Konterkommunikation

Man kann sich in dieser Zeit eigentlich nicht mehr sicher sein, ob es noch einmal eine stabile deutsche Regierung gibt. Und das angesichts der vielen Beteuerungen, dass dieses Land doch wirtschaftlich robust dastünde, ja gleichsam floriere. Ja, vielen Menschen geht es gut. Leider vielen anderen nicht. Wer für solche eine Vergleichskeule herausholt, um ihnen vor Augen zu halten, wie schlecht es anderen Menschen auf diesem Erdball geht, spricht im Hohn. Es nutzt ebenso wenig ein Verweis auf irgendwelche Statistiken und ökonomische Daten. Niemand kann das mit seinem individuellen Sein in Verbindung bringen. Doch es wird weiter abstrakt von oben gepredigt. Es irritieren gleichsam die vielen scheltenden Stimmen, dass sich in einem künftigen Regierungskabinett zu wenig Frauen oder zu wenig Ostdeutsche wiederfänden. Wenn sich doch nur Sachverstand, Durchsetzungsvermögen und Ideenreichtum versammeln würden, wäre jede Quotierung obsolet. Politiker studieren heute Studien, lassen sich aus dem akademischen Himmelreich universitärer Theorie das Leben erklären. Nur leider findet es genau dort nicht statt. Leben – und das weiß jedes Kind – realisiert sich im Angesichts persönlicher Anstrengungen, Verantwortung, im Scheitern und Annehmen von Herausforderungen, meistens im Angesicht zu Angesicht. Deshalb denken und fühlen Menschen an der Basis anders als abstrahierende Politiker und Wissenschaftstheoretiker. Es existiert ein Missverhältnis zwischen Theorie und Praxis, eines zwischen oben und unten. Deshalb verpuffen viele Botschaften aus der politischen Proklamationssphäre. Die Ansprache, verwendete Floskeln und gebetsmühlenartige Versprechen finden seltener das  Bürgerverständnis. Hören Sie mal genau hin: Auf der Straße begegnet man sich und versichert sich wechselseitig der Überzeugung, vor allem in der Kritik an der Macht. Was von oben verkündet wird, trägt sich nicht mehr weiter, sondern hängt offenbar in einer Art Zwischenwelt fest. Die Kommunikation zwischen Volk und Eliten hat Lücken oder ist bereits in wichtigen Bereichen durchtrennt. An der Basis macht sich eine Konterkommunikation breit, die kaum noch verarbeitet, was nach unten gepredigt wird. Neue Köpfe in der Regierung bringen keine neuen Konzepte, keine Visionen für wesentliche Veränderungen. Deutschland geht es gut – sagte die Kanzlerin vor der Bundestagswahl. Das stimmt sogar, wenn man nichts anderes sieht und hört bzw. wirklich erlebt. Jeder ist ein kleines Stück Deutschland und deshalb fühlen sich viele von dem Satz ausgeschlossen. Thomas Wischnewski

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