Der letzte Kürschner

Wer durch den Nordabschnitt des Magdeburger Breiten Wegs spaziert, kommt unweigerlich an der Hausnummer 29 vorbei. „Gehring Leder & Pelz“ prangt in großen Lettern über dem Geschäft. Eingefleischte Magdeburger wissen, dass der Laden vor fünf Jahren noch am Hasselbachplatz zu finden war. Was sicher wenige wissen, ist, dass hier der letzte Magdeburger Kürschnermeister arbeitet. Ganze zwei sind es nur noch in Sachsen-Anhalt. Stefan Gehring übt das Traditionshandwerk in dritter Generation aus. 2020 wird der Familienbetrieb 100 Jahre alt. Wenn er eines Tages aufhören sollte, wird es wohl keine Nachfolger geben. Dabei ist seine Geschichte und die seiner Familie ein Beleg dafür, wie sich das Gewerbe stets an neue Zeiten anpassen musste.

Der Großvater kam einst aus Paris und blieb wegen einer Frau in Magdeburg hängen. Das erste Geschäft war im Hinterhof der heutigen Einsteinstraße. Doch der Betrieb wanderte mehrfach durch die Innenstadt. Von der Einsteinstraße ging es an den Hasselbachplatz, dann in ein Haus, das später dem Centrum-Warenhaus (heute Karstadt) weichen musste. Man zog in die alte Leiterstraße. Aber auch die wurde in den 1970er Jahren abgerissen. Das Geschäft wurde wieder zum Hassel verlegt, erst an die Otto-von-Guericke-Straße, später in die Liebigstraße. Nun ist die Adresse eben Breiter Weg 29.

Als sich im 20. Jahrhundert die Warenhäuser ausbreiteten, bangten die Gewerbetreibenden schon einmal um ihren Fortbestand. Doch Handarbeit und Qualität sowie Spezialdienstleistungen fanden noch stets ihre Kunden. Heute sind es das Internet und die schlechte Verkehrsanbindung der Innenstadt durch die Tunnelbaustelle, die manchem Geschäft zu schaffen machen.

Dass Pelzverarbeitung heute manche Tierschützer als Gegner hat, stört Stefan Gehring weniger. „Wir verwenden nur Felle aus heimischer Produktion und der Anteil am Geschäft ist eher gering“, sagt der Kürschner. Dafür kam einst der Handel mit Lederkonfektion dazu. Wichtigstes Standbein ist jedoch die Werkstatt. Reparaturen oder Änderungen an Lederbekleidung und Taschen sind zum Hauptbetätigungsfeld geworden. Ab und an kommt ein Auftrag für ein individuelles Stück herein. Eine spezielle Tasche für einen Herzschrittmacher hat er beispielsweise schon angefertigt. Oder Kunden kaufen eine Lederjacke im Internet und er darf sie dann passend umarbeiten.

Stefan Gehrings Handwerkserfahrung ist eigentlich ein Schatz, der bewahrt werden müsste. Denn alles, was weniger wird, gewinnt an Wert. Weil der 1958 in Magdeburg Geborene zu DDR-Zeiten nicht studieren durfte, was er wollte, trat er in die Fußstapfen von Vater und Großvater. Dieser Umstand ist der Grund, dass heute überhaupt noch ein Kürschnermeister in der Landeshauptstadt sein Handwerk ausübt. Der Betrieb mit dem Namen Gehring ist nun bald schon 100 Jahre Bestandteil der Innenstadt. Vielleicht besuchen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, den Kürschner mal in seinem Geschäft und lassen sich aus erster Hand etwas aus seiner facettenreichen Geschichte erzählen. (tw)

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