Das Jagdquartier der Hohenzollern

Nach Udo von Alvensleben bezeichnete man die Letzlinger Forst als heute noch größten Waldkomplex Norddeutschlands früher als „Wendenheide“, denn im Schutz der Wälder hielt sich das Slaventum westlich der Elbe nach der germanischen Wiederbesiedlung noch über Jahrhunderte. Grenzkämpfe und Fehden vernichteten viele Heidedörfer im Mittelalter, woran heute noch Kirchenruinen, Brunnen und Gräberfelder erinnern. Das Dorf Letzlingen lag ab 1400 wüst und wurde erst 1801 wieder mit Kolonisten besetzt. Von der Letzlinger Heide und den angrenzenden Forsten, die von der Elbe bei Rogätz bis ins Lüneburgische bei Klötze und ins Braunschweigische bei Helmstedt reichten, trugen die Alvensleben bis 1555 den größeren Teil zu Lehen.

Letzlingen, den Hauptort des Waldlandes und dessen Umgebung übertrugen die Erzbischöfe von Magdeburg 1404 bis 1555 dem Hause Calvörde. Außerdem standen den Schlössern Gardelegen, Kalbe, Erxleben, Rogätz, Hundisburg und dem Amt Alvensleben umfangreiche Bezirke zu. Um die Jagdrechte gab es mit den beiden Landesherren, den Erzbischöfen und den Hohenzollern, ständig Streit. 1528 errichteten die Alvensleben-Calvörde zu Letzlingen einen befestigten Jagdsitz unter Matthias von Alvensleben.

1555 kaufte Kronprinz Johann Georg von Brandenburg (1525 - 1598) die wüsten Feldmarken Letzlingen, Wittenwende und Schönfeld von Ludolf von Alvensleben. Hier sollte nun das Hofjagdrevier der brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige entstehen, das bis 1918 über 350 Jahre   existierte. Man sagt ihm neben der Jagd eine weitere Leidenschaft nach: Die Liebe. Aus seinen drei Ehen gingen insgesamt 30 Kinder hervor. Seine erste Frau Sophie starb im Wochenbett bei der Geburt des Kurprinzen Joachim Friedrich. Seine zweite Gattin Sabina als Tochter des Markgrafen Georg des Frommen von Anspach gebar ihm 12 Kinder. Im Januar 1571 zum Kurfürsten von Brandenburg ernannt, heiratete er 1577 die erst 14-jährige Prinzessin Elisabeth als Tochter des Fürsten Joachim Ernst von Anhalt und hatte mit ihr 17 Söhne und Töchter, wovon viele früh verstarben. 1595 wurde sein Urenkel der spätere Kurfürst Georg Wilhelm (1595 - 1640) und 1597 sein 30. Kind, doch die Freude darüber währte nur bis zum 8. Januar 1598. Der Kurprinz Johann Georg mied das verschwenderische Leben am preußischen Hofe. Er liebte mehr das einfache Leben auf seinen Jagdschlössern in der Letzlinger Heide. Er ließ 1560 anstelle eines einfachen Jagdhauses ein Schloss, „die Hirschburg“ genannt, durch den Architekten des Berliner Schlosses Kaspar Theyss und den ausführenden Maurermeister Kunz Bundschuh errichten. Nach Mortell dauerte die erste Bauphase drei Jahre. Meister Lorenz Arndt erhielt den Auftrag, den Tiergarten mit einer 12 Fuß (ca. 3,80 m) hohen Mauer zu umgeben. In einem Inventar von 1644 findet sich ein Hinweis auf einen frühen Garten für jagdliche Zwecke. Solche Umfassungsmauern waren nicht selten und dienten oft mehreren Funktionen wie dem sicheren Einhegen des Wildes, der Abschirmung vor neugierigen Bli-cken, dem Schutz vor unerwünschten Besuchern und der Landwehr. Der Tiergarten am Stuttgarter Schloss mit Hirschen, Rehen, Pfauen und anderen Tieren, um 1570 angelegt, stellt einen gewissen Übergang vom eigentlichen Tiergarten zum selbstständigen Jagdgehege dar. Solche gab es als Jagdreviere mit einer oder mehreren Sternschneisen ohne völlige Einhegung und ohne zentrales Bauwerk, dann als Jagdparks mit völliger Einhegung und einer Gruppe von Bauwerken oder zentral gelegenem Jagdhaus, Pavillon oder Jagdschloss. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts traten in Jagdparks Schneisensysteme auf, die zur Sichtorientierung und als Reitwege dienten. Solche Anlagen für Parforcejagden entstanden 1652 in Kleve, 1650 in Brühl und 1691 in Moritzburg, deren Mitte ein „Lusthaus“ betonte. In Letzlingen trennten die Weideflächen der Gemeinde den Tiergarten von der unmittelbaren Umgebung des Jagdschlosses. Trotz Sparsamkeit des Schlossbesitzers, des Kronprinzen, war er wegen seiner Gastfreundschaft beliebt. Sein Sohn und Nachfolger Kurfürst Joachim Friedrich schenkte dem Anwesen in Letzlingen weniger Interesse, sodass das Schloss nach 1608 zunehmend verkam und sich zahlreichen Plünderungen im Dreißigjährigen Krieg ausgesetzt sah, bis es schließlich unbewohnbar war.

Doch dieses sollte sich mit der Regierungsübernahme 1840 durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (1795 - 1861) grundlegend ändern. Er führte 1843 eine Bereisung der Altmark durch und war vom Wildbesatz begeistert. Kurze Zeit später wurde die Letzlinger Heide zum Hofjagdgebiet erklärt und der König ließ ab 1843 das verfallene Schloss vergrößern und im Stil der Neogotik durch den Berliner Architekten Friedrich August Stüler (1800 - 1865) unter Mitwirkung von Ludwig Ferdinand Hesse umbauen. Angeblich lieferte der König dazu nach Udo von Alvensleben einen eigenen Entwurf im englischen Baustil. Gleichzeitig kam es zur Errichtung der Kirche im Stil der Tudor-Neogotik. Die regelmäßige quadratische Anlage entsprach dem Renaissanceideal und ist noch heute von einem Wassergraben umgeben. Die vier Ecktürme und das Torhaus wurden nach 1843 weitestgehend neu erbaut. Ab 1721 wurde das Schloss auf königlichen Befehl Friedrich Wilhelm I. (1688 - 1740) Wohnsitz des Oberforstmeisters der Altmark. Seit 1726 Leopold Maximilian von Anhalt-Dessau mit königlicher Genehmigung die Jagd in den Letzlinger Wäldern aus. Im Jahr 1802 pachtete Prinz Louis Ferdinand von Preußen (1772 - 1806) die Jagd. Schließlich erhielt Oberförster Meyerinck vom König Friedrich Wilhelm IV. den Auftrag, eine Hofjagd einzurichten. Dazu wurden 16.000 Hektar Heide eingegattert und es begann eine umfangreiche Hege. Dieser König beauftragte auch Peter Joseph Lenné (1789 - 1866) mit der Umgestaltung des nahen und weiteren Schlossumfeldes. In einem Schreiben von Lenné vom 4. Dezember 1843 heißt es, dass er 50 Rotbuchen für Letzlingen ausgewählt habe und dass der Plan für den Tiergarten durch seinen engsten Mitarbeiter Garteninspektor Gustav Meyer (1816 - 1877) angefertigt werde. Neben den Zeichnungen ist auch der Erläuterungsbericht von Meyer erhalten geblieben. Er kritisiert darin vor allem den schlechten Zustand der Straßen und Wege sowie die nun erfolgte räumliche Trennung des Schlosses von Wald und Tiergarten.

1856 besuchte der preußische König letztmalig Letzlingen und als Folge genehmigte er 1858 den Entwurf Friedrich August Stülers für den Kirchenneubau. 1861 wurde sie geweiht. Später kam es im 19. Jahrhundert immer wieder zu gestalterischen Änderungen im Umfeld der Kirche und auch im Tiergarten durch Bau der Kleinbahnstrecke Gardelegen-Neuhaldensleben 1911. Diese Strecke hätte man heute sicher gern durch eine Museumsbahn touris-tisch genutzt, doch inzwischen wurde auch der Bahnhof Letzlingen bedauerlicherweise abgerissen. Bis zur Abdankung des Kaisers Wilhelm II. (1859 - 1941) am 9. November 1918 blieb Letzlingen der Aufführungsort zahlreicher prachtvoller Jagdveranstaltungen, an welchen der gesamte Hofstaat, die Regierungsvertreter und Vertreter des Adels bzw. Hochadels teilnahmen. Darunter Otto Fürst von Bismarck (1815 - 1898) als Gründer und erster Kanzler des Deutschen Reiches sowie Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847 - 1934). Natürlich auch geladene ausländische Jagdgäste wie beispielsweise 1909 der österreichische Thronfolger Franz-Ferdinand. 1918 erfolgte der Verkauf des Mobiliars und 1922 wurde es als Schule genutzt. Bis zum Kriegsende 1945 war es Lazarett und bis 1991 ein Teil des Gardelegener Klinikums. Nach der Wende kam es ab 1992 zu umfangreichen Restaurierungen und das Hauptgebäude wird jetzt museal als Objekt der im April 2017 aus der Stiftung Dome und Schlösser hervorgegangenen Kulturstiftung von Sachsen-Anhalt mit Sitz im Schloss Leitzkau genutzt. Hier befindet sich die Dauerausstellung „Jagdgeschichte der Letzlinger Heide. Königlich-preußische Hofjagd“. Die Nebengebäude gehören zur Travdo Hotelgruppe mit Sitz in Rochlitz und bieten einen stilvollen Aufenthalt im Heideort Letzlingen. Volker A. W. Wittich

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