Fromme Stadt?
Selbst die heutige Skyline von Magdeburg wird dominiert von Kirchbauten, an erster Stelle natürlich dem Dom, gefolgt vom „Kloster Unser Lieben Frauen“, im Hintergrund Sankt Sebastian, dann bis hin zu Johannis, Petri, Magdalenenkapelle und Wallonerkirche. Noch stärkeren Eindruck vermittelt ein Merianstich von Magdeburg mit seiner mittelalterlichen Fülle großer und kleinster Kirchtürme. Auch draußen auf dem flachen Land gibt es ja kaum ein Dorf ohne Kirche.
Da könnte man fragen: Waren die Leute damals alle sehr fromm? Unsere Region war zu jener Zeit christlich geprägt. Innerhalb dieser herrschenden Idee und Lebensform gehörten eben alle Menschen mit großer Selbstverständlichkeit zur Kirche. Auf einem völlig anderen Blatt steht allerdings, wie es damals – und auch jetzt – auf der Innenseite der Menschen aussah und aussieht.
Heute leeren sich die Kirchen, werden zum Teil anderweitig genutzt oder sogar abgerissen. Auch hier in Magdeburg wurde das Kloster zur Konzerthalle, Sankt Johannis, zur „Guten Stube der Stadt“ und im Ortsteil Prester wurde eine Kirche zur Gaststätte. Was hat zu dieser Entwicklung geführt?
Neben oft genannten Gründen sei auf etwas Tieferes verwiesen. In alter Zeit legten die Menschen großen Wert auf ihr Seelenheil nach dem Tode. Könige und Fürsten kümmerten sich um eine Grablege nahe bei einem Altar, wo für sie gebetet werden sollte. Selbst Kaiser Otto sorgte mit der Gründung eines Klosters und des ersten Doms für eine besondere Grablege. Wir finden sie im Hohen Chor des Doms. Das Motiv „Rette deine Seele!“ war also ein starkes Argument für kirchliche Mitgliedschaft und die Beachtung der Gebote und Verbote. Andernfalls konnte der Himmel verlorengehen und es drohte die Hölle. Im Hintergrund stand also die sehr persönliche Frage: „Was habe ich davon?“ Sogar Martin Luther wurde von der Sorge umgetrieben: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“
Dieses angstbesetzte Motiv ist glücklicherweise vom Tisch. Aber es hat – zumindest auf volkstümlicher Ebene – kein einfaches und zugkräftiges Nachfolgemotiv gefunden. Da bleibt noch vieles offen. Vor 2.000 Jahren sagte jener junge Mann aus Nazareth: Keine Gewalt! Zwar haben sich Christen oft selbst nicht danach gerichtet, aber einmal war dieser Impuls doch erfolgreich, nämlich im Herbst 1989.
Bemerkenswert ist übrigens ein durchaus überraschender Trend: In Dörfern, wo zwar eine Kirche steht, aber keine christliche Gemeinde mehr existiert, gründen sich „Dorf-Kirchen-Vereine“. Da finden sich Menschen zusammen – größtenteils Nichtchristen – und sagen sich: Das ist unsere Dorfkirche. Hier haben unsere Vorfahren gelebt, gebetet, Freud und Leid geteilt. Das schafft auch für uns Identität. Deshalb packen wir hier mit an und retten unsere Kirche vor dem Verfall. Hier kommen wir zusammen, denn hier hat unser Dorf seine Mitte. Dieter Müller