Falsch gebrauchte Wörter haben ein zähes Leben – zum Beispiel „dehydriert“
Wir sind sterblich, aber der falsche Gebrauch von bestimmten Wörtern bleibt häufig von diesem Schicksal verschont. Das Wort „dehydriert“ ist dafür ein Beispiel. Vor einiger Zeit war in der hiesigen Tageszeitung zu lesen (Ausgabe vom 16. Juni), dass sich zwei Jugendliche in den Pariser Katakomben verirrt hatten, aber glücklicherweise nach zwei Tagen gefunden wurden. Über ihren Gesundheitszustand war zu lesen, dass die beiden jungen Männer in einem „dehydrierten“ Zustand aufgefunden wurden. Im medizinischen Sprachgebrauch besagt „dehydriert“, ein Patient leidet unter einer Austrocknung, also einem Wassermangel. Der Begriff „dehydriert“ fließt mehr und mehr in unsere Sprache ein und wird auch für viele subjektiv empfundene Befindlichkeiten verantwortlich gemacht. Beispiele dazu sind: „Bin ich dehydriert oder krank?“, „Um gut hydriert zu sein, braucht man …“, Ich bin so unkonzentriert – bin ich dehydriert?“, „Ist mein Augenflimmern die Folge einer Dehydrierung?“. Und noch ein Beispiel aus der Welt der Fitness-Aktivisten: „Hydrierung – so trinken Sie beim Lauf-Training richtig“.
In der Tat wird ein Wassermangel vom Körper wesentlich weniger toleriert als ein Kalorienmangel. Das liegt an den vielfältigen Funktionen des Wassers im Körper. Auch leiden etwa 90 Prozent der Patienten auf einer Intensivstation an einem Wasser- und Elektrolytmangel und/oder einer Störung des Säure-Base-Haushaltes im Körper. Zu einem Wassermangel kann es schnell kommen, wenn ältere Menschen das Trinken vergessen oder zu wenig trinken, um häufige Toilettenbesuche zu vermeiden. Ein Wassermangel kann auch die Folge eines schweren Magen-Darm-Infekts sein. Wenn der Wasserverlust nicht ausgeglichen wird, kommt es u. a. zu Herzrasen, Muskelkrämpfen und Bewusstlosigkeit.
Durch ein Gerichtsverfahren im belgischen Dendermonde erfuhr jetzt die Öffentlichkeit von einem Fall eines extremen Wasser- und Ernährungsmangels, der durch eine vegane Ernährung verursacht wurde. Das Geschehene ist besonders berührend, weil das Opfer ein sieben Monate altes Baby ist. Die Mutter hatte aufgrund des Mangels an Muttermilch zuerst versucht, das Kind mit herkömmlichen Babymilchprodukten aus dem Supermarkt zu ernähren. Da der Säugling diese aber schlecht vertrug, hatte sie ihm danach alternative Produkte aus dem von den Eltern geführten Naturkostladen, wie Milch aus Reis und Buchweizen, gegeben. Das Kind nahm aber trotzdem nicht mehr zu. Da sich sein Zustand immer weiter verschlechterte, entschlossen sich die Eltern schließlich dazu, mit dem Kind einen Homöopathen aufzusuchen. Beim Anblick des Kindes erkannte dieser seine Grenzen und schickte die Eltern mit dem Kind sofort zur Notaufnahme in die Klinik. Auf dem Weg dahin verstarb das Kind. Die Pathologen stellten als Ursache für den Kindstod einen ernährungsbedingten extremen Wasser- und Kalorienmangel fest. Hierzu sei angemerkt, dass Fachleute von einer veganen Ernährung bei Babys und Kleinkindern generell abraten, da diese viele wachstumsfördernde Bestandteile, wie Calcium, Jod, Vitamin B12, Eisen, nicht oder nur in einer geringen Menge enthält.
Auch die von uns verachteten Hautfalten sind häufig Ausdruck eines Wassermangels. Um die Faltenbildung zu bekämpfen, wenn auch nur vorübergehend, werden Kosmetika mit Hyaluronsäure empfohlen („Anti-Aging Wunder für glatte Haut“). Diese besteht aus einem großen, körpereigenen Molekül, das bis 6 Liter Wasser pro Gramm binden kann. Die Notwendigkeit für das regelmäßige Trinken von Wasser wird auch von jüngeren Menschen beachtet, was seit einigen Jahren durch eine Mineralwasserflasche in der Hand, und dies auch bei nur kurzen Spaziergängen, angezeigt wird.
Was heißt nun wirklich „dehydriert“? Das Wort setzt sich zusammen aus „de“ (lat. weg, ab, herab) und „Hydrierung“ (Addition von Wasserstoff an Moleküle). Im Zusammenhang mit der Austrocknung bedeutet „dehydriert“ demnach, dass dem Körper zuviel Wasserstoff entzogen wurde. Damit ist „dehydriert“ der falsche Begriff, denn eine „Dehydrierung“ ist eine chemische Reaktion, bei der Wasserstoff von einem Molekül abgespalten wird. Das Gegenteil nennt man Hydrierung. Nebenbei, Margarine wird durch Hydrierung von pflanzlichen Ölen hergestellt, ein Verfahren, das besser bekannt ist als „Fetthärtung“. Dabei wird Wasserstoff an die in den Ölen enthaltenen ungesättigten Fettsäuren angelagert. Der Begriff Hydrierung ist auch dadurch bekannt, weil während des 2. Weltkrieges in deutschen Chemiefabriken Kohle durch Anlagerung von Wasserstoff zu synthetischem Benzin verflüssigt wurde.
Bei Austrocknung verliert der Körper Wasser. Da aber Wasser (H2O) auch aus Sauerstoff besteht, muss man bei einem ärztlich diagnostizierten Wassermangel richtigerweise von „Dehydratisierung“ oder „Dehydratation“ sprechen. In der vorklinischen Ausbildung der Medizinstudenten wird der Begriff „dehydratisiert“ für einen Wassermangel gebetsmühlenartig von den lehrenden Physiologen und Biochemikern verwendet. Doch in der klinischen Ausbildung wird vielerorts „dehydratisiert“ wieder zu „dehydriert“ gebügelt. Und so kommt es, dass in unserer Zeit, wo man soviel Wert auf begriffliche und sprachliche Klarheit legt, ein falscher Begriff in der Medizin und in der Presse fortlebt. Man könnte doch leicht auf den sachlich falschen Begriff („dehydriert“) verzichten und den zutreffenden, aber etwas schwierigeren („dehydratisiert“) umgehen, wenn stattdessen von einem „entwässert“ gesprochen wird. Aber dann wäre natürlich der gelehrte „Touch“ von „dehydriert“ oder „dehydratisiert“ weg. Prof. Dr. Peter Schönfeld