterlichen Schauen. Mag auch die Mehrheit der Gäste damals wirklich von außerhalb gekommen sein, für einen Triumphzug eines tragenden Markennamens reicht das nicht. Otto ist heute natürlich allgegenwärtig, zumindest innerhalb der Stadt. Hier öttelt es an jeder Straßenecke und auf jedem Spruchband.
Rückblende: In den 90er Jahren wurde im Magdeburger Stadtrat lange über einen Zusatznamen für das mitteldeutsche Areal gestritten. Der Titel Universitätsstadt sollte Moderne und Forscherdrang symbolisieren. Im nationalen Konzert bedeutender Forschungsergebnisse bleibt die Magdeburger Uni jedoch hinter anderen Traditionsstätten weit zurück. Die einstige Schwermaschinenbau-Industrie hatte sich weitgehend in kleine mittelständische Firmen pulverisiert. Damit konnte man keinen Staat mehr machen. Otto von Guericke sollte möglichst gleichgewichtet neben dem Kaiser stehen. Doch selbst der Zusatz „Kaiserstadt“ wurde von den damaligen Stadträten verworfen. Viele Aspekte zerfasern jedoch eine Botschaft. 2010 kam dann die Kampagne „Ottostadt Magdeburg“ heraus. Das kann man als guten und wichtigen Wendepunkt in der Außenwirkung ansehen. Zugleich muss jedoch selbstkritisch gefragt werden: Um wie viel Jahre früher hätte man seit 1990 mit einer schlagkräftigen Vermarktung beginnen können? Bis man sich demokratisch auf eine gemeinsame Linie einigen kann, muss eben viel geredet werden. Erst kürzlich lieferten die Stadträte im Rathaus dafür einen soliden Beweis.
In einer aktuellen Debatte klopfte man sich interfraktionär vielfach über das wundervolle Bewerbungsunterfangen auf die Schulter, begrüßte nochmals den einhelligen Beschluss, der mittlerweile sechs Jahre zurückliegt und appellierte daran, dass jetzt alle aufgerufen seien, Ideen einzubringen. Grünen-Stadtrat Sören Herbst hielt gar ein Grundsatzreferat über den Kulturbegriff aus Wikipedia-Wortfetzen im inhaltlichen Anspruch für Schüler der mittleren Reife. Von zündender Ideen- und Redekultur war indes nichts zu hören. Wirklich nicht mehr als bereits bekannte Tatsachen. Schade Otto …
Seit 2011 steht die Bewerbung fest, seit einem Jahr existiert ein 70-köpfiges Expertengremium, das die Marschroute der Bewerbung erarbeiten soll. Im Herbst vergangenen Jahres wurde ein Organisationsbüro eingerichtet. Hanns-Dietrich Schmidt als professioneller Berater eingesetzt. Er ist Professor für Dramaturgie und Praktische Theaterarbeit,führte bereits Essen erfolgreich zum Kulturhauptstadttitel und berät weitere europäische Städte in diesem Wettbewerb. Schmidt schrieb den Stadträten während seiner Rede noch einmal ins Stammbuch, dass es weniger darauf ankomme, was eine Stadt aufzuweisen hätte, sondern dass die Kommission überzeugt werden müsse, was Magdeburg mit dem Titel und den damit verbundenen Mitteln entwickeln wolle. Kulturbeigeordneter Prof. Matthias Puhle bestätigte, dass man im Zeitplan sei. 2018 muss das Roadbook für die Bewerbung stehen. Kommt man 2019 in den engeren Auswahlkreis, könne noch einmal nachjustiert werden. Doch warum dann die inhaltsleere aktuelle Debatte? Es mag dem Initiator, Oliver Müller von der Fraktion Die Linke/future, zugute gehalten werden, dass es ihm im besten Sinne auf den Hinweis auf die kürzer werdende Frist bis zum Einreichen der Bewerberunterlagen ankam. Doch warum ging er dann als Vorsitzender des Kulturausschusses nicht vorbildwirksam mit einer eigenen Idee voran?
Das Wohlwollen im Rat für das Unterfangen ist einmütig. In den Debattenbeiträgen fielen schöne Handlungsanweisungen wie „Wir müssen alle begeistern und mitnehmen…“ oder: … die Bürgerschaft sei aufgerufen, sich zu beteiligen oder: jeder könne sich einbringen … die internationalen Partnerstädte sollten einbezogen werden … Aber wobei und wofür? Ein guter Wille ist ein starkes Fundament, doch ohne konkrete Tat, bleibt er nichts als ein wenig bewegte Luft im Rathaus.
Magdeburg hat inzwischen viel zu bieten und bleibt häufig trotzdem unter seinen Möglichkeiten. Freizeit- und Kulturangebote gibt es hier nicht weniger als in Städten vergleichbarer Größe. Das kleinere Erfurt mit gut 210.000 Einwohnern erscheint natürlich mit seiner historischen Altstadt urbaner und lebendiger. Der Freistaat Thüringen ist ohnehin als Touristenmagnet erfolgreicher als die Nordregion von Sachsen-Anhalt. Der Gästestrom im Land mit der höchsten Schlösserdichte kommt nicht nur aus landschaftlichen, sondern vielmehr aus historischen Wurzeln.
Kürzlich veröffentlichte der Tourismusverband Elbe, Börde, Heide und die Magdeburg Marketing Kongress and Tourismus GmbH (MMKT GmbH) eine Gästebefragung. Obschon der Tenor der Umfrage positive Signale zeigt, verwundern die Ergebnisse, was die Besucher an der Region interessiert. Bauhaus und Moderne, Luther oder Magdeburger Recht rangierten im untersten einstelligen Prozentbereich. Otto der Große fand in der Aufzählung der Befragten gar nicht statt. Man kann darauf eigentlich nur Unkenntnis über die geschichtliche Bedeutung von Ottos ehemaliger Lieblingspfalz herauslesen. Grabstätten der Römisch Deutschen Kaiser haben klangvolle Namen. Magdeburg ist da gleichbedeutend in einer Reihe neben Achen (Karl der Große), Speyer (Konrad II., Heinrich IV. und V.), dem Petersdom in Rom (Otto II., Sohn von Otto I.) oder Bamberg (Heinrich II.) und viele weitere. Aber tragen wir das auch wirklich mit Nachdruck weit über die Grenzen Magdeburgs hinaus? Das künftige Museum „Ottonianum“ wird seinen Beitrag leisten. Doch dies ist nur ein Baustein. Die Tourismusstudie brachte einen weiteren interessanten Aspekt zutage: Über die Hälfte, 52 Prozent, der befragten Gäste kam auf Empfehlung von Verwandten oder Bekannten hierher. Das Wissen um die eigenen Wurzeln, um die Geschichte der Region und ihre europäischen Geschicke darf man als echte Pfründe begreifen. Jeder Magdeburger ist selbst ein bester Botschafter, der andere neugierig macht und Besuche anregt.
Es ist schon schmerzlich genug, dass die historischen Zusammenhänge während 40 Jahren DDR kaum oder gar nicht bildungspolitisch gepflegt und gehegt wurden. Diese Defizite dürfen keinenfalls weitergetragen werden. Umso verwunderlicher, dass sich im Stadtrat zu Otto I. so wenig politischer Enthusiasmus findet. Auf der Tagesordnung der Mai-Sitzung stand auch ein Antrag zum diesjährigen Kaiser-Otto-Fest. Der Veranstalter bat um Gewährung einer Ausfallbürgschaft, falls beispielsweise wegen schlechten Wetters Besucher ausblieben. Offenbar wird das Fest nach wie vor als Kommerzevent begriffen. Oberbürgermeister Lutz Trümper stellte in einer Wortmeldung noch einmal klar, dass der Zuschuss der Stadt nur gerechtfertigt sei, weil dort in bunter Weise Magdeburger Kultur- und Geschichte lebendig würde, insbesondere die Ottos des Großen. Eine Ausfallbürgschaft wurde fast einstimmig abgelehnt. Das kann man akzeptieren, aber für das nächste Jahr hat der bisherige Veranstalter Torsten Fraß als Geschäftsführer der Kaiser-
Otto-Fest GmbH, seinen Rückzug aus dem Vorhaben erklärt. 2018, nach fünf Jahren, könnte das Event vor dem Aus stehen. Schade Otto, doch Geschichts- und Traditionspflege sieht anders aus. Um eine regional weite Ausstrahlung oder gar eine nationale zu erreichen, braucht es Qualität und Kontinuität, vor allem aber einen langen Atem. Otto I. hat von seiner Lieblingspfalz Magdeburg aus ein Weltreich regiert. Heute kann man den Eindruck gewinnen, als reiche der Blick im Stadtrat kaum zurück hinter die eigenen Hacken, geschweige denn weiter voraus als bis zum nächsten Schritt.
Die Verdienste eines Otto von Guericke sollen in dieser Stadt nicht geschmälert werden, aber historisch spielt der Kaiser halt in einer anderen Liga. Eine Otto-Marke mit mehreren Informationen zu verbinden, erzeugt nur eine trübe Brühe statt Klarheit. Insofern müsste man schlussfolgern, dass einige Chancen für die Strahlkraft Magdeburgs in den vergangenen 27 Jahren vertan wurden. Man mag beklagen, dass zu wenige sichtbare Zeichen aus der großen Mittelalterzeit erhalten geblieben seien. Es gibt den Ausspruch: Jeder Stein erzählt eine Geschichte. Die Redewendung ist aber nur die halbe Wahrheit. Es sind nicht die Steine, sondern Menschen, die Geschichte und Geschichten aufschreiben und weitertragen. Die Chancen, Magdeburg bekannter zu machen, liegen in uns allen selbst. Jeder muss nur Vergangenheit aufgreifen und davon erzählen, sie Kindern im Unterricht oder beim Spaziergang durch die Stadt vermitteln. Der „Rattenfänger von Hameln“ ist genau dadurch zu einer Berühmtheit geworden. Oder was wissen Sie sonst über den Ort an der Weser? Schade Otto, ein Spätstarter warst du zu Lebzeiten nicht. Thomas Wischnewski

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