Kunstvolle Sozial-Jongleure
Ich gestehe: manchem Zeitgeschehen kann ich geistig nicht mehr folgen. Offenbar bin ich ein extrem ideenloser Tropf mit engem Verstand und wenig Kreativpotenzial. Andere stehen da auf geistigen Gipfeln, die für mich lebenslang unerreichbar sein werden. Ja, wir brauchen Einfallsreichtum am Arbeitsmarkt. Dringender denn je. Mit welchen Aufgabenstellungen sich die Individuen einer Zukunftsgesellschaft gegenseitig nützlich sein werden, wissen wir nicht. Lebensmittel müssen ganz sicher erzeugt werden. Doch an welcher Stelle Automatisierung den arbeitenden Menschen nicht verdrängt, bleibt Vermutung. Nicht arbeiten zu müssen, ist eine durchaus sympathische Vorstellung, vorausgesetzt man kann dabei gut leben. Ein Team beispielhafter Visionäre ist solchen Zukunftsaufgaben bereits auf die Schliche gekommen. Am 30. Juni kann man sich im Magdeburger „Forum Gestaltung“ (17:30 Uhr) über die neue Berufsaus- oder -weiterbildung zum „Sozialkünstler“ informieren. Im kommenden Herbst startet der erste zweijährige Lehrgang. Kosten: 412 Euro monatlich. „… sich mit künstlerischen Impulsen im sozialen Kontext zu bewegen“, heißt es phrasenhaft schwülstig im begleitenden Schreiben. Ich erspare Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die weiteren Plattitüden des Textes. Versprochen, es wird mit keinem Satz besser. Einen Moment lang habe ich überlegt, ob ich die brotlose Kunst des Schreibens sein lasse und mich zum Sozialkünstler mit Spezialisierungsrichtung Sozialclown qualifiziere. Ja wirklich, wir haben Sommer, es ist kein Aprilscherz. Den Kurs gibt es. Ich will selbstkritisch sein: Mein begrenzter Horizont folgt aus meinen kleinkarierten Denkmustern. Ich konnte ja ebenso wenig im April die Sexismuskritik der Gleichstellungsbeauftragten Heike Ponitka verstehen. Sie hatte sich über das Bild des Malers Robin Zöffzig echauffiert, das die Magdeburger Jungfrau neben anderer Wappensymbolik barbusig zeigte. Es wäre als Aushängeschild der Landeshauptstadt zur Leipziger Buchmesse völlig ungeeignet. Offenbar sind jedoch andere Magdeburger im Rathaus von eben solcher Verstandesenge wie ich. Jedenfalls erwerben nun dieselben das Zöffzig-Gemälde und werden es im Eingangsbereich des Rathauses, an einer Wand zum Ratskellerabgang, aufhängen. Wie kann man gegenüber einem Sexismusvorwurf nur derart ignorant sein? Doch so ist es mit uns engen Geistern. Deshalb habe ich für spätere, ausgebildete Sozialkünstler derzeit leider nur ein Kopfschütteln übrig. Wenn ich aber länger über die Berufsbezeichungnachdenke, fällt mir ein, wir sind längst alle soziale Künstler. Jedenfalls jonglieren wir kunstvoll mit allem Sozialen. Wozu dann diese Ausbildung. Ich werde es wohl nicht mehr verstehen. Thomas Wischnewski