Wenn der Torpedo auf Touren kommt
Die Hinspielserie in der dritten Fußball-Bundesliga ist beendet. Der 1. FC Magdeburg legt einen hervorragenden zweiten Platz auf den Gabentisch und untermauert Aufstiegsambitionen. Für Angreifer Philip Türpitz lief es nahezu perfekt – wäre da nicht ein kleiner Schatten.
Für Philip Türpitz bedeuteten die zurückliegenden zwei Wochen alles andere denn ein Wandeln auf sonnigen Pfaden. Der Senkrechtstarter des 1. FC Magdeburg, erst im Sommer aus Chemnitz zu den Blau-Weißen gestoßen, musste von draußen zusehen, wie sein Team in der dritten Liga den Sturmlauf an der Tabellenspitze fortsetzte. Ohne ihn. Das tat weh. Und das Schlimmste daran, er war sogar selbst schuld an der Misere.
Das kam so: Als der torgefährliche Flügelflitzer im heiß umstrittenen Sachsen-Anhalt-Derby gegen den HFC (2:1) in der 70. Minute eingewechselt wurde, flog er gut 60 Sekunden später nach einer Tätlichkeit (er hatte sich, nachdem er eigenen Worten zufolge von einem Hallenser in den Arm gebissen worden war, mit einem Schlag revanchiert) prompt wieder vom Platz. Die Folge der Roten Karte: Der Verband sperrte ihn für drei Begegnungen.
Dabei hatte im Sommer an der Elbe alles so glänzend begonnen für den 26-Jährigen. Obwohl seine Kritiker zunächst nicht bis ins letzte davon überzeugt waren, ob er dem FCM wirklich würde helfen können. Dafür kam Türpitz nicht mit den allerbesten Empfehlungen aus Sachsen, hatte dort zuletzt kaum noch in der Stamm-Elf gestanden.
Als er sich in dieser Situation dennoch zum Wechsel zu einem Drittliga-Spitzenteam entschloss, ginger Risiko: „Ja, ich war oft nur noch zweite Wahl. Um wieder mehr zu spielen und mich sportlich weiterzuentwickeln, habe ich den Schritt gewagt.“ Für ihn bedeutet dies so etwas wie eine letzte Chance, sich in Liga drei zu etablieren, ja, von hier aus mit dem neuen Arbeitgeber vielleicht den Sprung in die hatte gerüttelt Anteil daran. „Mir macht es großen Spaß, den Ball am Fuß zu haben“, sagt er über sich. „Ich gehe gerne ins Dribbling. Ich gehe gerne ins Eins-gegen-Eins.“ Er wirbelte am rechten Flügel, bereitete Treffer vor, erzielte gegen Rostock selbst ein Traumtor. Wurde binnen kürzester Frist zu einem Publikumsliebling. Doch wann immer das zur Sprache kommt, lenkt Türpitz den Fokus sofort auf das Team. „Der Erfolg der Mannschaft steht eindeutig im Vordergrund“, betonte er immer wieder. „Nachdem ich so gut aufgenommen wurde, habe ich aber auch nicht mit einer langen Eingewöhnungszeit gerechnet. Die 3. Liga ist ja kein Neuland für mich.“ Lars Fuchs, sein Vorgänger auf der Position im offensiven Mittelfeld, adelte ihn schon zu diesem Zeitpunkt: „Für mich ist er eine Topverpflichtung. Er hat eine Superdynamik, sucht den direkten Weg zum Tor. Nicht umsonst ist sein Spitzname Torpedo.“
Kurzum, FCM und Türpitz surften auf einer Erfolgswelle. Bis sie Mitte September in Zwickau, der vielleicht schwächsten Begegnung der gesamten Hinrunde, jäh abstürzten. Erklärungen dafür hatte so recht niemand parat. Außer dem Trainer. Der befand: „Unser Spiel ist darauf ausgerichtet, dass jeder 100 Prozent gibt. Ist das einmal nicht der Fall, erhalten wir dafür sofort die Quittung.“ Aus welchem Holz der FCM des Herbstes 2017 allerdings geschnitzt ist, bewies die Elf nur sechs Tage später. Da machte ausgerechnet Spitzenreiter FC Paderborn seine Aufwartung in der MDCC-Arena. Nach Hause fuhr er mit der ersten Saisonniederlage (0:1) im Gepäck. Für die Gastgeber war es der Beginn einer erneuten Mini-Serie von drei Siegen am Stück, darunter Auswärtserfolge in Aalen und Osnabrück. Man hatte sich oben festgebissen, war wieder Zweiter mit nur einem Punkt Rückstand auf Paderborn.
Bis zu jenem 21. Oktober. Während die Blicke der meisten in Magdeburg siegestrunken schon irgendwie in der Tabellenspitze festhingen und das Wort von der zweiten Liga immer öfter die Runde machte, leisteten sich die Härtel-Jungs vor den eigenen Fans gegen die SpVgg Unterhaching einen Ausrutscher per excellence. Der „Kicker“ analysierte: „Der FCM fand offensiv kaum statt.“ Und Türpitz ebenso nicht. In der Bewertung des Fachorgans (wie Schulnoten von 1 bis 6) erhielt er mit einer 3,5 seine zweitschlechteste der gesamten Halbserie. Die Gedanken der Blau-Weißen, so vermuteten viele, kreisten längst um den DFB-Pokalschlager gegen Cup-Verteidiger Borussia Dortmund. Beim absoluten Jahreshöhepunkt, für den gut und gern 60.000 Karten hätten verkauft werden können, wurden dem Drittligisten seine Grenzen eindeutig aufgezeigt (0:5). Türpitz hinterher in den Katakomben ehrlich: „Der BVB war die dominierende Mannschaft. Wir besaßen keine Chance.“
Als in der Liga ein 0:1 in Karlsruhe folgte, war die nächste Mini-Krise da: vier Spiele, drei Niederlagen, ein Unentschieden, 0:9 Tore – so lautete die magere wettbewerbsübergreifende Bilanz der letzten vier Begegnungen. Doch der FCM wäre nicht der FCM – und das ist eine der ganz herausragenden Stärken der Mannschaft – wenn man sich auch da nicht wieder am eigenen Schopf herausgezogen hätte: Mit Erfolgen gegen Köln, Halle, Chemnitz und Lotte holte das Team, als dessen Stärken sich immer mehr die mannschaftliche Geschlossenheit und ein ausgeglichener Kader herausschälten, die Maximalpunktzahl von zwölf Zählern.
Nur einer schaute am Ende etwas betreten drein: Philip Türpitz. Nach dem Aussetzer gegen Halle musste er („Es tut mir unendlich leid.“) von draußen zuschauen. Härtel unnachgiebig: „Das hat er sich selbst eingebrockt, das muss er auch auslöffeln.“ Zur Begegnung mit Ex-Klub Chemnitz (Härtel: „Darauf hatte er sich ein halbes Jahr gefreut.“) musste er auf eigene Kosten hinterher fahren. Dennoch, der Tattoo-Fan, der sich in einem MDR-Interview als „sehr gläubigen Menschen“ bezeichnet („fast alle meiner Tattoos haben etwas mit Glauben zu tun.“), erlebte bisher eine Saison, die sich ein Neuzugang nur in kühnsten Träumen ausmalen kann: Er ist Stammspieler, er führt die vereinsinterne Scorerliste an (fünf Treffer, sechs Vorlagen), er ist mit einer „Kicker“-Durchschnittsnote von 2,75 bester aller 25 FCM-Akteure. Und: Er ist Publikumsliebling, trotz des Halle-Intermezzos. Rudi Bartlitz
„Ein sensationeller Wert“
FCM-Cheftrainer Jens Härtel im Interview
Die Hinserie ist Geschichte, der FCM punktgleich mit Spitzenreiter SC Paderborn Zweiter. Wie fällt Ihre erste kurze Bilanz aus?
Jens Härtel: 43 Punkte, das ist ein sensationeller Wert. Wenn man einmal ein bisschen zurückguckt in die Geschichte, haben das nicht allzu viele Mannschaften geschafft zu dem Zeitpunkt. Da braucht man nicht groß rumzudiskutieren, das ist richtig gut. Wir haben 14 Siege, ein Unentschieden. Da sind wir sehr, sehr zufrieden.
Wie sehen Sie die Lage in der Liga generell? Mit Paderborn, dem FCM und Wiesbaden haben sich oben drei Teams ein wenig abgesetzt. Könnte das Bild am Saisonende noch genauso aussehen?
Nein, muss es auf keinen Fall. Wir haben wie in den Vorjahren erneut eine große Ausgeglichenheit in der Liga. Hinter der augenblicklichen Dreier-Gruppe wartet eine Sechser-Gruppe nur darauf, dass die da oben Fehler machen.
Wen sehen Sie denn noch als Anwärter für die vorderen Plätze?
Natürlich Karlsruhe, Rostock und Unterhaching. Aber auch Meppen darf man nicht unterschätzen. Vor Rückschlägen ist von den augenblicklich Vorderen keiner gefeit. Das haben wir zu spüren bekommen, als wir im November in drei Begegnungen nicht getroffen haben. Da wurden in der Öffentlichkeit schon die Minuten ohne Tore gezählt. Es steht in diesem Jahr noch ein Heimspiel gegen Großaspach an. Da ist noch eine Rechnung aus dem 1:4 im Hinspiel offen. Wir haben trotz der 43 Punkte noch Hunger, wollen in diesem letzten Spiel des Kalenderjahres weitere Zähler holen. Aber auch im neuen Jahr werden wir die Hände nicht in den Schoß legen, weiter aufs Gaspedal treten und versuchen, in der Rückrunde möglichst gut aus den Startlöchern zu kommen.
Noch einmal 40plusX Punkte in der Rückserie. Eine illusorische Vorstellung?
Wieso denn? Natürlich kann man das, wenn man zu jeder Zeit sein Potenzial voll ausschöpft, schaffen. Wir gehen ohnehin in jedes Spiel mit dem Ziel, zu gewinnen.
Kompakt
Trainingslager
Zum ersten Mal wird sich der 1. FCM im Januar mit einem Trip nach England auf die Rückserie vorbereiten. Wegen der nur dreiwöchigen Winterpause, der klimatischen Unterschiede und den Erkrankungen, die sich eine Reihe Akteure im Januar 2017 im Camp in Südspanien zugezogen hatten, verzichtet der Klub diesmal auf eine Reise nach Andalusien. Dafür wurde eine kurze „Testspielreise“ auf die Insel vereinbart. Vom 6. Bis 9. Januar weilt das Team im Großraum Manchester, um sich, wie der Verein betont, „optimal auf den Drittliga-Start Ende Januar vorzubereiten“. Im Rahmen des Trainingslagers will der FCM zwei Testspiele gegen den vom Ex-Magdeburger Uwe Rösler gecoachten Drittligisten Fleetwood Town (7.1.) und gegen Zweitligist Bolton Wanderers (8.1.) bestreiten. Der FCM wird höchstwahrscheinlich von Hunderten Fans auf die britische Insel begleitet.
Zuschauer
Magdeburg machte in der ersten Halbserie 2017/18 seinem Ruf, die Zuschauer- und Stimmungs-Hochburg der Liga zu sein, alle Ehre. „Hier herrscht eine Atmosphäre, die sich hinter keinem Zweitliga-Stadion verstecken muss“, fanden nahezu alle Gästetrainer nach ihrem Auftritt in der MDCC-Arena, die eindrucksvollen Choreographien der Fans taten ein Übriges. Die Blau-Weißen führen, wie in den beiden Vorjahren nach 19 Spieltagen die Liste der Zuschauerzahlen mit großem Vorsprung an. Bisher passierten 176.304 Fans bei den zehn Heimpartien die Stadiontore. Das entspricht einem Schnitt von 17.630. Damit ließen die Magdeburger selbst Zweitligisten hinten sich. Auf den weiteren Rängen folgen Hansa Rostock (102.000) und der Karlsruher SC (95.283).