Von Aufstiegsserien, Kängurus und goldenen Wasserhähnen

Mit der nächsten zweiten Liga schwappt die Jubelwelle um den 1. FC Magdeburg neuen Höchstwerten entgegen. Doch aufgepasst! Nichts ist im Fußball zuverlässiger als die Veränderung, das Unerwartete. Möglich ist alles. Kompakt-Autor Rudi Bartlitz hat vor Saisonstart seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Vorsicht! Sommermärchen oder Satire.

19. Juli 2018: Gleich mehrere Fraktionen bringen trotz Sommerpause im Landtag den Antrag ein, den 21. April, den Tag des Aufstiegs, zu einem zusätzlichen Feiertag in Sachsen-Anhalt zu erklären. Die Idee eines zugereisten Beamten, doch lieber den 4. Juni zu nehmen, denn an diesem Tag sei der HSV zum letzten Mal deutscher Meister geworden, fällt einer strikten Ablehnung anheim.

27. Juli 2018: Noch vor dem Start in die neue Ära soll unbedingt ein Maskottchen her. Nach dem einst schmählich gescheiterten Versuch mit einem Luchs, der aussah wie ein verkohlter Kater aus dem Rauchfang, soll es diesmal ein Känguru sein. Weil: Das hat noch keiner. Und wegen der großen Sprünge. Zoodirektor Kai Perret rät ab: „Die büxen zu oft aus.“

4. August 2018: Zweitliga-Heimpremiere gegen den Hamburger SV. Die begehrten Karten sind nur über ein Gewinnspiel zu haben. Die Marketingabteilung hatte sich eine Frage („Bloß nicht zu schwer, jeder soll eine Chance haben“) ausgedacht: Wie lautet der Vorname von Heinz Krügel? Zum Spiel selbst: Ehe die Gäste Gedanken und Beine einigermaßen sortiert haben, hat es schon drei Mal eingeschlagen. Am Ende triumphiert der FCM deutlich mit 4:1 (3:0).

27. August 2018: Nach einem phänomenalen Start, dem Auftakterfolg,  folgen weitere zwei Siege und ein Remis, schieben sich die Magdeburger auf Rang zwei vor. Eine Position, die sie bis zum Ende der Halbserie nie mehr aus der Hand geben werden.

5. Oktober 2018: Um bei der Großbaustelle am Bahnhof ein Zeichen zu setzen, lässt Coach Jens Härtel im Training symbolisch das „Tunneln“ üben. Schneller geht es trotzdem nicht.

27. Oktober 2018: Bei Sky findet Experte Lothar Matthäus wieder einmal nur lobende Worte für den FCM. Auf den provozierenden Einwurf des (West)Moderators, ob er etwa die glasklaren Chancen des Gegners völlig negieren wolle, antwortet er schlagfertig: „Wäre, wäre, Fahrradkette. So ungefähr – oder wie auch immer.”

18. November 2018: Präsident Peter Fechner erwägt den Rückzug. Notgedrungen. Der Luftfahrt-Experte, sein Führungsstil und die Erfolge mit dem FCM haben sich längst bis in die Hauptstadt herumgesprochen, sollen den Berliner Flughafen endlich auf Vordermann bringen. Als Nachfolgerin wird Theater-Intendantin Karen Stone heiß gehandelt. „Sie kennt die große Bühne und beherrscht die Inszenierung“, heißt es. Außerdem käme man einer Frauen-Quote zuvor, wäre somit ein Vorbild für den gesamten deutschen Profifußball und hätte obendrein mit dem Theater endlich einen repräsentativen Raum für die Weihnachtsfeier.

3. Dezember 2018: Hiobsbotschaft von der medizinischen Abteilung: Ein Spieler (Namen der Redaktion bekannt) klagt plötzlich über panische Bus-Angst. Die Pfeifferschen Stiftungen stehen vor einem Rätsel. Spieler X wird ab sofort zu jedem Auswärtsspiel eingeflogen.

12. Dezember  2018: Die Arbeitsgruppe Vereinsleben hat beraten, wie sich der Klub noch aktiver in die Migrations-Debatte einschalten könne. Es kamen bemerkenswerte Vorschläge, für welche, auf alten Fußball-Weisheiten basierenden Ideen die Mitgliedschaft sensibilisiert werden sollte. Kostproben: „Die Moschee ist rund, und eine Fatwa dauert immer 90 Minuten“, „Nach dem Islam ist vor dem Islam“, „Wir schauen immer nur von Gebet zu Gebet“, „Die Gläubigen gehen in die Moschee, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht“,  „Der nächste Islam ist immer der schwerste“, oder „Abseits ist, wenn der Imam pfeift“.

15. Dezember 2018: Wie jedes Jahr präsentiert sich der heimatverbundene FCM wieder mit einem eigenen Stand  auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt, jenem martialischen Inferno aus verbrannten Mandeln, glühendem Wein und im Kreis laufenden depressiven Ponys, abgerundet von possierlichen Handwerksarbeiten aus der Region um Peking.

4. Januar 2019: Ex-Kapitän Marius Sowislo verkündet den Rücktritt vom Rücktritt: „ Eine so geile Truppe, die einmaligen Glücksgefühle haben mir einfach gefehlt.  Außerdem macht kein Verein so viele Aufstiegsfeiern wie der FCM, da will ich im Sommer wieder dabei sein.“

16. Januar 2019: In einem Interview mit dem für seine knallharte Recherche gefürchteten Chefredakteur Horst Schlämmer vom „Grevenbroicher Tagblatt“ bekennt Tobias Schwede: „Mir reicht’s in Paderborn. Ich will zurück in mein Magdeburg. Dafür verzichte ich sogar auf viel Geld.“

20. Februar 2019: Angesichts der Magdeburger Überlegenheit und weil gerade Winter ist, erwägen einige Gegner, lieber Biathlon zu betreiben. Weil das bessere Einschaltquoten bringt. Eine weitere Überlegung: Vielleicht könnte man das eigene Auftreten attraktiver machen,  wenn jeder Spieler ein Gewehr mit sich führen müsste.

4. März 2019: Empörung und Gelächter in Magdeburg. In einer Tageszeitung heißt es: „Ein reguläres Tor von Schiedsrichter Brych wurde nicht anerkannt.“

10. März 2019: Erste Niederlage (0:1), ausgerechnet gegen den SC Paderborn. Trainer Härtel nimmt es, wie immer, humorvoll und wird (fast) zum Fußball-Philosophen: „Unsere Pässe wirkten heute oft nicht mehr wie der Teil eines Plans, sondern wie das Weiterreichen eines Problems.“ An der Spitzenposition der Blau-Weißen ändert das nichts.
15. Mai 2009: Medien-Direktor Norman Seidler qualmt der Kopf: Zum letzten Spieltag haben sich Dutzende TV-Teams aus England, Italien und Spanien angemeldet. MDF 1 (mit MDR-Mann Eik Galley als ausgeliehenen Live-Reporter) überträgt acht Stunden am Stück aus der seit Wochen ausverkauften „Abendfriede“-Arena.

20. Mai 2019: Ausnahmezustand im Fußball-Osten! Dem FCM gelingt mit einem erneuten Durchmarsch der Aufstieg in die 1. Bundesliga. Christian Beck verwandelt in der entscheidenden Partie gegen den 1. FC Köln einen Elfmeter (Torwarttrainer Matthias Tischer hatte ihm zuvor einen gut leserlichen Zettel zugesteckt, der später streng bewacht im Kulturhistorischen Museum aufbewahrt wird) und trifft in der Nachspielzeit aus 35 Metern mit einem Fallrückzieher zum 2:0 in den Winkel.

4. Juni 2019: Mario Kallnik dementiert Gerüchte, ihn ziehe es in die Politik. Sein entwaffnendes Argument: „Was soll ich da?“ Er widersteht ebenso millionenschweren  Verlockungen anderer Bundesligisten wie dem AOK Frankfurt/Main.

9. Juni 2019: Scheichs aus dem Morgenland lassen anfragen, ob denn die Logen in der Arena für ihren Hofstaat samt Frauen und Kindern ausgelegt seien; Preise wären absolut kein Thema. Goldene Wasserhähne stellten keine Bedingung da, im Orient wisse man von den Engpässen in einer Mangelwirtschaft. Vorübergehend könne man über Plastehähne aus DDR-Produktion hinwegsehen.

15. Juni 2019: Der FCM muss die bittere Erfahrung machen, dass gerade Erfolgsvereine eine magische Attraktivität für Dilettanten entwickeln. Der Jordanier Hasan Abdullah Mohamed Investor Ismaik (früher 1860 München) lanciert über einen Mittelsmann eine Offerte. Ebenjener „The One and Only“ Ismaik, der von Fußball noch weniger versteht als ein Verandageländer von der Geldanlage in Zero-Bonds.

27. Juni 2019: Renommierte Trainer werden von Beratern und Agenten auf der Geschäftsstelle wohlfeil angeboten. Mehrmals in der Woche wird der Porsche des unverwüstlichen Peter Neururer in Stadionnähe gesichtet. Als der Name Jupp Heynckes ins Spiel kommt, ist man auf FCM-Seite eher skeptisch: „Zu jung.“ Bei Rudi Gutendorf heißt es, dem fehle Auslandserfahrung. Jürgen Klopp wiederum mangele es am nötigen „Stallgeruch“. Und Pep Guardiola verwirre die Spieler nur, da habe man eine gewisse Fürsorgepflicht. Deutschlands Rekordnationalspieler winkt gleich ab:  „Ein solcher Klub wie Magdeburg verpflichtet doch einen Lothar Matthäus nicht. Da fehlen einem Lothar Matthäus, so selbstkritisch und ehrlich muss er sich selbst gegenüber sein, die vorzeigbaren Erfolge.“ Also bleibt alles beim Alten.

1. Juli 2019: Dem zum Sportvorstand aufgestiegenen Maik Franz gelingt ein Coup an der Transferfront: Nils Petersen, Marcel Schmelzer und Paul Seguin tragen ab sofort die blau-weißen Farben.

8. Oktober 2019: Das neue Stadion ist endlich fertig. Selbst für eine Metropole mit eigenem Hundertwasserhaus ist es ein architektonisches Novum: Jede Stufe sieht anders aus. Die Stadt verfügt: Das Aufbauen von Hüpfburgen ist im Umkreis von 20 Kilometern um die Arena ab sofort streng untersagt.

14. November 2019: Der journalistische Hype kennt keine Grenzen. Ein FCM-Spieler wird von einem der immer aufdringlicher werdenden Reporter nach seiner Lieblingsfarbe gefragt. Er: „Weiß nicht.“ Reporter:  „Welche dann?“

20. Dezember 2019: Zur Winterpause ist der FCM nach drei Aufstiegen hintereinander als Dritter bester Neuling aller Zeiten.

29. Dezember 2019: Das gab es noch nie: Christian Beck und Philip Türpitz werden in Baden-Baden gemeinsam zu Deutschlands „Sportler des Jahres“ gekürt. Eine Frauenwertung entfällt diesmal. Der Mannschaftstitel geht gerade noch einmal so an die Fußball-Nationalmannschaft, knapp dahinter der FCM.

3. Februar 2020: Bundestrainer Joachim Löw nominiert für die nächsten Länderspiele gleich vier Magdeburger. Er könne sich sogar vorstellen, sagt er, sein Team später einmal um einen richtigen FCM-Block herum zu formieren.

23. Februar 2020: Der Würstchenkrieg im Stadion ist durch den seinerzeitigen Einsatz von UN-Blauhelmen längst beigelegt und fast vergessen. Da kommt es zu einem Eklat im VIP-Raum. Ein Kellner fragt eine hochstehende Person aus dem Wirtschaftsleben: „Ihr Glas ist leer, mein Herr. Möchten sie ein neues?“ – „Eine unerhörte Frechheit, was soll ich mit zwei leeren Gläsern?“

5. März 2020: Noch stehen die Bayern in der Tabelle knapp vor dem FCM. Ein Magdeburger Magazin (Name der Redaktion bekannt) enthüllt einen perfiden Trick der Münchner: Sie schießen in neun von zehn Spielen einfach mehr Tore als der Gegner, nur so kommt der Großteil ihrer sogenannten „Siege“ zustande. Fairplay sieht anders aus.

8. April 2020: Der FCM startet eine unglaubliche Aufholjagd. München schwächelt. Der neue Trainer Paul Linz ist ratlos. Und das trotz der Zugänge Neymar, Ibrahimovic, Novy, Hebisch, Cwielong und Ludwig.

15. April 2020: In der Allianz-Arena besiegen die Blau-Weißen im DFB-Pokal-Halbfinale den FC Bayern sensationell mit 1:0 (Torschütze: Heynke) und ziehen ins Endspiel ein. Gegner dort: FSV Barleben oder Germania Halberstadt.

26. April 2020: Jetzt neu im FCM-Fanshop: blau-weiße Golfsocken. Frage eines Kunden: „Was muss ich mir denn darunter vorstellen?“ – „Sie verfügen alle über 18 Löcher.“

10. Mai 2020: Das Unglaubliche geschieht: Der FCM wird durch ein 4:2 über Bayern München (Torschützen: je zweimal Petersen und Beck) vorzeitig deutscher Meister. Aufatmen in ganz Deutschland. Tausende HFC-Fans bilden vor dem Stadion ein Jubel-Spalier. Für das entscheidende Match lagen 150.000 Kartenbestellungen vor. Der Papst lädt die Spieler zu einer Privataudienz nach Rom. Zeugwart Heiko Horner in höllischer Not: „Um Himmels Willen, was ziehen wir da nur an? Die schwarzen Auswärtstrikots? Oder doch die neuen purpurfarbenen von Uhlsport?“

20. Juni 2020: Philip Türpitz wird zu Deutschlands „Fußballer des Jahres“ gewählt. Das Madrider Sportblatt „Marca“ erscheint mit der Schlagzeile: „Türpitz – ein legitimer Nachfolger Messis.“ Geschäftsführer Kallnik, der gerade erst den spanischen Sportvermarkter Asap aufgekauft hat, erklärt seinen Mittelfeld-Star prompt für unveräußerlich. Der alte Heesters-Gassenhauer „Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig  zum Glück“ ist inzwischen so etwas wie die heimliche FCM-Hymne geworden.

6. April 2021: Die Erfolgswelle ist nicht zu stoppen. Der FCM qualifiziert sich nach Erfolgen über NAC Breda, Beroe Stara Zagora, Banik Ostrava, Sporting Lissabon und Manchester City für die K.o-Runde der Champions-League und scheitert dort erst im Viertelfinale durch die Auswärtstorregel (1:1, 2:2) an den „Galaktischen“ von Real Madrid. Kapitän Denis Erdmann trotzig: „Egal, nächstes Jahr holen wir das Ding.“

28. Mai 2021: Durch die Auftritte in der Champions League verfügt der Klub auf seinem Festgeldkonto über Einnahmen im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Mit einem Teil des Gewinnes werden Tunnel- und Brückenbauarbeiten in Magdeburg unterstützt.  Ferner werden griechische und italienische Schrottaktien vom Markt gekauft. Der aus dem Emsland neu verpflichtete Marketingchef Hans-Dieter Schmidt bekennt: „Der FCM hat sich schon immer seiner sozialen Verantwortung gestellt.“

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