Der Türöffner
War es ein Versehen, eine Erinnerungslücke, eine vorübergehende Sprachstörung oder einfach nur Stress? Wer kann das Schlüsselerlebnis, das Türen und Tore einer Mauer öffnete, die 28 Jahre undurchlässig blieben, erklären? Ein Stoff, aus dem Legenden und Spekulationen entstehen können.
Draußen ein grauer Herbsttag, 9. November 1989. Im Saal der Pressekonferenz waren die meisten Journalisten am Einschlafen, weil wieder einmal ND-Chinesisch geredet wurde, als Riccardo Ehrmann die entscheidende Frage nach dem neuen Reisegesetz für DDR-Bürger stellte, die Frage, die alle bewegte. Schlagartig waren sie hellwach. Die Antwort Günter Schabowskis hörte sich vielversprechend an: „… haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“
Ein anderer Reporter hakte nach, ab wann denn das neue Gesetz gelten sollte. Und da kam er, der historische Moment! Schabowski wühlte in seinen Aufzeichnungen und stammelte dann aus dem Kopf, die verwürfelten Halbsätze: „Das trifft nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich.“ So unklar der Satzbau, die Signalwörter waren eindeutig.
Sie stellten das Räderwerk der Geschichte auf keinen ganz ungefährlichen Schnelllauf, auf Blitzstart. Die Menschen machten „sofort, unverzüglich“ die Probe auf das gerade Gesagte. Und so öffnete sich die Mauer am 9. November 1989. Was wörtlich verkündet wurde, hatte das Volk der DDR auch wörtlich genommen. Die Bilder vom Wiedersehen haben sich eingeprägt als friedliches Happyend nach einer Jahrzehnte dauernden Trennung.
20 Jahre später: Es war kein grauer Novemberabend, sondern ein sonniger Sommernachmittag. Die Frau, die die Klingel des Pflegeheims im Wes-ten Berlins betätigte, wollte ihre Tante besuchen. Nach geraumer Zeit öffnete sich die Tür. Ein älterer Herr in Jogginghose, Pantoffeln und T-Shirt ließ sie herein. Hinter ihm kam eine entnervte Pflegekraft gelaufen und rief schon von weitem: „Aber Herr Schabowski sie sollen doch nicht immer allein die Tür öffnen!“ Er konnte es einfach nicht lassen! Elke Rost, Magdeburg