„Wir sind noch längst nicht am Ende“

Bennet Wiegert ist glücklich über die SCM-Leistungen in der zurückliegenden Saison. Foto: Peter Gercke

Bei den Handballern des SC Magdeburg herrscht derzeit die große Sommerruhe. Am 13. Juli starten die Grün-Roten in die Vorbereitung auf die neue Spielzeit. Cheftrainer Bennet Wiegert (37) analysiert im Interview mit MAGDEBURG KOMPAKT die zurückliegende Saison und blickt auf Kommendes voraus.

Sie haben in der zurückliegenden Saison erneut das Pokalfinale erreicht, mehr noch, in der Bundesliga steht mit Rang drei die beste Platzierung der letzten 15 Jahre zu Buche. Führen wir dieses Interview also mit einem hochzufriedenen Cheftrainer?
Bennet Wiegert: Wer mich ein bisschen kennt, der weiß, dass das Wort hochzufrieden in meinem Wortschatz kaum vorkommt. Aber ich muss und will gerecht sein: Was das Abschneiden in der Liga anbetrifft, hat die Mannschaft tatsächlich nahezu das Maximum ausgeschöpft.

Großmeister Kiel wurde in beiden Partien der Liga bezwungen, Klassenprimus Flensburg musste zwei Niederlagen hinnehmen, eine im Pokal, eine im Titelkampf. Und am Ende distanzierte der SCM mit den Rhein-Neckar Löwen sogar einen der Großen Drei des deutschen Handballs um vier Punkte. Darauf darf man doch stolz sein, oder?
Natürlich, das sind wir auch. Dritter mit 54 Punkten zu werden, Respekt davor! An der Meisterschaftssaison habe ich wirklich wenig auszusetzen, wenn man vielleicht einmal von den beiden unnötigen Niederlagen in Erlangen und zu Hause gegen Göppingen absieht. Gegen die Füchse Berlin müssen wir vor eigenem Publikum ebenso wenig verlieren. Mit derselben Betonung sage ich aber: Die Mannschaft hatte sich ein klares Ziel gesetzt, nämlich einen Titel zu erringen. Das ist uns nicht gelungen.

Bei diesem Ziel kamen, realistisch gesehen, eigentlich nur die Pokalwettbewerbe, der EHF-Cup und der DHB-Pokal, in Frage. Wo sehen Sie die Ursachen dafür, dass es nicht geklappt hat?
Vorweg: Um einen Titel zu gewinnen, gerade im Pokal, brauchst du unter bestimmten Umständen auch ein wenig Glück. Das besaß Kiel, weil sich bei uns im nationalen Pokalendspiel Albin Lagergren nach 20 Minuten schwer verletzte und ausfiel. Ihn konnten wir nicht ersetzen. Wir sind eben mit unserem Kader, da sind wir bei einer entscheidenden Ursache dafür, dass wir noch nicht ganz oben anklopfen konnten, noch nicht in der Lage, derartige Ausfälle wettzumachen. Das gilt für Pokal und Meisterschaft gleichermaßen. Kiel konnte in den beiden Pokalspielen des Final Fours in Hamburg ja fast zwei unterschiedliche, aber nahezu auf demselben Niveau agierende Mannschaften aufbieten. Das macht noch den Unterschied.

In der Bundesliga wurde in der Vergangenheit immer von den Großen Drei – Kiel, Flensburg, Rhein-Neckar Löwen – gesprochen. Ist es, eingedenk des dritten Platzes des SCM in diesem Jahr, vermessen, künftig von den Großen Vier zu reden?
Das weiß ich nicht und überlasse es anderen, darüber zu befinden. Auf jeden Fall haben wir es geschafft, uns nach den Rängen fünf und vier in den Vorjahren fest da oben zu etablieren.

Wie sehen Sie denn die Liga in der neuen Saison?
Ich hoffe schon, dass es nicht ein für alle Mal bei den Großen Drei bleibt. Ich denke, es steht der Liga insgesamt nicht so gut zu Gesicht, wenn eine Mannschaft am Ende mit nur Minuspunkten Meister wird, wie diesmal Flensburg. Da droht irgendwann Langeweile. Ich möchte keine Handball-Bundesliga mit Formel-1-Feeling, wo der Gewinner in der Regel vorher feststeht. Ich fände es spannender, wenn der Titel einmal mit 14 Minuspunkten weggehen würde.

Der SCM war mit seinen beiden Siegen gegen den THW Kiel in der zurückliegenden Spielzeit so etwas wie das Zünglein an der Waage im Meis-terkampf. Wer könnte außer Ihnen in Zukunft da oben mitmischen?
Ich sehe da neben uns weiterhin Melsungen ganz vorn. Allein was die mit ihren finanziellen Mitteln an Spielern verpflichten können! Irgendwann wird sich das auf der Platte umsetzen. Auch Berlin und Göppingen sollte man im Auge haben. Für uns bleiben, neben der Bestätigung des dritten Platzes, in der Liga durchaus Steigerungsmöglichkeiten. Wir sind noch längst nicht am Ende.

Woran denken Sie da vor allem?
Wir wollen noch variabler werden, im Angriff und vor allem in der Abwehr. Wir werden verstärkt daran arbeiten, neben unserer 6:0-Abwehrformation eine offensivere Variante einzustudieren. Als Trainer träumst du doch davon, je nach Bedarf nur mit der Hand schnipsen zu müssen und problemlos von 6:0 auf 3:2:1 oder 4:2 umstellen zu können. Aber so weit sind wir noch nicht. Bisher haben wir größten Wert auf die Basics gelegt. Also unsere Stärken noch weiter auszubauen, die Schwächen zu minimieren.

Nun ist eine der größten Stärken des SCM in der zurückliegenden Saison der Tempohandball gewesen. Es sei das Beste, da stimmen die Experten nahezu völlig überein, was die Liga derzeit zu bieten hat. Es ist davon auszugehen, dass Sie daran festhalten, oder?
Als wir vor zwei, drei Jahren die Grundlagen dafür gelegt haben, wusste ich, ehrlich gesagt, nicht, ob das einschlägt – und wenn ja, wie. Es war zunächst eine kleine Gratwanderung. Ein bisschen Risiko war schon dabei. Es war eine Nische, die wir damals besetzt haben. Wir wollten etwas Eigenes, etwas Besonderes machen. Dass es inzwischen so gut eingeschlagen hat, freut mich natürlich. Wir werden auf jeden Fall daran festhalten. Aus dem Tempohandball entstehen für uns einfache Tore, für den Gegner sind diese dann häufig deprimierend.

Tempohandball, was heißt das eigentlich? Lässt sich das für den Laien vielleicht einmal anhand von Zahlen unterstreichen?
Nehmen wir die Angriffsquote. Wenn meine Unterlagen nicht lügen, sind wir als SCM früher pro Begegnung im Schnitt etwa 32 bis 34 Angriffe gelaufen. Die Zahl der Tore lag da, nur einmal als Beispiel, bei etwa 28. Heute laufen wir 45 bis 50 Angriffe, und da sind zuweilen eben schon einmal 34, 35 Tore keine Seltenheit.

Tempohandball verlangt nach Spielertypen, die dieses System beherrschen und umsetzen. Nun haben den SCM in dieser Sommerpause fünf Akteure verlassen, sechs neue kommen hinzu.  Passen sie, salopp gefragt, ins Schema?
Natürlich, sonst hätten wir sie nicht verpflichtet. Ich bin überzeugt, dass wir mit der jetzigen Mannschaft einen weiteren Schritt nach vorn gehen können, die eingangs erwähnten Defizite in der Breite minimieren, die Leistungsdichte enger machen können. Wir wollen uns generell breiter aufstellen. Wobei die Wirtschaftskraft freilich einige Grenzen setzt. Wichtig war mir auf jeden Fall, dass die Neuen charakterlich zu uns passen. Darauf haben wir bei ihrem Casting sehr großen Wert gelegt.

Unter den Neuen, das fällt auf, befinden sich gleich vier Deutsche. Zeigt sich hier so etwas wie eine Trendumkehr?
Auf jeden Fall freue ich mich, im künftigen Kader sechs deutsche Spieler zu haben. Darunter mit Matthias Musche, Tim Hornke, Moritz Preuss und Erik Schmidt Nationalspieler. Und auch ein Christoph Steinert hat ja schon das deutsche Trikot getragen. Ich sehe in all dem eine weitere Stärkung der Marke SCM.

Dennoch tragen Akteure aus acht Nationen künftig das grün-rote Trikot. Wir gehen einmal davon aus, die Amtssprache ist und bleibt Deutsch.
Das ist selbstverständlich. Das hat auch nichts damit zu tun, dass ich als autoritärer Trainer gelte, der so etwas einfach festlegt. Für die Kommunikation ist die gemeinsame Sprache einfach unerlässlich. Das gilt übrigens auch für das Zusammensein der Mannschaft außerhalb des Spielfeldes. Da würde ich es nicht dulden, wenn in unterschiedlichsten Sprachen geredet wird. Das verlangt allein schon der Respekt untereinander. Das schließt ein, dass während des Spiels in der Hitze des Gefechts schon einmal ein paar Brocken in Dänisch oder Serbokroatisch fallen können …

Nun eröffnet sich, für den Außenstehenden etwas überraschend, die Möglichkeit, dass der SCM in der kommenden Spielzeit über ein sogenanntes Upgrade (Heraufstufen) sogar in der Champions League mitmachen darf. Wie stellt sich Ihnen die neue Situation dar?
Festhalten sollte man zunächst, dass wir im Herbst auf jeden Fall wieder international spielen. Für den EHF-Cup waren wir fest qualifiziert. Ich kann im Vorfeld nicht einschätzen, wie hoch die Chancen für uns sind, vom europäischen Verband für die Champions League nominiert zu werden (Anm.: Das Interview wurde vor der Entscheidung der EHF geführt, d. Red.). Die Champions League wäre ohne Zweifel ein Bonus für uns. Sie ist nun einmal das Größte im Vereinshandball.  Deshalb haben wir unsere Bewerbung auch abgegeben. Denn es wäre niemandem zu vermitteln gewesen, der Mannschaft nicht und den Fans schon gar nicht, wenn wir auf eine Bewerbung verzichtet hätten und ein in der Meisterschaft hinter uns platziertes Team wäre nominiert worden. Man hätte uns zu Recht Schlafmützigkeit vorgeworfen. So wie es sich für mich derzeit darstellt, ist es für uns definitiv eine Win-Win-Situation.

Sie halten Ihre Mannschaft also stark genug, in der Champions League eine akzeptable bis gute Rolle spielen zu können?
Natürlich. Das traue ich unserem Kader auf jeden Fall zu. Abzuwarten bleibt allerdings, wie wir eine Dreifachbelastung – Meisterschaft, Pokal, Champions League – wegstecken würden. Da besitzen wir noch keine Erfahrung.

Bleiben wir noch kurz beim internationalen Geschäft. Nach dem Ausscheiden im EFH-Cup-Halbfinale 2018 in Magdeburg hofften Sie, diese Scharte unbedingt noch einmal vor eigenem Publikum auswetzen zu können. 2020 wäre in Magdeburg die letzte Chance dazu, da ab 2021 eine Reform der internationalen Wettbewerbe greift, die auch für den EHF-Cup ein finales Turnier an einem festen Platz vorsieht.
Dieser Traum wird sich leider kaum realisieren lassen, da die Magdeburger Halle an dem vom europäischen Verband dafür vorgegebenen Termin unseren Informationen zufolge nicht zur Verfügung gestanden hätte. Ich verspreche mir aber, wenn es dazu kommt, von einem EHF-Turnier an einem festen Ort eine weitere Aufwertung dieses Wettbewerbs.  Einen neuen Hype sozusagen.

Zum Schluss vielleicht noch ein Wort zu einem Magdeburger Phänomen, den Zuschauern. Fast ausverkaufte Häuser in den letzten beiden Partien gegen Abstiegskandidaten. Bei bestem Sommerwetter und in Spielen, in denen es für die Gastgeber zudem um kaum noch etwas ging. Wie bewerten Sie das?
Mit der Entwicklung der Zuschauerzahlen sind wir insgesamt überaus zufrieden. Das ist einfach super. Die Fans haben einen riesigen Anteil an der Gesamtentwicklung. Magdeburg hat eben kein Eventpublikum, sondern eines, das auch nach einer durchwachsenen Leistung des Teams immer wieder kommt. Der Zuspruch hat im Gegenzug freilich ebenso etwas mit den gezeigten Leistungen zu tun. Es ist ein Wechselspiel. Ich spüre es immer wieder, die Mannschaft besitzt den Ehrgeiz, sich vor diesem Publikum, das über so viel Sachverstand verfügt, beweisen zu wollen. Das ist das Schöne an der Sache. Fragen: Rudi Bartlitz

Zurück