Kulturhauptstadtträume und Erinnerungskultur – ein Widerspruch in sich

Manche Stadtväter erweisen sich im Streit über ein Gedenkportal für die einstige Ulrichskirche geschichtsvergessen, träumen jedoch vom Titel Europäische Kulturhauptstadt. Über Magdeburger Widersprüche in Proklamation und Wirklichkeit.
Die Diskussion zum Thema Sankt-Ulrich-und-Levin-Kirche in Magdeburg hört nicht auf. Solange dieses Symbol des einstigen Magdeburger Glanzes nicht wieder fest in unserer Erinnerungskultur verankert ist, muss das auch so sein! Diese Kirche war wie kaum ein anderes Bauwerk mit der deutschen Geschichte verbunden. Jeder, der sich für Magdeburg interessiert, könnte es wissen. Das Gotteshaus war dem Weggefährten von Kaiser Otto dem Großen geweiht, dem Bischof Ulrich von Augsburg. Beide vereinten zusammen im Jahre 955 die deutschen Völker auf dem Lechfeld bei Augsburg gegen die Ungarn. Das war der Ursprung Deutschlands. Die Ulrichskirche gehört zu den zentralen Orten der Reformation, die genau vor 500 Jahren begann. Luthers Freund, Nicolaus von Amsdorf, wurde ihr Pfarrer. Von hier aus fanden Streitschriften mit Luthers reformatorischen Ideen ihren Weg durch Deutschland und ganz Europa. Die Ulrichskirche verhalf unserer Stadt zu dem Namen „Unseres Herrgotts Kanzlei“. Später war sie die Tauf- und Heiratskirche Otto von Guerickes. Die „Bekennende Kirche“, die sich während des „Dritten Reichs“ gegen die Nazibarbarei zur Wehr setzte, fand hier eine Plattform. Die berühmteste Rede hielt Günther Dehn, woraufhin er geächtet wurde. Auch Oskar Zuckschwerdt brachte sich selbst in Gefahr, weil er in der Ulrichskirche einen Juden taufte. Es stünde Magdeburg gut zu Gesicht, würde es sich mit dieser Geschichte identifizieren.
Im Mai dieses Jahres schaut die Welt auf Magdeburg. Wir feiern mit einem ökumenischen Kirchentag in Berlin, Wittenberg und Magdeburg 500 Jahre Reformation! Magdeburg ist dabei, weil es hier eine Ulrichskirche gab, von wo aus die Reformation ihren Weg durch Europa nahm. Unser OB, Dr. Trümper, wird die Gäste begrüßen und ganz sicher in seinem Grußwort die herausgehobene Bedeutung der Stadt für die Reformation herausstellen. Wenn er aber von der kritischen Presse zur Ulrichskirche befragt werden wird (wovon auszugehen ist), wird er einräumen müssen, dass es zwar ein lobenswertes bürgerliches Engagement zur Errichtung eines Ulrichskirchen-Denkmals gibt, diese Initiative aber vom rot-rot dominierten Stadtrat geschmäht und ausgebremst wird.
Die Historie, derer wir uns erinnern sollten, dreht sich nicht nur um die Stolz vermittelnden Fakten um die Reformation und die „Bekennende Kirche“. Nachdem die Nazis die Welt mit einem unmenschlichen Vernichtungskrieg überzogen hatten, wendete dieser sich gegen das Ursprungsland selbst und legte auch Magdeburg in Schutt und Asche. Aber damit nicht genug. Die stark beschädigte Ulrichskirche und mit ihr sieben weitere Kirchen fielen den Barbaren um Walter Ulbricht zum Opfer und wurden gesprengt. Es war eine ehrenwerte Initiative der Gruppe um Dr. Tobias Köppe, sich für den Wiederaufbau der Ulrichskirche (eine von acht, eine für alle!) zu engagieren. In Dresden und Leipzig war ja mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche bzw. der Universitätskirche ähnliches gelungen. Aber es gab gewichtige Gegenargumente. Die Wiederherstellung der Kirche würde das Stadtzentrum so stark verändern, dass sich viele Magdeburger damit nicht anfreunden konnten. Schließlich sprach sich in einem Referendum eine deutliche Mehrheit der Magdeburger gegen den Wiederaufbau der Kirche aus. Aber sollte man nicht wenigstens an gleicher Stelle ein Denkmal setzen? Das Kuratorium Ulrichskirche e.V. kämpft seitdem für die Sichtbarmachung der noch vorhandenen Grundmauern und die Nachbildung des Portals. Es gibt gute Argumente für das Denkmal, die übrigens voll und ganz auf Werten beruhen, die man auch getrost als klassisch sozialdemokratisch definieren könnte: Verehrung fortschrittlichen und freiheitlichen Gedankengutes (Reformationsgedenken), Widerstand gegen Faschismus und Judenhass (Heimat der Bekennenden Kirche) und Mahnmal gegen Krieg und Gewaltherrschaft! Wüsste man es nicht anders, könnte man denken, die Argumente des Kuratoriums Ulrichskirche e.V. seien aus dem kulturpolitischen Programm der SPD abgeschrieben. Die Idee zur Denkmalserrichtung findet im Stadtrat bei allen Zustimmung. Nur die Abgeordneten der Linken und der SPD, sowie eine FDP-Abweichlerin stimmen dagegen. Die SPD-Genossen zeigen sich genervt und bekommen nach eigenem Bekunden bei dem Thema „Blutdruck“. Sie und die Linken begegnen den ehrenwerten Mitgliedern des Kuratoriums mit an Hass grenzender Geringschätzigkeit. Die Genossen zeigen eine Entschlossenheit, als ginge es nicht um die Errichtung eines Denkmals, sondern um den Bau eines AKWs vom Tschernobyl-Typ inmitten der Stadt. Sie werfen den Befürwortern ein Ignorieren des Bevölkerungsvotums vor. Allerdings ist das Missverständnis in Sachen Demokratie klar bei den beiden roten Parteien und der FDP-Abweichlerin erkennbar. Ein Bürgervotum gegen den Wiederaufbau, der das Stadtbild massiv verändern würde, bedeutet keineswegs eine Ablehnung eines Denkmals, das sich dezent und harmonisch in die Grünanlage einfügen würde. Es handelt sich hier um eine unzulässige Umdeutung des Wählerwillens.
Es sind Zweifel angebracht, ob die Magdeburger SPD-Stadträte überhaupt den Willen ihrer Basis vertreten! Die SPD im Osten wurde gegründet und geprägt überwiegend von einem kirchennahen Bildungsbürgertum. Dafür stehen Namen wie Markus Meckel, Wolfgang Thierse, Friedrich Schorlemmer, Manfred Stolpe, Regine Hildebrandt, Reinhard Höppner, Willy Polte u. a. m. Die Ideale und ethischen Grundsätze dieser Persönlichkeiten sind in der Partei weit verbreitet. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie entsetzt die Genannten sein müssen, wenn sie vom politischen Agieren ihrer Magdeburger Genossen erfahren. Regine Hildebrandt und Reinhard Höppner würden sich im Grabe umdrehen.
Alles in allem ist bei der Mehrheit im Stadtparlament eine traurig machende Geschichtsvergessenheit erkennbar, die sich aber nicht nur beim Thema Ulrichskirche zeigt.
Magdeburg hätte noch weitere Glanzlichter zu bieten. Dazu gehört auch eine herausragende Geschichte der Arbeiterbewegung. Welche Stadt kann schon darauf verweisen, dass ihre Bürger Adolf Hitler mit Pfeifkonzerten und Steinwürfen empfangen haben? (so geschehen 22. Oktober 1932.) Der „Führer“ hat Magdeburg, die „rote Stadt“, seitdem gemieden! Einer der großen Söhne der Stadt, ein mutiger Antifaschist und respektabler Dichter war Erich Weinert. Er wurde in der Weimarer Zeit und in der DDR zu Recht mit Kurt Tucholsky, Louis Fürnberg etc. in einem Atemzug genannt. In Magdeburg gibt es ein Erich-Weinert-Denkmal, aber das ist in Buckau im Hinterhof seines Geburtshauses versteckt. In anderen Städten würde man es stolz an einem repräsentativen Ort platzieren. Wer sonst als die roten Parteien sollten sich darum kümmern? In Magdeburg haben offenbar die Stadträte der „Linken“ und der SPD weder Interesse an der Geschichte ihrer Stadt noch an der ihrer Parteien. Aber es kommt noch schlimmer. Als Schüler der Grundschule Friedensweiler und später der Karl-Marx-Schule in Cracau (heute Thomas-Mann-Schule) führten unsere Klassenausflüge oft zum Denkmal Muttereiche am Rande des Biederitzer Busches. Das war ein Ort, an dem sich Magdeburger Sozialdemokraten zur Zeit des Sozialistengesetzes heimlich trafen, um Pläne für eine demokratische Gesellschaft zu schmieden. Auch später war es ein Wallfahrtsort der Arbeiterbewegung. Der Gedenkstein ist zu einem Schandmal der Geschichtsvergessenheit verkommen. Wenn ich heute mit meinem Enkel oder auch mit Gästen eine Radtour durch den Biederitzer Busch unternehme, meide ich diesen Ort. Ich möchte mich nicht fremdschämen.
Magdeburg bewirbt sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“. Prof Puhle und sein Team verfolgen das Konzept, mit der glanzvollen Geschichte Magdeburgs zu punkten. Aber für die Verdienste von Persönlichkeiten vergangener Epochen gibt es den Titel nicht. Nur wenn die Magdeburger ihr Kulturerbe aufnehmen und in ihren heutigen Aktivitäten pflegen, ist das preiswürdig. Was die musikalische Tradition Magdeburgs mit Telemann, Rolle, Wagner usw. betrifft, funktioniert das hervorragend, nicht aber mit den Themen die oben diskutiert wurden. Wenn Prof. Puhle ohne Unterstützung des Stadtrates oder gar gegen dessen Widerstand arbeiten muss, wird aus dem Titel nichts. Aber vielleicht besinnen sich ja wenigstens die SPD-Stadträte noch eines Besseren und erkennen ihren Fehler. Wie sagte doch kürzlich ihr neuer Hoffnungsträger? „Fehler zu machen ist nicht ehrenrührig. Wichtig ist: Wenn Fehler erkannt werden, müssen sie korrigiert werden.“ Dem Kuratorium ist die Pflege einer konzilianteren Streitkultur und eine verbale Abrüstung zu empfehlen. Das würde sicher dem Stadtrat eine Kurskorrektur erleichtern. Aber letzten Endes geht es nicht darum, dem Kuratorium einen Gefallen zu tun, sondern der Stadt Magdeburg. Prof. Dr. Reinhard Szibor

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