„Ich seh’ den Sternenhimmel …“
Gendersprachgerechtigkeit oder die Diffamierung menschlicher Vorstellungskraft
Sprachwandel führt zu gerechtem Denken in Geschlechterfragen und letztlich zu einem besseren Handeln füreinander. So lautet eine Grundannahme des Gendermainstreams. Längst beherrschen sozialwissenschaftliche Forschungen politisches Handeln. Kritik daran wird als rückschrittlich diffamiert. Eine Streitschrift über Kritikintoleranz und zu schmale Leitsätze.
Das Glück steht in den Sternen, so heißt es oft. Die schönsten Verheißungen für alles Kommende wird gern in ferne Sphären orakelt. „Oh guter Mond am Firmament / Spür wie meine Sehnsucht brennt / Oh komm Czigan spiel für uns allein / Die Melodie brauch ich zum Glücklichsein… Ich seh’ den Sternenhimmel… “ trällerte einst fröhlich der NDW-Musiker Hubert Kah. So viel wir heute auch über Werden und Vergehen im Weltall wissen mögen, die Rätsel um Vergangenheit und Zukunft lassen sich dadurch nicht lösen. Und wir haben nicht die leiseste Ahnung davon, welche Geheimnisse das Universum für uns noch bereit hält. Diese Unbestimmbarkeit macht das Verschieben von fernen Geschehen in die Sternenwelt so leicht, obwohl wir im Gegenzug davon überzeugt sind, jede kleinste künftige Veränderung zu kennen. Nun öffnet sich über uns ein weiterer Sternenhimmel. Einer, der sich über Buchstaben erhebt, sich zwischen Silben schiebt und der im deutschen Sprachuniversum heller leuchten soll, als alle bisher bekannten Sonnen.
Es geht beispielsweise um das eingefügte Sternchen, das die Vielfalt an Geschlechtern symbolisierend in die Schreibsprache aufnehmen und repräsentieren soll. Eine wesentliche Aufgabe für die Veränderung von Sprache sei deren Entsexualisierung. Ein anderer meint die bisherige, vorrangig vom generischen Maskulinum bestimmte deutsche Sprache müsste dahingehend gestaltet werden, damit das generische Femininum in der Sprachkommunikation die Gerechtigkeit der Geschlechter repräsentiere. Unterstellt wird damit, dass ein Beibehalten tradierter Begriffe erstens die Benachteiligung von Frauen verfestigten und zweitens weitere soziale Geschlechter wie zum Beispiel Transgender oder Intersexuelle und viele andere mehr gar nicht sprachlich berücksichtigt würde. Kann sein, möchte man den „Verfechtenden“ eines kulturkonstruktivistischen Geschlechterverständnis tolerant entgegnen. Bringt man jedoch Argumente über verkürzte Sichtweisen, defizitäre Interpretationen und ideologisierte Zielvorstellungen dagegen in Stellung, wird oft intolerant mit dem Bann „alter, grauer Mann“ chauvinistischer Prägung mit Machtverlustängsten reagiert. Im Zurückweisen kritischer Einwände könnte heute sogar eine Tendenz „inqusitorischer“ Züge gesehen werden. Wer gendergerechten Glaubenssätzen nicht Folge leisten wolle, verharre in archaischen Denkmustern und bleibt konservierter Geist ohne Veränderungsbereitschaft. Gesteinigt wird deshalb nicht, aber Ausgrenzung, Feinderkennung bis hin zu Diffamierungen in der Öffentlichkeit gehören ins Repertoire der „Sternen-krieger*Innen“.
Die Waffen im Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache ist das scharfe Wort. Und selbiges wird geschliffen an den weisen Steinen der Genderforschung. Prinzipiell gibt es gegen die vielen Fachbereiche der Sozialwissenschaften gar keinen Einwand. Es ist schließlich wichtig, Ursachen für Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen aufzudecken. Doch seit viele Forderungen aus der Forschungssphäre in politische Programmatik einflossen und zum ideologischen Dogma wurde, wächst der Belehrungsdruck, wie die anderen, die wenigen bekannten, aber auch unzähligen unbekannten Individuen jederzeit mitsprechen und mitdenken müssen.
Sprache bestimmt das Handeln – so lautet einer der Leitsätze geschlechtergerechter Verfechter für Sprachkorrekturen. Natürlich beinhaltet der Ausspruch einen wahren Kern. Allerdings darf man den Grundsatz sicher nicht als alleinige Rechtfertigung für massive Eingriffe in die Schriftsprache stehen lassen. Die jüngere Geschichte des vergangenen Jahrhunderts ist voller Belege dafür, dass sich beispielsweise historisch gewachsene Benachteiligungen für Frauen komplett oder teilweise unter der angeblich überwiegend patriarchalischen Sprache aufgelöst bzw. verändert haben. Die Einführung des Frauenwahlrechts sei hier als herausragendes Beispiel genannt. Am 19. Januar 2019 jährt sich die Wahl zur damaligen Deutschen Nationalversammlung, bei der Frauen erstmals ihre Stimme abgeben konnten, zum 100. Mal. Zahlreiche andere Regeln im Bürgerlichen Gesetzbuch, die Frauen eine gleichwertige rechtliche Stellung gegenüber Männern versagten, wurden in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts annulliert. Seit 1958 dürfen Frauen Auto fahren und ein eigenes Konto eröffnen. Davor hatte der Ehemann das Letztentscheidungsrecht.
Im heutigen Verständnis blickt man zurecht mit Irritation auf solche Ungerechtigkeiten gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Und selbstverständlich war zu jeder Zeit der Einsatz von Menschen nötig, damit diese Veränderungen durchgesetzt werden konnten. Was die Beispiele jedoch untermauern sollen, ist die gesellschaftliche Entwicklung trotz einer relativen Stabilität generischer Geschlechterbegriffe in der deutschen Sprache. Was diese Polemik keineswegs ausklammert ist, dass allgemeine oder individuelle Benachteiligungen für Frauen, für andere Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtervorstellungen, aber auch für Männer existieren. Aber zu meinen, dass sich solche Differenzen einfach dadurch auflösten oder überwinden ließen, indem man der Schriftsprache auf den Pelz rückt, muss weitgehend als Glaubensbekenntnis angesehen werden. Die Genderforschung wird dagegen unzählige Studien ins Feld führen, die nachweisen sollen, dass erstens vorrangig das generische Maskulinium für veraltete Rollenmus-ter verantwortlich sei und dass zweitens die Nutzung gendergerechter Schreibweisen auch zu Einstellungsveränderungen führen würde. An dieser Stelle muss kritisch gefragt werden, wer die Mehrheit solcher Studien mit welchen Fragestellungen auf den Weg gebracht hat und welche Maßstäbe an die Interpretation der Ergebnisse angelegt wurden. Es darf genauso gläubig gemutmaßt werden, dass andere Fragestellungen und Messlatten der Bewertung zu anderen Ergebnissen führen würden.
Woran sich diese Kritik nicht abarbeitet, sind die zahlreichen Beispiele dafür, welches sinnverdrehende Verständnis unter Begriffsveränderungen mittlerweile entstanden ist. Natürlich hätten Vertreter des Gendermainstreamings recht, dass eine weitgehende Verbreitung und Nutzung solchen Vokabulars über Generationen hinweg zum allgemeinen Sprachgebrauch und Bedeutungsverständnis würde. Doch genau in dieser Annahme liegt die Generalkritik dagegen. Die tiefere Bedeutung von Worten, in welchen komplexen Verständnissen ein Begriff verwenden wird, hängt von viel mehr Faktoren ab, als von der reinen Sprachform. Im Prinzip unterstellte die Gender-These, dass der menschliche Geist nicht zu ausreichender Abstraktion fähig wäre. Weil also im häufig verwendeten männlichen Sprachgeschlecht andere nicht ausreichend eingeschlossen sein würden, könnten Hinzufügungen wie Sterne oder das Binnen-I andere Geschlechter nicht gleichberechtigt gedacht werden. Dass unserem Geist diese Abstraktion abgesprochen wird, muss schon als eine perfide Anmaßung einer elitären, akademischen Sichtweise gelten. Permanent gepredigte Leitvorstellungen, wie sich das Sprachverständnis von Menschen angemessen zu verändern habe, enthalten regelrecht religiöse Behauptungszüge.
Geschlechter- oder Rollenbilder, die eine sehr lange historische Geschichte durchlaufen haben, werden nicht kurzfristig durch Sprachänderungsaspekte beeinflusst, sondern durch ein ausgesprochen komplexes Geflecht menschlicher Interaktion unter sich ändernden Bedingungen und Beziehungen zueinander. Biologische, wirtschaftliche, rechtliche, kulturelle, psychosoziale und gesellschaftliche Bedingungen bilden dabei ein kompliziertes Beziehungsgeflecht. So etwas wird natürlich von der Genderforschung berücksichtigt. Aber in der historischen Herleitung unterschiedlicher Rollenverständnisse greift scheinbar manche proklamierte Argumentation zu kurz. So wird beispielsweise in der Bewertung his-torischer schriftlicher Überlieferungen behauptet, dass sich ungerechte Rollenbilder über Frauen und Männer vorrangig im 17. Jahrhundert herausgebildetet hätten. Niemand wird aus heutiger Einsicht bezweifeln, dass damalige Geschlechterbeziehungen Frauen in ihrer gesellschaftlichen Stellung generell benachteiligten. Was die Geschichtsforschung jedoch nicht kann, ist eine verlässliche Aussage über Erlebnisqualitäten, sogenannte Qualia, der Vorfahren zu geben. Wie also die konkreten emotionalen Bewertungen individueller Lebenssituationen empfunden wurden, bleibt ewig im Nebel und kann eben nur interpretiert werden. Genau diese Interpretation geschieht jedoch und wird vielfach als wissenschaftliche Erkenntnis verkauft. Man kann eben heute Einsichten und Bewertungsmaßstäbe nie mit damaligen in einen objektivierbaren Vergleich bringen. So wenig ein Alexander Gauland von der AfD kürzlich zwölf Jahre Nationalsozialismus relativierend zu Tausend Jahre deutsche Geschichte auf einen „Vogelschiss“ reduzieren wollte, genauso wenig treffend können innere Rollenverständnisse von vor über 200 Jahren angemessen mit heutigen Wertungen in Verbindung gebracht werden. Man kann historische Bedeutung nicht an Zeit messen. Dann könnte man Jahre oder Jahrzehnte auch gleich in Kilogramm angeben.
Zu guter Letzt sei noch einmal unser Denken mit seiner immer noch unergründlichen Möglichkeit zu abstrahieren. Wer unbestimmt von einem Baum spricht, schließt für jeden verständlich eine Vielzahl an Arten ein. Im Prinzip funktioniert dies mit jedem der uns zur Verfügung stehenden Begriffe. Jedes verinnerlichte Wort enthält im Moment des Lernens zunächst eine ausgesprochen grobe Bedeutungsverknüpfung. Bringen Eltern ihren Kindern die Vokabel Tisch bei, ist die Vorstellung dazu anfangs eine sehr ungenaue. Erst im Verlauf des weiteren Lebens wird das Wort Tisch mit vielen zusätzlichen Aspekten verknüpft. Materialien, Formen, Größen und Funktionen und die ganz persönlichen Erlebnisse fließen in die Vorstellungen zum Wort Tisch ein. Geben ihm mit der Zeit Tiefe und Komplexität. Jeder Begriff, den wir in unser Hirn einpflanzen, macht mit fortschreitendem Leben eine Entwicklung mit. So wie ein dreijähriges Kind erst eine sehr rudimentäre Ich-Vorstellung besitzt, weist ein 80-jähriger Mensch ein Ich auf, dass sich aus der gesamten Lebenspanne zusammensetzt. Dieses Vermögen, gesprochene oder geschriebene Worte aus einzelnen Schriftzeichen mit unüberschaubaren Bedeutungen in Beziehung zu bringen, gibt uns einen Eindruck davon, wie flexibel und dehnbar oder wie kreativ wir mit Benennungen umgehen können.
Zu behaupten, einzelne Zusatzzeichen oder reine grammatikalische Sprachänderungen würden dieses Vermögen steigern bzw. es sei bisher begrenzt gewesen, um Geschlechter gerechter ins Denken einzubeziehen, kommt einer Diffamierung des Verstandes gleich. Dass einzelne, der Genderforschung anhängende Vertreter sich Geschlechtermöglichkeiten und deren Beziehungen zueinander gerechter vorstellen könnten, erscheint nicht nur, als würde sich diese wie eine geistige Elite über andere stellen, sondern es ist de facto genau eine solche Anmaßung. Da muss gefragt werden, inwiefern dies mit mit dem Verständnis von offener Gesellschaft, Meinungsfreiheit und demokratischem Anspruch korreliert?
Es sind und bleiben die konkreten Interaktionen unter gegebenen Bedingungen, die das Verhalten zueinander bestimmen und verändern. So wenig wie man heute das Johannesevangelium mit seinem Beginn „Im Anfang war das Wort“ als einzigen Schöpfungsausgangspunkt sehen kann, so wenig können einzelne Kunstwortkorrekturen im komplexen menschlichen Verständnis weltbewegende Wirkungen auslösen. Es sei den Verfechtern der Sprachglättung in generischen Geschlechtern außerdem vorgehalten, dass Denken, Vorstellungskraft, Logik und Kausalitäten herstellen zu können, maßgeblich durch die Bedeutungsabgrenzung in Begriffen ausgeht. Oft können wir das eine gar nicht angemessen begreifen, wenn dessen Gegenteil nicht fassbar wird. Begriffsunterschiede – auch die zu biologischen oder sozialen Geschlechtern brauchen Abgrenzung, um sich überhaupt ein eigenständiges Sein zu bilden. Auch als Homosexualität in der Vergangenheit noch gesellschaftlich geächtet, strafrechtlich verfolgt und mit leidvollen Folgen für Betroffene verbunden war, konnten die damaligen Sprachvorschriften dem Selbstbild gleichgeschlechtlich empfindender Menschen nichts anhaben. Genau deshalb sollte man Vorschriftsansprüchen über Sprachregelungen mit Vorsicht und Kritik begegnen, abgesehen davon, dass mancher Eingriff wie ein Brandsatz an der Kultur daherkommt. Viel wichtiger ist es, dass Menschen miteinander vielfältige Erfahrungen machen können und darüber das eigene Verständnis über andere bereichern. Ein Sprachdiktat von oben hat in der Geschichte noch zu keiner Zeit und unter keinen Machtverhältnissen funktioniert. Dass in Politik, Verwaltung und in Hochschulen Schreibvorschriften einfach eingeführt wurden, baute auf den hehren Anspruch, mehr Gerechtigkeit herstellen zu wollen. Man sollte dabei einräumen dürfen, dass wohl viele dieser gepredigten Maxime eher auf reine Glaubenssätze mit himmlischen Kräften beruhen, die Menschen gewissermaßen geistiges und gerechtes Vorstellungsvermögen absprechen. In zusätzlichen Sternen ist die Gendervielfalt unserer Art nicht zu finden, sondern nur im realen Umgang miteinander.
Bleiben Sie bei aller Polemik in diesem Text gelassen. Auch hier standen nur Worte aus dem Denken des Autors, das wenig über die Vielfalt des menschlichen Geistes aussagen kann. Genannte kritische Aspekte wurden nur grob angerissen und sollen nur zum Nach- und Weiterdenken anregen. Thomas Wischnewski