Merkwürdiges vom Land der Bio-Biedermeier

Bio – das klingt heute wie ein Zauberwort. Biologisch und natürlich sind Metaphern für Evolution oder Schöpfung. Verheißungen, die damit etikettiert sind, tragen einen Heiligenschein mit merkwürdig religiöser Kraft. Eine bio-kritische Betrachtung unter naturwissenschaftlichen Aspekten.

Neben dem Geschlechtstrieb bestimmt kein Bedürfnis das Handeln des Menschen so sehr wie die Sehnsucht nach moralischer Überlegenheit.“ wissen wir durch Franz Werfel. Daraus erklärt sich, warum die sogenannten „Bio-Produkte“ beliebt sind. Konsumenten von „Bio-Lebensmitteln“ sind der Überzeugung, dass sie die Umwelt schonen, dem Tierwohl dienen, gesünder leben und dass ihre teureren Nahrungsmittel besser schmecken.
Dieser Glaube trägt mittlerweile religiöse Züge. Aber egal, ob man Getreideprodukte, Gemüse oder Eier verkostet: Sowohl hinter verschlossenen Türen als auch vor den Fernsehkameras bei Tim Mälzer, bewerten Testpersonen im Blindversuch „Bio-Lebensmittel“ geschmacklich nicht besser als solche aus konventioneller Landwirtschaft. Lediglich bei Fleisch und Fleischprodukten mag es sein, dass Tiere, die langsam herangewachsen sind, den im Turboverfahren herangezogenen Artgenossen in Qualitätsmerkmalen überlegen sind. Ein Aspekt, der den Anspruch auf moralische Überlegenheit begründet, ist der Glaube, dass man das Tierwohl fördert, wenn man „Bio“ wählt. Geht es den Tieren auf dem „Biohof“ wirklich besser? Das ist weder generell zu bejahen noch zu verneinen. Wenn Rinder, Schafe und Ziegen auf der Weide gehalten werden, geht es ihnen gut. Aber konventionelle Landwirte praktizieren das auch. Wenn man Hühner in kleinen Völkern hält, ist das artgerecht. Aber damit kann man weder ein 60-Millionen-Volk ernähren noch können Bauern damit auskömmlich verdienen. Also streben auch „Biobetriebe“ nach größeren Einheiten. Wer seinen Eier- und Wurstbedarf beim Bauernhof im Umfeld deckt, mag seine Ansprüche erfüllen können. Wer die „Bioprodukte“ im Supermarkt einkauft, gibt sich wohl doch eher einer Illusion hin. Sein Konsumverhalten unterscheidet sich kaum von dem der Kunden, die sich bewusst gegen „Bio“ entscheiden oder über diese Fragen nicht nachdenken. Er zahlt nur mehr. Wenn „Bio-Bauern“ Hühner in größeren Einheiten halten und nach Biorichtlinien auf das Schnabelkürzen verzichten, bewirken sie, dass sich die Tiere später pi- cken. Die Pein, die sie dann erdulden, ist schlimmer als der einmalige Schmerz des Schnabelkürzens.
Ein Vergleich der Geflügelhaltung zwischen „Bio“ und Konventionell zeigt übrigens, dass in „Bio-Betrieben“ mehr Tiere sterben als in der konventionellen Haltung. Das sorgt hinsichtlich des Tierwohls für Fragezeichen! Gleiches gilt für die Schweinehaltung. Es gibt Berichte, dass Schweinehalter, die ihren Betrieb auf „Bio“ umgestellt hatten, diese Entscheidung rückgängig gemacht haben. Zu viele Tiere seien gestorben, weil u. a. Schimmelsporen aus der Stroheinstreuung Erkrankungen hervorgerufen haben. Das spricht keinesfalls für eine generelle Überlegenheit von „Bio“.
Und was hat es mit den viel beschworenen Pestizidrückständen in Obst und Gemüse und den daraus abgeleiteten Gesundheitsgefährdungen auf sich? Festzuhalten ist, dass Feld- und Gartenbau generell nicht ohne Pflanzenschutz auskommen. Egal ob Konventionell oder „Bio“, es wird gespritzt. Deshalb finden sich auch Spuren von Spritzmitteln in den Lebensmitteln. Aber „Die Dosis macht das Gift“ wusste Paracelsus schon im 16. Jahrhundert. Es gibt für Rückstände in Lebensmitteln Grenzwerte, die so niedrig sind, dass man eine Gefährdung ausschließen kann. Ein Problem ist aber, dass solche Mittel nicht allein gegen die Pflanzenschädlinge wirken. Insektizide töten auch Nutzinsekten wie Bienen, Hummeln, Marienkäfer usw. Auch wenn die Mittel mit der größten unspezifischen Breitenwirkung wie z. B. DDT, Lindan, Parathion (E 605) u.a. schon lange nicht mehr angewendet werden dürfen, ist das heute immer noch so. Allerdings haben die Chemiekonzerne inzwischen Pflanzenschutzmittel entwickelt, die bei bestimmungsgemäßer Anwendung mit vertretbaren Beeinträchtigungen der Natur einhergehen. Wenn man diese Chemikalien nicht einsetzt oder weniger wirksame Mittel verwendet, gibt es Missernten. Die waren im Jahr 2016 bei Ökowinzer und -obstbauern zu beobachten. Im Spreewald beklagten die „Biogurken“-Erzeuger und in der Pfalz die „Biokartoffel“-Produzenten Totalausfälle. Auch die Schweizer zeigten, was passiert, wenn man Getreide nicht mehr mit Mitteln gegen Pilzkrankheiten (Fungiziden) schützt. Die Körner waren vielfach so stark mit Schimmelgift belastet, dass sie nicht mal mehr verfüttert werden durften. Deshalb spritzen auch die meisten „Biobauern“ gegen Schädlinge. Allerdings müssen sie dabei die weltfremden Vorschriften für den „Ökologischen Landbau“ einhalten. Alles, was aus den Retorten der Chemiker kommt, ist verboten. Das verkennt natürlich, dass Gifte aus der Natur keinesfalls weniger toxisch sind.  Spinosad, Azadirachtin und Pyrethrine sind Beispiele für Insektizide, die im Ökolandbau gespritzt werden dürfen. Sie stammen aus einem Bodenbakterium, dem tropischen Neembaum bzw. aus Chrysanthemen. Also sind sie natürlicher Herkunft und gelten somit als gut. Dass sie auch nützliche Insekten töten, nimmt man in Kauf. Chemiker haben zum Ersatz der Pyrethrine das chemisch sehr ähnliche Pyrethrum bzw. seine Abkömmlinge, die Pyrethroide entwickelt. Die sind nicht nur billiger und wirksamer sondern weniger giftig für Mensch und Tier. Bienen kommen damit nicht in Berührung, weil sie schon vor dem Geruch fliehen. Aber die „Biobauern“ müssen nach ihren Regeln die umweltschädlichen und bienentötenden Pyrethrine natürlicher Herkunft den intelligenten Lösungen vorziehen. Eine weitere Posse spielt sich um das Fungizid Kaliumphosphonat ab. Die Ökobranche arbeitet sehr trickreich. Wenn sie eine Chemikalie nicht als Pflanzenschutzmittel sondern als „Pflanzenstärkungsmittel“ bezeichnet, kann sie diese einsetzen, ohne die strengen Auflagen für den Pflanzenschutz einzuhalten. Deshalb hat sie das Kaliumphosphonat einfach als Pflanzenstärkungsmittel ausgegeben. Aber die Brüsseler Behörden haben dem Betrug ein Ende bereitet, Kaliumphosphonat als Fungizid eingestuft und zugleich festgestellt, dass es nicht natürlichen Ursprungs ist. Damit ist dieses wirksame Mittel, ohne das im Weinbau kaum noch etwas geht, für die „Bio-Winzer“ tabu. Bemerkenswert ist auch, dass Kaliumphosphonat von den Pflanzen nicht abgebaut werden kann und sich daher in erheblichen Mengen in „Bio-Produkten“ fand, die auf den Tisch kamen. Also ist eigentlich das Verbot logisch. Aber ohne das Mittel bricht die „Bio-Wein“-Produktion zusammen. Deshalb läuft die Ökobranche gegen dieses Urteil Sturm. Jetzt hat sie ein Argument für die angebliche „Naturstofflichkeit“ der Chemikalie gefunden: Chemiker der NASA haben Phosphonsäure im Murchison-Meteoriten-Extrakt festgestellt. Also, so die Theorie, könnte es im Weltraum natürliches Kaliumphosphonat geben. Da freuen sich die Grünen, dass die milliardenschwere Weltraumforschung nun doch noch einen guten Zweck erfüllt. Für Menschen mit weniger Sympathie für grünes Zwiedenken mag es sich hier um ein Übertreten der Schwelle in den Herrschaftsbereich des Schwachsinns handeln. Und noch eine Bemerkung zum Kaliumphosphonat. Es ist chemisch dem Unkrautvernichter Glyphosat sehr verwandt. Letzteres ist hinsichtlich seiner gesundheitlichen Risiken eine der bestuntersuchten Chemikalien. Es ist entgegen aller Propaganda unbedenklich! Zu Kaliumphosphonat hat man hingegen kaum Daten. Trotzdem kämpfen die Grünen und alle „Ökos“ wie die Berserker gegen Glyphosat und für Kaliumphosphonat. Und dann sind da noch die Kupferspritzmittel! Weil Biobauern gegen Pilzerkrankungen kein wirksames Fungizid zur Verfügung steht, spritzen sie Lösungen von Kupfersalzen: Im Schnitt 2,5 kg Kupfer pro Hektar und Jahr im Weinbau und sechs kg im Obstbau. Ebenso im Kartoffelanbau gegen die berüchtigte Kraut- und Knollenfäule. Die Experten der Europäischen Behörde für Nahrungsmittelsicherheit (EFSA) halten den Einsatz des Schwermetalls für hoch riskant. In ihrem Report heißt es, dass Kupfer Regenwürmer, wirbellose Wassertiere und Fische tötet. Aber auch für Menschen, insbesondere für Kinder, sei Kupfer ab einer gewissen Dosis gesundheitsschädlich. Schon im Jahr 1992, wollte die EU den Kupfereinsatz verbieten. Weil die Vertreter des „Biolandbaus“ aber versicherten, es gäbe keine Alternative, wurde ihnen Aufschub gewährt. Umweltfreundliche Alternativen gibt es dennoch, aber die kommen nicht aus der Natur und sind deshalb nicht gewollt. Es ist auch rätselhaft, wieso eine Partei, die die Schonung von  begrenzt verfügbaren Ressourcen als eine ihrer Kernkompetenzen ausgibt, dafür eintritt, dass jährlich hunderte Tonnen Kupfer vergeudet werden.
Hinter der übertriebenen Angst vor Pestiziden in der Nahrung wird eine reale Gefahr unterbewertet. Das ist das Auftreten von hochgefährlichen Tropanal- und Pyrrolizidinalkaloiden sowie von Aflatoxinen. Diese Gifte gelangen meist über Unkräuter bzw. Schimmelpilze in die Nahrung und finden sich überdurchschnittlich häufig in „Bio-Lebensmitteln“. Das erklärt sich dadurch, dass Unkräuter und Schimmelpilze bei dieser Produktionsweise nur unzureichend bekämpft werden.
Es lässt sich festhalten, dass sich in der „Biolandwirtschaft“ allerlei abspielt, was sich mit gesundem Menschenverstand nicht erschließen lässt. Dabei sind die Demeter-Bauern, die nach den esoterischen Phantasien Rudolf Steiners (1861-1925) arbeiten, noch gar nicht angesprochen. Wollte man diese Sparte mittelalterliches Denkens und Handelns angemessen beschreiben, müsste man ein ganzes Heft füllen.
Leser, die diesen Artikel bis hierher verfolgt haben, wird aufgefallen sein, dass ich Wortzusammensetzungen mit der Silbe „Bio“ konsequent in Anführungszeichen setze. Genau genommen bezeichnet die Silbe „Bio“ nämlich alles, was mit der belebten Natur zusammenhängt. Sie könnte für alle tierischen, pflanzlichen und mikrobiellen Produkte, unabhängig davon, ob dem Produktionsverfahren eine bestimmte Philosophie zugrunde liegt oder nicht gebraucht werden. Stünde „Bio“ wirklich für „biologisch“, bräuchten wir keine Kennzeichnung, denn in diesem Sinne kann man „Bio“ auch so erkennen. Nur Tafelwasser, Kochsalz, Backpulver und noch ein paar Kleinigkeiten im Nahrungsmittelsektor wären dann nicht „Bio“. Trotzdem gibt es im Handel „Bio-Speisesalz“.  „Vergessen Sie nicht ihre Speisen mit einer Prise Verlogenheit zu würzen“, könnte der dazu passende Werbeslogan lauten. Gleiches gilt für „Bio-Tafelwasser“. Auch das ist Unsinn, es sei denn, dass das abgefüllte Nass direkt aus einer biologischen Abwasserkläranlage kommt. Dagegen wäre gar nichts einzuwenden, wenn das biologisch geklärte Abwasser zum Schluss wirklich sauber wäre. Aber Vorsicht! Selbst die Israelis, die in Sachen Wasseraufbereitung als Weltmeister gelten, schaffen es kaum, die Hormone, die aus den Anti-Baby-Pillen über Urin ins Abwasser gelangten, vollständig zu entfernen.
Ist denn nun die ganze „Biolandwirtschaft“ Unsinn? Keinesfalls, sondern nur dann, wenn wir deren Definition weiterhin der mächtigen Bionaden-Bourgeoisie überlassen. Die will nicht eine ökologische Landwirtschaft, die den Namen verdient, sondern sie strebt eine Biedermeierromantik auf dem Lande und auf den Märkten an. Was „Bio“ bedeutet, sollten endlich Leute festgelegen, die das Fach Biologie in der Schule nicht abgewählt und auch während des Unterrichts nicht nur gedöst haben. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die Pflanzenschutz und Düngung nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten praktiziert und deshalb umweltverträglich ist. Bei solcher Wirtschaftsweise ist die Ertragslage zum Teil doppelt so hoch wie in der von den Grünen favorisierten Biedermeierlandwirtschaft. Mit einem ertragreichen Landbau können wir es uns dann auch leisten, 10 bis 20 % der Felder als ökologische Vorrangflächen (Brachen, Blühstreifen, Lerchenfenster, Hecken usw.) auszuweisen, damit auch Lerchen und Rebhühner sowie Hasen wieder eine Überlebenschance bekommen. Dieses wirksame und wissenschaftlich fundierte Agieren nennen wir „integrierter Pflanzenschutz“ (bitte googeln!). Wichtig wäre es, die Landwirtschaft wieder zu einem vorrangigen Feld für Forschung zu erklären, damit Produktion und Ökologie besser als jetzt zusammengehen. Es ist ein Skandal, dass an Deutschlands Universitäten eine große Zahl von Instituten für Landwirtschaft abgewickelt worden ist. Prof. Dr. Reinhard Szibor

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