Bewegte Zeiten ohne Aufschub

Helga Spielberger an ihrer „Lieblingsbaustelle“ am Damaschkeplatz. Foto: Peter Gercke

Trotz besten Bestehens mit Diplom sah es für Helga Spielberger anfangs gar nicht nach einer großen Karriere aus. Nach dem Studium wurde ihr Name nicht – wie damals üblich – an in Frage kommende Theater des Landes weitergegeben. Was war passiert? Sie hatte dem Parteiregime im Land DDR Paroli geboten. Den entsprechenden Aktenvermerk hat sie viele Jahre später in ihrer Personalakte gefunden und aufgehoben. Damals jedoch, zum Ende ihres Schauspielstudiums, war ihr die Konsequenz noch nicht so gewahr. Sie hatte sich nur gewundert, weshalb sie keine Angebote von Theatern bekam. Später erfuhr sie durch Zufall von ihrem „schlechten Ruf“. Hintergrund: Sie hat den „Prager Frühling“ erlebt. Zunächst die lockere Atmosphäre mit anderen Studenten in Prag. Offenheit, Gespräche, das Gefühl von neuem Entstehen. Später Aufmarsch der Panzer. Auch wenn sie nicht dabei war, war sie entsetzt. Hatte sie doch geglaubt, die regierende Partei (SED) würde das Land für die Menschen gestalten und sie wollte dazu beitragen. Wurde Kandidatin der Partei. Nach den aufrüttelnden Ereignissen nahm sie die Bewerbung zurück. Das führte zu Gesprächen, die sie „zur Besinnung“ bringen sollten. Vergeblich. Helga Spielberger war erwachsen geworden, selbstbewusst genug, sich dem Regime entgegenzustellen. Vielleicht auch nicht wirklich wissend, was auf sie zukommen würde. Das ergab sich erst, als sie kein Engagement bekam. Doch das spornte sie an. Sie fuhr auf Eigeninitiative zu Vorsprechen. Auch wenn zunächst ihr „Typ” (die Freche, Derbe) bereits anderweitig besetzt war, kam sie letztlich durch Empfehlung nach Zeitz.

Helga Spielberger wirkt mehr amüsiert als nachdenklich, als sie das erzählt. Auch wenn sie sich damals geärgert hat. Mit einer Handbewegung scheint sie diese Gedanken wegzuwischen. Wer weiß, welchen Weg sie sonst genommen hätte. So kann sie stolz sein auf alles, was sie geschaffen hat. Eine Karriere, die sie – zumindest in ihrer Heimatstadt – zu einer Ikone werden ließ. Eine, die man gern auf der Bühne erlebt, die bewegt, anspricht, ihren Weg in die Herzen findet.

Eigentlich, so erzählt sie dann, hatte sie nie vor, Schauspielerin zu werden. Sie habe sich als dick und hässlich empfunden. Eine Beschreibung, die sich heute kaum nachvollziehen lässt. Doch damals galt Brigitte Bardot als Schönheitsideal. Und dem entsprach sie so gar nicht. Aber das Spielen lag ihr schon im Blut. Bereits als Kind sagte sie gern Gedichte auf oder kasperte „Unsinn“. Deshalb vermittelte ihre Mutter sie zur Theatergruppe der Verkehrsbetriebe. Dort wurde sie  entdeckt. Jedenfalls bekam sie die Empfehlung, sich für die Schauspielschule zu bewerben. Zu jener Zeit stand sie am Ende ihrer Ausbildung beim „Konsum“. Doch als Buchhalterin ein Leben lang im Büro zu sitzen, konnte sie sich nicht wirklich vorstellen. Also bewarb sie sich für das Studium, fuhr nach Leipzig zum Vorsprechen. „Nie hätte ich geglaubt, dass die mich nehmen.“ Doch sie nahmen. Einzige Bedingung: Sie musste die Hochschulreife nachholen.

Bei dieser gedanklichen Rückreise sagt sie plötzlich: „Ich bin stolz, ein Ossi zu sein.“ Hier wurde  die Grundlage für ihr letztlich doch schönes Leben gelegt. „Wir hatten eine wunderbare Ausbildung wie es sie heute gar nicht mehr gibt.“ Sich mit jeder Faser des Körpers ausdrücken zu können und stimmlich zu variieren, gehörten ebenso dazu wie Pantomime und Fechten. Gelernt hat sie später auch von den großen Mimen wie Rolf Hoppe, den sie auf der  Bühne erlebte. Und sein Abgang! Allein der sei unglaublich ausdrucksstark gewesen. „Das wollte ich auch.“ Nach ersten Theaterjahren anfangs in Zeitz, dann in Freiberg, kehrte sie – mittlerweile Mutter geworden – zurück in ihre Heimatstadt Magdeburg. Hier sollte ein Kabarett gegründet werden. Eine Chance. Komisch konnte sie schon damals sein, flotte Sprüche beherrschte sie auch. Freunde sagten ihr: „Du bist eine Komikerin“. Helga Spielberger bewarbt sich und wurde Gründungsmitglied der Kugelblitze. Die Karriere stieg auf, mit bewegenden Zeiten. Als das Kabarett privatisiert wurde, kehrte die Schauspielerin ans Theater zurück, wo sie bereits während ihrer Kabarettzeit Rollen übernommen hatte. Ihre Urmachteburjerin „Emma Kühne“ hat überlebt und ist noch immer Kult. Ihre komische Seite ausspielen konnte sie später u.a. auch beim Hofspektakel des Puppentheaters.

Interessanten Menschen ist sie in ihrem Leben begegnet, die sie für ihre Kunst bewundert. Rolf Hoppe war schon genannt, Klaus Glowalla gehört dazu, der sie unterrichtete, Jürgen Heinrich … Künstler, die sie mit ihrer Ausdrucksstärke beeindruckt haben. Jüngstes Beispiel ist Nele Heyse, Magdeburgs Stadtschreiberin. Ihre Lesung war ein Erlebnis, schwärmt Helga  Spielberger, „sehr nuanciert und mit der Kunst der Pause. Wunderbar“. Es sind die leisen Töne, die sie besonders faszinieren. Heute wird es auf der Bühne oft laut, bedauert sie. Sie hat ihre Leidenschaft für Oper entdeckt, geht liebend gern ins Kino, wenn Inszenierungen der „Met“ (Metropolitan Opera) übertragen werden.

Mit den Jahren engagiert sich Helga Spielberger immer vielschichtiger für die Bühne, so scheint es. So brachte sie ebenso mit dem Nachwuchskabarett Prolästerrat Programme auf die Bühne als auch mehrfach mit dem Seniorentheater. Programme schreiben, so ist ihr persönliches Fazit, das ist nicht so ihrs, doch sie inszeniert mit Leidenschaff. Und natürlich eigene Auftritte. Seit 1996 macht sie das immer wieder, gemeinsam mit Manfred Herbst.

Schlank und sportlich zeigt sich die 73-Jährige. Sie achtet auf ihre Figur, ja, aber „ich brauche mein Süßes, esse jeden Tag Schokolade“, verrät sie lachend. Täglich fährt sie mit dem Fahrrad durch die Stadt. Vorbei an ihrer „Lieblingsbaustelle“ am Damaschkeplatz. Daran vorbei, durch den Bahnhof, geht es mit dem zweirädrigen Gefährt besser in die Innenstadt. Es sei denn, der Fahrstuhl ist defekt, dann kommt Krafttraining beim Radtragen dazu. Noch mehr machen ihr die wechselnden Baustellen zu schaffen. „Wo ich gestern noch fahren konnte, stoppt mich heute eine Baustelle“, ärgert sie sich. Dann stößt das Fahrrad an seine Grenzen und eine Umfahrung mit dem Auto wäre leichter. Stattdessen heißt es: strampeln, strampeln, strampeln. Der Sport lässt den Ärger verfliegen. Zusätzlich sorgt Helga Spielberger mit täglicher Gymnastik für ihre Beweglichkeit, ist zudem Mitglied im Uni-Sportverein. Das Beste für die Fitness, so sagt sie dann mit dem von ihr so bekannten verschmitzten Lächeln, „sind die drei Treppen, die ich täglich in meine Wohnung steigen muss.“ Die spornten sie auch nach einer Knie-OP besonders an, so dass sie bereits nach kurzer Zeit wieder fit wurde.

Fit, aktiv, vielseitig – so zeigt sich Helga Spielberger. Doch sie hat auch ihre stille Seite, macht sich andere Gedanken, auch übers Alter. Noch vor ein paar Jahren hatte sie erklärt, sie wolle so lange auftreten, bis sie „tot von der Bühne“ fällt. Mittlerweile grenzt sie das etwas ein. „Ich werde ja nicht jünger“, witzelt sie und spricht vom Kürzertreten, sich auch Zeit für andere Dinge zu nehmen. „Ich möchte nichts mehr aufschieben.“ Geändert hat sich in der Zwischenzeit: Ihre beiden besten Freundinnen aus der Schulzeit sind verstorben. Nachdenklich wird die 73-jährige bei den Gedanken an sie. Schweigsam. Scheint sich innerlich zurückzuzuziehen. Bis sie plötzlich ihr wunderbares, anste-ckendes Lächeln wieder aufsetzt. Es gibt noch viel zu erleben, sagt sie, viel zu sehen. Sie möchte reisen, andere Städte, andere Länder erleben. Einige Touren hat sie bereits gemacht. Kürzlich erst eine Donau-Flussfahrt, war in Wien, Budapest, Bratislava. „Das erweitert den Blick.” Glücksmomente.

Kraft geschöpft für das Nächstkommende hat sie auch – für die Proben zum neuen Programm. „Der erste Lack ist ab“ mit Manfred Herbst ist das elfte Programm dieser Art und sozusagen ein „Best of“. Mit den schönsten, lustigsten, bewegendsten Liedern der vergangenen Programme. Fast zeitgleich mit dem Druck dieser Kompakt-Zeitung war Premiere in Stadtfeld.

Die Auftritte machen ihr nach wie vor Freude.  Das Publikum glücklich machen macht auch sie glücklich. Deshalb möchte sie auch weiterhin auf der Bühne stehen. „So lange die Leute mich noch sehen wollen.“ Die ausverkaufte Premiere zeigte: sie wollen.

Helga Spielberger steht nicht nur auf der Bühne ihre Frau. Sie hat viel zu erzählen, viele Geschichten, aus 50 Berufsjahren und 70 Lebensjahren. Sie macht das spannend und unterhaltsam, emotional, vielseitig. Auch nachdenklich, vor allem aber mit einem Lachen. Nach Stunden brechen wir unser Gespräch ab, um es an einem anderen Tag fortzusetzen. Immer wieder gerne. Birgit Ahlert

Programm: „Der erste Lack ist ab“

Café Kaffeetasse in Stadtfeld
29.09.2019 um 19 Uhr

18.10.2019 um 19 Uhr

03.11.2019 um 19 Uhr

23.11.2019 um 19 Uhr

08.12.2019 um 19 Uhr

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