Eine Männerfreundschaft und deren grüne Folgen für Magdeburg
Am 23. Mai ist der 166. Todestag von OB August Wilhelm Francke. Seine Verbindung zum Landschaftsgärtner Lenné war Ausgangspunkt für Magdeburgs Parkanlagen. Nach der französischen Fremdherrschaft (1806 – 1814) gelangte die Domstadt, die im 18. Jahrhundert aus strategischen und wirtschaftspolitischen Gründen systematisch zur stärksten preußischen Festung ausgebaut wurde, wieder unter preußische Regierung. Aus dem ehemaligen Herzogtum Magdeburg und den kursächsischen Gebieten wurde die neue Provinz Sachsen gebildet und Magdeburg am 1. April 1815 zu deren Hauptstadt bestimmt.
Nach Hinz schilderte 1928 der frühere Gartendirektor Wilhelm Lincke, der seit September 1903 bis 1931 im Amt war, in seinen Aufzeichnungen die Ausstattung von Magdeburg zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Stadtgrün wie folgt: „Infolge der vielhundertjährigen Bestimmung Magdeburgs als Festung fehlten im Innern der Stadt nennenswert Park- und Gartenanlagen. Nach den Berichten der Chronisten jener Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts wies die nähere Umgebung der Stadt nicht einmal mehr bemerkenswerte Baumbestände auf. Der Rothenseer Busch, einst 1.500 Morgen groß, hart an der Grenze von Neustadt (neben dem Vogelgesang), war bis auf 80 Morgen abgeholzt.“ Lincke zitiert den Stadtbaumeister Harte, der 1814 einen Bericht für den Magistrat schrieb: „Magdeburg, schon früher arm an, ich will nicht einmal sagen reizenden, sondern nur solchen Umgebungen und Vergnügungsgärten, wo man doch wenigstens im Schatten der Bäume sitzen könnte, hat auch diese durch die traurigen Ereignisse 1806, hauptsächlich aber während der Blockade 1813/14 verloren. Die Anlagen in den öffentlichen Gärten zum Buckauer- und Ulrichstor, in der Neustadt und in der Sudenburg sind zerstört. Der Rothenseer Busch, diese letzte Zuflucht der Magdeburger, diese einzige Sommerpartie, ist gleichfalls abgehauen und hat den abgezogenen Franzosen eine warme Stube gemacht. So ist denn Magdeburg öde und fast nirgends ein Baum zu sehen oder zu finden.“ Lincke berichtete damals weiter: „So waren die Verhältnisse 1817 bei Beginn der Amtszeit des Oberbürgermeisters Francke. In seiner langen Wirkungszeit bis 1848 hat er sich besonders um die Schaffung von Grünanlagen bemüht. Seiner Initiative verdankt die Stadt die Anlagen beim Herrenkrug, den Klosterbergegarten, den Nordfriedhof und den Erwerb des Vogelgesangs. Zunächst ließ er den alten Teil des Herrenkrugparks weiter ausgestalten, wo sich bereits am Ende des 18. Jahrhunderts Anpflanzungen und eine Baumschule befanden. 1820 wandte sich Francke an die Regierung um die Erlaubnis, durch eine Geldsammlung unter der Bürgerschaft – Magdeburg hatte zu dieser Zeit etwa 30.000 Einwohner – der Festungsbehörde zu Hilfe kommen zu dürfen, damit diese die Ausgestaltung des Festungs-Glacies zu Promenaden ausführen könnte. „Ursachen und Hintergründe der Männerfreundschaft zu P. J. Lenné ab 1824“.
Bereits 1822 kam es zur Gründung des „Vereins zur Beförderung des Gartenbaues in den Königlich Preussischen Staaten“, wo Lenné einer der elf Gründungen war und als treibende Kraft diesem bis zu seinem Tode 1866 angehörte. Zu den Mitgliedern des Vereins gehörten sein alter Förderer der Magdeburger Festungskommandant und Kriegsminister Graf Georg Leopold Gustav Hake. Er bewohnte nach Günther und Harksen mehrere Sommer mit seiner Familie in dem stehengebliebenen Pfarrhaus auf dem verwüsteten Klostergelände und konnte so die Eignung des Geländes für die Anlage eines Gartens würdigen. Hake war zunächst 1815 nach der Teilnahme an den Befreiungskriegen Brigadekommandeur und 1824 Festungskommandeur geworden.
Bereits 1806 war der aus Baruth in der Mark Brandenburg stammende Kaufmann Johann Gottlob Nathusius (1760 – 1835) der reichste Magdeburger geworden. Dies versetzte ihn in die Lage, 1810 das durch Dekret vom 17. Januar 1810 säkularisierte Klostergut Althaldensleben zu erwerben und am 13. November 1811 das Rittergut Hundisburg zu ersteigern. Mit Lenne hatte er eine geschäftliche Korrespondenz und tauschte sich Apfelkerne für seinen Obstanbau aus. Neben Graf Hake und Nathusius empfahl der Regierungsdirektor und Finanzrat Sack OB Francke die Kontaktaufnahme zu Lenne, um sich so gestalterische Kompetenz dieses aufstrebenden Gartenkünstlers am preußischen Königshof bei seinen Magdeburger Zukunftsplänen zu schaffender Parks, Gärten und Friedhöfe zu sichern. Ausschlaggebend für die Genehmigung unter Vorbehalt der königlichen Regierung, welche nach Günther erst am 14. April 1825 als vorletzte Behörde nach der Zustimmung des Magistrats am 24. Januar und des Stadtkommandanten Graf Hake am 18. April zustimmte, waren nach Buchholz die Beliebtheit von OB Francke und nicht zuletzt von Lenne beim preußischen König Friedrich Wilhelm III. (16.11.1797 – 07.06.1840). Der OB hatte bereits am 18. Februar an die Regierung geschrieben, „dass etwas ganz Ausgezeichnetes dort geschaffen werden kann, leuchtet jedem ein, der sich auf Gegenden und Aussichten verstehet“. Was erschwerte dies vor allem?
Zum einen die langjährigen seit dem Februar 1825 bis 1835 begonnenen Grundstücksankäufe und die Tatsache, dass das Klostergelände außerhalb des Gemeinde- und Polizeibezirks lag. Zu den Lenné-Schöpfungen in Magdeburg fanden sich Hinweise in Lennés Akten der Königlichen Gartenintendantur, wo es heißt: Am 29. Juli 1824 schrieb zunächst der Regierungsdirektor Sack aus Magdeburg an Lenné: „So viele schöne Anlagen danken Ihnen ihren Zustand und Tausende stimmen in diesen Dank beym Betreten derselben ein. Auch die hiesige Stadt wünscht sich unter diese zu zählen. Es ist endlich verlangt, daß statt der noch in der Stadt befindlichen Kirchhöfe einer vor der Stadt angelegt wird.
… Aber wie die Anlage Deutung des Zweckes erhalten soll, dazu fehlt der Schöpfer. „Nachdem Lenné am 6. August geantwortet und sich zur Mitarbeit bereit erklärt hatte, schrieb am 23. August erstmalig der Oberbürgermeister Francke an Lenné: „Vor allen Dingen muß ich einen Irrtum berichtigen. Der Regierungsdirektor Sack hat nämlich Ew. Wohlgeboren geneigte Mitwirkung hauptsächlich für die zweckmäßige Anlage des neuen Kirchhofes in Anspruch genommen. Solche ist zwar allerdings im Werke, allein doch nicht der Hauptgegenstand, für welchen ich Dieselben zu interessieren wünschte. Die Stadt hat vielmehr die Ruinen des ehemaligen Klosters Bergen mit dem dazu gehörigen, jetzt aber ganz verwilderten Garten-Terrain gekauft, und somit den schönsten Punkt um Magdeburg erworben. Sie beabsichtigt nun um so mehr, dort schöne Anlagen zu machen, als der Platz sich dazu trefflich zu eignen scheint, und als er auch in mehrals einer Beziehung große geschichtliche Bedeutung für Magdeburg hat. Ich bin selbst für die Sache sehr erwärmt, und da ist mir von allen Seiten gerathen, mich wo möglich der Mitwirkung Ew. Wohlgeboren zu versichern, weil dann gewiss aus den Ruinen etwas Schönes und Würdiges erstehen würde … Von Potsdam bis hierher ist eine gewöhnliche Tagereise, und würden des Königs Majestät um so mehr Allerhöchst Ihre Einwilligung zu dem Urlaub geben, als Allerhöchst Dieselben der Stadt Magdeburg zugethan sind, und als namentlich die verstorbene Königin den Platz, worauf sonst das Kloster Berge stand, besonders liebte.“ Franke schlägt vor, Lenné möge nach Magdeburg kommen, weil er die Eigenart des Geländes und seiner Umgebung etc. an Ort und Stelle besichtigen müsste. Franke will den Herbst (1824) zur Aufräumung der Ruinen benutzen und dann im nächsten Frühjahr „mit aller Macht“ an die Ausführung des Planes gehen, den er so gern „der hohen Sachkenntnis“ Lenné verdanken möchte.
Anfang September 1824 war Lenné in Magdeburg. Wahrscheinlich hat er schon bei seinem ersten Besuch empfohlen, eine neue leistungsfähige Baumschule am Herrenkrug anzulegen, die sich später sehr bewährte. Vor allem war Lenné dafür eingetreten, den künftigen Volkspark nicht auf das Gelände des ehemaligen Benediktinerklosters Bergen zu beschränken, sondern den breiten vorgelagerten Uferstreifen an der Elbe hinzunehmen, damit dies Gelände nicht etwa bebaut werden könnte. Nach Günther äußerte sich Lenné zu Nathusius, „daß er England, Frankreich und Deutschland durchreist, und keinen Punkt gefunden habe, der einer schöneren und kunstgemäßeren Einrichtung würdiger sei als dieser“, und zu Francke: „…daß er nichts sehnlicher wünsche, als diesen Punkt bei Potsdam … zu haben und ihn in die königlichen Gärten einverleiben zu können.“
Was war alldem in der deutschen Gartenkunst vorausgegangen? Bereits im Jahre 1789 und damit 35 Jahre vorher, im Geburtsjahr von Lenné hatte der bayrische Kurfürst Karl Theodor den Gartenkünstler Friedrich Ludwig Sckell (1750 – 1823) nach München gerufen, um mit ihm die Umgestaltung der Isarauen westlich des alten Hirschangerwaldes zu einem Volkspark im englischen Stil zu erörtern. So entstand ab 1804 in München der Englische Garten als erster Volksgarten Deutschlands, als das erste „demokratische Grün“ auf dem europäischen Kontinent! In Magdeburg entstand unter Lenné auf Anregung von Sckell der zweite Volksgarten Deutschlands ab dem Herbst 1825, dessen Ausführung sich in einer Gesamtgröße von 32 Hektar bis 1835 hinzog. 937 war dort von Kaiser Otto dem Großen ein Benediktinerkloster gegründet worden.
Müssen die Magdeburger nun den Franzosen ewig für die Klosterzerstörung dankbar sein oder eher traurig, dass bereits 1838 dieser überregional bedeutsame Volksgarten der Industrialisierung teilweise zum Opfer fiel? Es ist zu vermuten, dass der später unter Lenné umgestaltete Herrenkrugpark dann bei Nichtzerstörung des Klosters mehr den Charakter eines Volksgartens bekommen hätte. Am Ende waren es Weitsicht und Entschlossenheit von OB Francke und seinem Magistrat, endlich den Einwohnern Magdeburgs bessere Wohnbedingungen durch neues Stadtgrün zu schaffen. Doch mit Sicherheit auch die Überzeugungskraft und Begeisterungsfähigkeit von Lenné. Sein Kommentar zu Francke: „Die Stadt erfreut sich jedoch in ihrem jetzigen Oberbürgermeister, Herrn Francke, eines um die Verbesserung des Gemeinwesens rühmlich besorgten Vorstehers, welcher in seinen Unternehmungen durch das Vertrauen, sowohl der Bürgerschaft als der oberen Staatsbehörde ermutigt und unterstützt, auch diesen für die Volksbildung keineswegs gleichgültigen Gegenstand ins Auge faßte.“
Was war neu in Magdeburg? Erstmalig hatte sich ein Magistrat einer Stadt einstimmig dafür ausgesprochen und Lenné sogar selbst den Entwurfsplan gegen seine Gewohnheit gezeichnet. Ja, Lenné verfasste sogar ein Büchlein „Über die Anlage eines Volksgartens bei der Stadt Magdeburg“, welches 1825 im Verlag August Rücker in Berlin mit mehreren Plänen und den vollständigen Pflanzenliste sowie gleichzeitig in den Veröffentlichungen in den „Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gartenbaues in den Königlich Preußischen Staaten“ erschienen. Nach Hinz war der Bepflanzungsplan für den Volkspark zweifach interessant: Er zeigt nicht nur die beabsichtigten Baum- und Strauchpflanzungen in bestimmter Anordnung nach Nummern, sondern außerdem die für einen Landschaftsgarten so kennzeichnenden Blickachsen oder Sichtverbindungen nach innen wie außen. Alle wichtigen Punkte des Plans sind mit Buchstaben bezeichnet.
Nach Günther und Harksen hatte Lenné erstmalig in Magdeburg die Gelegenheit, die Gärten einer Stadt entsprechend den Bedürfnissen der Bevölkerung einheitlich zu planen. Bereits am 24. Oktober bestätigte Francke den Eingang des Entwurfsplanes und Lenné hatte die Ausführung auf drei Jahre veranschlagt. Doch Lenné hatte für Magdeburg einen attraktiven Grüngürtel unter Einbeziehung der Festungswerke vorgesehen. Mit Sicherheit auch für die Stadtväter interessant, dass der 40 Morgen große Nordfriedhof und damit um 85 Morgen kleiner als der Klosterbergegarten zugleich als Baumschule auf nicht genutzten Bestattungsflächen genutzt werden sollte. Die alten Friedhöfe an den Kirchen der Stadt sollten auch eingeebnet und neu gestaltet werden. Auch dafür lieferte Lenné von Francke gewünschte Entwürfe.
Den Plan für den Herrenkrug signierte Lenné am 1. Oktober 1829. Dieser Entwurf beinhaltet einen Sichtachsenfächer mit einer Sichtbeziehung zwischen dem 1828 errichteten Gesellschaftshaus im Klosterbergegarten und dem 1812 im Herrenkrug gebauten Gesellschaftshaus über den Elbstrom, was ein Ausdruck für das zusammenhängende Planen von Lenné ist.
Insgesamt stattete Lenne der Festungsstadt fünf Arbeitsbesuche ab (08.09.1824, 01.07.1825, 18.03.1826, 23.10.1826, 10.10.1827). Das 16 Seiten umfassende Büchlein von Lenné schließt mit den Worten: „Die weisen Führer jenes Gemeinwesens haben erkannt: daß das Gefallen der Menge an den schönen Werken ein Bildungsmittel ist, welches denjenigen, welche wir mit vornehmem Ernste pflegen, in der Wirkung nicht nachsteht. Wie ich als Künstler mich freue, daß sich das Schöne mehrt, so fühle ich als Mensch und Bürger dieses Staates mich innig bewegt, daß uns die Zeit wieder zu Tagen beginnt, welche den Musen und Grazien vertraut.“ Dipl.-Ing. Volker A. W. Wittich
Anlässlich des 228. Geburtstages von Lenné am 29. September 2017 wird Volker A. W. Wittich im Klostercafé des Kunstmuseums Magdeburg ab 18 Uhr in einem Städtevergleich von Potsdam und Magdeburg das gartenkünstlerische Wirken von Peter Joseph Lenné würdigen. Eintritt : 10 Euro, erm. 8 Euro.