Gritty besser noch als brainy?
Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt – das schrieb schon der griechische Dichter Hesiod 700 Jahr vor Christus. Diese Formel für herausragende Leistungen hat sich eigentlich bis heute nicht geändert. Wie Leistungen bewertet werden allerdings schon. Anforderungen und Bewertungsniveaus sind häufig niedriger.
Mag sein, dass die Idee mit dem Grit nur eine vorübergehende Leuchterscheinung am eher grauen Himmel der Pädagogik ist. Grit? Im Englischen bedeutet „Grit“ so viel wie Kies, Splitt oder Streusand, aber auch Schneid, Mumm, Charakterstärke, Beharrungsvermögen. Und genau das seien die Eigenschaften, die – mehr noch als Intelligenz, als „brainy“ sein – für den Erfolg im Leben den Ausschlag geben. Vor allem für den im Beruf. Behauptet Angela Duckworth, Professorin für Psychologie an der Universität von Pennsylvania, USA. Sie stützt sich dabei auf eine Reihe eigener Studien. Als Mädchen wäre ihr vorgehalten worden, dass es ihr an Genie fehle, an Talent. „Heute weiß ich“, sagt Angela Duckworth, „dass man mit Ausdauer und Leidenschaft mehr erreichen kann als durch Talent.“
Das mag für viele Trost und zugleich Ansporn sein. Ansporn für den Ansporn gewissermaßen. Die Bücher, mit denen A. Duckworth ihre Ansichten in die Öffentlichkeit trug, waren dann auch rasch zu Bestsellern geworden (dt.: GRIT – Die neue Formel zum Erfolg: Mit Begeisterung und Ausdauer ans Ziel. Bertelsmann 2017). Eigentlich erstaunlich, denn wirklich neu ist das mit der Motivation und der Motivationsstärke nicht.
Allerdings mögen diese in ihrer Bedeutung für den Schul- und Berufserfolg, ja, für den Erfolg im Leben, eher unter- als überschätzt werden. Duckworth‘ Mahnruf, Grit zu beweisen, richtet sich nicht nur an diejenigen, denen ein Tritt vors äußere oder innere Schienbein nottut. Er wendet sich auch an unsere Bildungs- und Haushaltspolitiker, deren Anstrengungen ins Leere laufen, wenn sie meinen, dass der Erfolg in der Bildung ganz wesentlich mit äußeren Voraussetzungen zu tun habe, mit dem Geld für Schulen und für zusätzliche Lehrer, mit Unterrichtsformen, mit Digitalisierung, mit Integrationsmodellen. Nein, so Duckworth, ganz wesentlich kommt es auf jeden selbst an.
„Tugend will ermuntert sein“
Lehrer mögen sich mit ihrem Wissensangebot halb verrenken, was nützt das, wenn ihre Schüler vor sich hindösen oder sich als Vertreter der Null-Bock-Generation in den Schulbänken spreizen? Was schon soll ihnen groß passieren? Na was schon? So richtig angestrengt haben sich die Alten, damals nach dem Krieg, als es galt, die Trümmer wegzuräumen, Deutschland wiederaufzubauen und „Made in Germany“ erneut zu einem guten Klang zu verhelfen. Aber heute – uns geht’s doch gut!
Dass es uns nicht mehr sehr lange gut gehen wird, ahnen die meisten, zumindest die Älteren unter uns. Sie wissen, dass Wohlstand nicht von Nichts kommt, sondern dass dafür gearbeitet werden muss. Hart gearbeitet. Nicht Mittelmaß, nein, Höchstmaß hat die Richtschnur zu sein. Wenn nicht, dann werden es uns die anderen in der Welt zeigen. Vor allem die im Fernen Osten. Von so manchen Eltern heißt es dort, sie würden der Schulnoten wegen vor einer regelrechten Dressur ihrer Kinder nicht zurückschrecken. Höchstmaß als Richtschnur. „Tugend will ermuntert sein“, empfahl schon Wilhelm Busch. Für diejenigen, die das mit der Tugend nicht so richtig begreifen konnten oder wollten, gab es damals den Rohrstock. Der Rohrstock hat ausgedient, gut so, aber eben auch der direkte Leistungsvergleich.
Der Autor denkt an die Listen in den Universitätsinstituten und -kliniken, mit denen seinerzeit die Klausurergebnisse veröffentlicht wurden. Am Schwarzen Brett war zu ersehen, ob und wie man es geschafft hatte. Und wie die anderen. Ziemlich unangenehm, wenn die eigene Arbeit mit einer „Drei“ quittiert wurde, die der Kommilitonin aber mit einer „Eins“. Jeder weiß, wenn er um die Naturwissenschaften herum nicht gerade einen Bogen geschlagen hat: Druck macht aus Kohle Diamanten.
Oder damals, in der Grundschule: Ich musste nach vorn, um mir die Mathe-Arbeit abzuholen. „Eine Fünf!“, hieß es aus dem Mund der Pädagogin. Gespitzt war der und auch ihre Nase wirkte spitzer noch als sonst. „Du hast bei deinem Nachbarn zwar richtig abgeschrieben“, ätzte sie vor der ganzen Klasse, „aber es war die falsche Aufgabe!“ In meine Bankreihe zurückschleichend, traf mich der Blick der Mitschülerin, in die ich heimlich verknallt war. Drei Wochen später ist dieser Blick ein ganz anderer gewesen: Mein aufs Äußerste angestachelter Fleiß war durch eine Eins vergoldet worden! Heute ist so was „dank“ Datenschutz und Persönlichkeitsrechten vorbei. Für die Faulpelze eine feine Sache. Eigenartig, im Leistungssport spielt die Anonymisierung keine Rolle. Aber vielleicht kommen wir eines Tages auch noch dahin. Allerdings dann nicht mehr aufs Siegertreppchen.
Edler als der Antrieb durch den Ehrgeiz oder durch die Versagensangst ist das Interesse am Stoff. Gesteigert noch, wenn er zur Leidenschaft wird, im Extremfall zur Besessenheit. So wichtig diese Eigenschaften für die weitere Entwicklung auch sind, bloß wie sie benoten? Bekanntlich kommen diejenigen Schüler am besten weg, die sich unterschiedslos um alle Fächer bemühen. Ein Zensurendurchschnitt von 1,2 und besser – früher ein Traumziel – ist heute keine Seltenheit mehr. Das ist zum einen ein Anzeichen für ein gesunkenes Anforderungsniveau, aber noch immer auch eines für die Ausdauer und den Ehrgeiz der Erfolgreichen.
Doch, so fragt man sich, sind die Einser im späteren Leben ebenfalls die besonders Erfolgreichen? Die größten Entdecker, Erfinder und Firmengründer sollen nicht unbedingt die in jeder Hinsicht besten Schüler gewesen sein, heißt es. Und schon gar nicht im Falle von herausragenden Dichtern, Schriftstellern, Musikern und sonstigen Künstlern. Sind die ganz Großen vielleicht eher diejenigen, die sich früh schon für das eine und gegen das andere entscheiden?
Überall verlangt Erfolg neben einer entsprechenden Begabung Ausdauer, sich nicht von Misserfolgen entmutigen zu lassen, „Grit“ eben. Man spricht von der 10.000-Stunden-Regel. Sie besagt, dass erst mit einem Einsatz von etwa 10.000 Stunden an Training, Übung und Studium wahre Meisterschaft zu erwarten ist. Die Spitzenklasse erreicht nur, wer dafür eine Leidenschaft entwickelt, zumindest einen ordentlichen Schuss Begeisterung mitbringt. „Grit“ eben.
Begeisterung verschenken
Dass so etwas geht, beweisen die Lehrer, die ihre Schüler für ihr jeweiliges Fach so entflammen, dass späterhin die Hälfte der Klasse in eine einschlägige Studienrichtung drängt. Beides verlangt Fähigkeiten, zum einen, jemanden für etwas begeistern zu können, und zum anderen, begeisterungsfähig zu sein. Persönlichkeitseigenschaften sind das, die, wie andere solche individuellen Verhaltensdispositionen auch, etwa zur Hälfte im Erbgut verankert sind und daher über das gesamte Leben hin relativ stabil bleiben.
Und was ist mit der Intelligenz, mit „brainy“ sein? Intelligenz ist eine wertvolle Zugabe und ebenfalls ein Geschenk, eines, das uns das Erbgut vermacht. Der Anteil der Gene wird auf siebzig oder achtzig Prozent veranschlagt. Die Intelligenz aber ist es bei Weitem nicht allein, die über den Erfolg entscheidet, weder über den im Leben noch den im Beruf, oder wozu immer sich jemand berufen fühlt. Denn nicht Wenige scheitern trotz hoher IQ-Werte. Ihnen fehlt – neben einem Quantum Glück – offenbar genau das, was Angela Duckworth „Grit“ nennt: Ausdauer, Entschlossenheit, Leidenschaft. Im Extremfall können Menschen für ihr Hobby, für ihre Idee, für ihre Arbeit regelrecht „brennen“. Alles Private stellen sie dafür hintan. So weit, dass es tragische Züge annehmen kann, zumindest aus der Sicht der anderen. „Freaks“ werden solche Leute heutzutage genannt, „Nerds“. Wenn der Geist ihrer Be-Geist-erung ein guter ist, kann daraus etwas ganz Besonderes werden, etwas, was alles Bisherige überragt. Etwas Weltbewegendes gar. Große Entdeckungen und Erfindungen, herausragende Leistungen in der Kunst oder im Managerwesen sind stets Produkte einzelner Köpfe. Und diese Köpfe müssen „gritty“ sein.
Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man hat, und wenn es krumm und knorrig wäre – heißt es bei Theodor Storm. Und das Schnitzmesser, so rät schon der gesunde Menschenverstand, das sollte mit möglichst viel Grit geführt werden. Prof. Dr. Gerald Wolf