Freiheit stirbt an Parolen
Menschen, die ihre Kinderschuhe noch in der DDR trugen, erinnern sich gut an die Kultur der Transparente. An öffentlichen Straßen und Plätzen fand man meistens zukunftsweisende sozialistische Losungen. Die erhoffte bessere Gesellschaft war an Hauswänden und Brücken angeschlagen, nur im real existierenden Sozialismus erwiesen sich die Proklamationen eher als Schall und Rauch. Inzwischen gibt es eine Renaissance der Spruchbänder. In Wahlkampfperioden ist man an die Losungen der Parteien gewöhnt. Die zunehmende Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Gruppen peitscht neue Parolen ins Land. Vom 28. bis 30. November tagen in Magdeburg die deutschen Innenminister. Am Wochenende davor demonstrierten bereits rund 1.000 Menschen in der Landeshauptstadt. Ihr Protest richtete sich gegen mögliche neue Polizeigesetze, die teilweise zu einer Strafrechtsverschärfung führen sollten – so transportierte es der MDR in einer Nachricht auf seiner Homepage. Polizeigesetze sind leider kein Strafrecht. Erstere sind Ländersache und fürs Strafrecht ist der Bundestag zuständig. Offenbar ist es sowohl für Demonstranten als auch für Journalisten nicht mehr so einfach, Äpfel und Birnen auseinanderzuhalten. Innerhalb einer Kommunikation, die vorrangig mit Parolen geführt wird, ist dies auch nicht so einfach. Dafür kann man durchaus Verständnis haben. Indes prangt am Campus-Tower der Universität ein Spruchband mit der Aufschrift „Solidarität statt Angst – Freiheit stirbt mit Sicherheit“. Dass Solidarität unter Menschen wichtig ist und Angst öfter ein schlechter Berater – das sind plakative Selberverständlichkeiten, wie früher die DDR-Beteuerungen für Menschlichkeit und Frieden. Was meinen die Verfasser des Transparents damit, dass Freiheit mit Sicherheit stirbt? Ist das eine generelle Aussage über die Zukunft oder ist da eher von der einschränkenden Wirkung durch Sicherheitsgesetze die Rede? Wo fängt Freiheit an und ist sie ohne Sicherheit überhaupt möglich? Die Freiheit, die wir bisher in der westlichen Welt kannten, ist nicht ohne die Sicherheit, die sich unter einer relativ gleichmäßgen kulturhistorischen Entwicklung in Europa vollzog, denkbar. Leider expandieren weltweit Konflikte. Das mag mal mit mehr oder auch weniger westlichem Einfluss zu tun haben, manchmal auch mit gar keinem. Plakatparolen halten die Geschichte nicht auf und haben wenig Einfluss auf individuelles Verhalten. Keine Sicherheit schürt Angst und macht unfrei, zu viel ebenso. Dafür gibt es genügend historische Belege. Losungen definieren nicht, welches ein angemessenes Sicherheits- oder Freiheitsmaß wäre. Man bedenke, dass Freiheit nicht per Losung proklamiert wird, genauso wenig wie Sicherheit, Kultur und Bildung nicht auf Plakten entstehen. Thomas Wischnewski