Viel Handball, und dann?

Mit einschneidenden Veränderungen ist die Bundesliga in ihre neue Saison gestartet. Was davon bewährt sich, wo zeigen sich Schwächen? MAGDEBURG KOMPAKT ist der Sache nachgegangen.
Attraktiver solle sie werden, die neue Liga-Saison. Spannender und unterhaltsamer. Das jedenfalls hatten die Macher vor Saisonbeginn verkündet. Ein neuer TV-Vertrag (mit Sky) und damit verbunden feste Spieltage (Donnerstag und Sonntag) sollten ein völlig neues Handballgefühl vermitteln.
Ja, mehr noch: In einer Image-Kampagne („Handball – Es lebe der Sport") legt sich die Liga-Vereinigung sogar mit dem großen Bruder Fußball an. Als „eine echte Alternative für Fans und Sponsoren zum überhitzten Fußballgeschäft, aber auch zu allzu elitären Sportarten“ wird Deutschlands zweitbeliebteste Mannschaftssportart dort angepriesen. „Der Fußball gibt uns Steilvorlagen“, sagt der Kommunikationschef der Liga, Oliver Lücke. „So entstehen eben Schlagzeilen wie ,Sport mit Gehalt statt absurder Gehälter‘. Mit der aktuellen Headline ,Bodychecks statt Millionenschecks‘ spielen wir auf den Neymar-Transfer und seine Folgen an“. Handball soll so dargestellt werden, wie er ist: „Authentisch, athletisch und körperbetont. Aber eben auch familiär, kameradschaftlich, fan-nah und bodenständig.“
Halten die Verantwortlichen Wort? Nachdem sich der erste Pulverdampf gelegt hat (gut ein Zehntel der 306 Partien sind absolviert), wagt MAGDEBURG KOMPAKT eine erste vorsichtige (und sicher ebenso noch unvollständige) Bestandsaufnahme. Wir haben vier Schwerpunkte herausgegriffen: die Situation in der Meisterschaft, das Abschneiden des SC Magdeburg, das neue Fernsehgesicht der Liga sowie der veränderte Spielplan; mit ungewohnten Anfangszeiten am Sonntagmittag.

DIE MEISTERSCHAFT
Eines muss man auf jeden Fall zugeben: Die Verantwortlichen haben den Mund, zumindest was das Sportliche betrifft, nicht zu voll genommen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, so lieferte ihn am vergangenen Donnerstag der TSV Hannover-Burgdorf. Mit einem Auswärtserfolg beim Klassen-Primus und deutschen Rekordmeister THW Kiel setzten sich die Niedersachsen überraschend an die Tabellenspitze. Ausgerechnet jenes Team, das vergangene Saison mit 14 Niederlagen und zwei Remis katastrophal abgeschlossen hatte. Vor dem Kiel-Coup zwangen die „Recken“, wie sie sich nennen, daheim bereits Meisterschaftsmitfavorit Flensburg in die Knie und führen nun überraschend die Rangliste an. Ebenso überraschend: Vom Spitzentrio Rhein-Neckar Löwen, Kiel und Flensburg, das nach Ansicht der meisten Experten die Meisterschaft erneut unter sich ausmachen sollte, haben bereits zwei (Kiel und Flensburg) Niederlagen auf dem Konto, die Löwen eine. So etwas gab es zu diesem frühen Zeitpunkt noch nie. Das ist Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die trotz der unverminderten Favoritenstellung der „Großen Drei“ ein engeres Zusammenrücken an der Tabellenspitze prognostizierten. Den Füchsen Berlin, der MT Melsungen und dem SCM wurde zugetraut, kräftig oben mitzumischen. Möglicherweise sogar in die Rangelei um zwei (oder drei) Champions-League-Plätze einzugreifen. Und wie sich zeigt, ist mit Hannover – wenn sie das augenblickliche Momentum behalten – sogar ein siebter potenzieller Anwärter hinzugekommen. Spannung ist also allemal garantiert. Wobei das Team aus der mittelhessischen Kleinstadt Melsungen vor dem Liga-Start Ende August als so etwas wie ein Geheimfavorit galt. Von einem Mäzen, dem Pharma- und Medizintechnik-Unternehmen Braun, wird der Verein großzügig mit Geld gefüttert. Nur so war es möglich, auf einen Schlag mit Finn Lemke (Magdeburg), Tobias Reichmann (Kielce) und Julius Kühn (Gummersbach) gleich drei deutsche Nationalspieler zu verpflichten; und die sind, um es gelinde zu sagen, in der Szene nicht als besonders preiswert bekannt. Es wird beispielsweise gemunkelt, Kühn verdiene nun das Doppelte von dem, was ein Michael Damgaard in Magdeburg erhalte.

DER SCM
Es waren nicht wenige, unter ihnen Kiel-Trainer Alfred Gislason und TV-Experte Stefan Kretzschmar, die den Magdeburger zutrauten, nach Platz fünf in der Vorjahrsaison diesmal in die Phalanx ganz nach oben vorzustoßen. Mit saisonübergreifend 21 Begegnungen ohne Niederlage hatten die Schützlinge von Chefcoach Bennet Wiegert in der Rückserie 2016/17 eine Serie hingelegt, die ganz Handball-Deutschland beeindruckte. Die letzte Niederlage datierte vom Dezember 2016 (beim THW Kiel).
Mit drei (erwarteten) Heimsiegen gegen die Aufsteiger Hüttenberg und Ludwigshafen sowie Stuttgart standen die Lackmus-Tests in Kiel und zu Hause gegen den Erzrivalen Füchsen Berlin gegenüber. Und die bestanden die Grün-Roten nicht. Es hagelte zwei Niederlagen, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung. Während der SCM in Kiel über zwei Drittel das Spiel beherrschte und die Zebras am Rand des K.o. hatte (binnen neun Minuten geriet man mit sechs Toren ins Hintertreffen), war die Vorstellung gegen die Hauptstädter eigentlich unerklärlich, zumal vor eigener Kulisse. Trainer Wiegert sprach davon „uns selten so schlecht spielen gesehen“ zu haben. Auffällig: Wieder war nach einer Dreiviertelstunde die Luft raus. Die Frage, die es zu klären gilt: Sind die Ursachen dafür rein psychologischer Art (Nervenflattern, Angst vor dem Gewinnen), oder verbirgt sich da möglicherweise auch ein Kraftproblem?
Offensichtlich wird, dass die Verantwortlichen vor dem Saisonstart nicht übertrieben haben, als sie darauf verwiesen, dass sich das Team mit vier Neulingen erst zusammenfinden müsse. Von den Zugängen schaffte nur der Pole Piotr Chrapkowski den Sprung in die Stamm-Sieben – und auch das nur in der Abwehr. Eine Entlastung für Damgaard auf der Königsposition ist er (bisher) kaum. Zu den gelegentlichen Angriffsbemühungen des Polen gegen die Füchse meinte Kretzschmar lakonisch: „Chrapkowski hat das Lemke-Trauma.“ Sprich: Er trifft nicht. Die anderen drei Neuen (der Spanier Carlos Molina, der Russe Gleb Kalarash und der Wilhelmshavener Junioren-Nationalspieler Lukas Mertens) können die Stammkräfte derzeit noch nicht ersetzen. Ergo: Wiegert besitzt derzeit zumindest am Kreis und im Rückraum kaum personell gleichwertige Alternativen.

DER TV-VERTRAG
So viel Handball war noch nie! Der erste Spieltag der neuen Saison bedeutete einen tiefen Einschnitt in die Fernsehgeschichte der Sportart. Zum einen werden alle 306 Partien der Bundesliga live übertragen, allerdings zum Großteil hinter einer Bezahlschranke – und mit einer Nachnutzung in den Sportsendungen der Sender der ARD. Nicht zu verachten: Die Handball-Ligavereinigung und damit auch die Klubs erhalten von Sky wesentlich mehr Geld als vom früheren Rechteinhaber Sport1. Die Rede ist vom Vier- bis Fünffachen der bisherigen Summen. Die waren, zugegeben, allerdings ziemlich mickrig.
Insgesamt sind die Ambitionen beim Pay-TV-Sender – wahrscheinlich auch wegen des Teilverlusts der Fußball-Bundesligarechte – groß: von Trainerlegenden wie Martin Schwalb und Heiner Brand bis Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar (der auch einen eigenen Handball-Talk bekam) und zahlreichen weiteren ehemaligen Top-Spielern bietet Sky eine namhafte Besetzung rund um seine Berichterstattung. Zudem gibt es – wie aus der Fußballbundesliga bekannt – erstmalig eine Konferenz, in der mehrere Spiele gleichzeitig gezeigt werden.
Ob die Übertragung sämtlicher Erstliga-Partien irgendwann eine Sättigungsgrenze erreichen wird, muss die Zeit zeigen. Am Sonntag bietet Sky beispielsweise seinen Abonnenten sechs Stunden Handball am Stück. Die Frage wird sein: Wie lang ist der Atem von Sky, wie lange ist das lohnend? Selbst wenn keine exakten Zahlen vorliegen, finanziell und logistisch ist der Aufwand immens. Natürlich muss sich manches erst einspielen, aber ein Blick auf die Einschaltquoten des ersten Spieltages beispielsweise (hier kam ja noch der Neuigkeits-Effekt hinzu) offenbart eine gewissen Ernüchterung. Technische Anfangsprobleme (keine Indo-Grafik, falsche Schaltungen, fehlende Einspielbeiträge, Nicht-Synchronität von Ton und Bild) taten ein Übriges. Zur selben Zeit meldete Sky im Fußball bezeichnenderweise den reichweitenstärksten Saison-Auftakt seiner Geschichte (4,3 Millionen Zuschauer).
Gleich in der allerersten übertragenen Handball-Partie (Ludwigshafen vs. Göppingen) lag die Einschaltquote laut Branchendienst „Quotenmeter“ im nicht messbaren Bereich. Im Klartext: unterirdisch. Auch für die anderen Spiele bewegten sie sich irgendwo zwischen 10.000 und maximal 40.000 Zuschauern. Das entspricht Marktanteilen zwischen 0,1 und 0,3 Prozent. Die Begegnung Magdeburg gegen Hüttenberg (Reporterfrage: „Der Kreisläufer von Hüttenberg hieß wie nochmal?“) wollten deutschlandweit 20.000 Zuschauer sehen. „Quotenmeter" titelte denn auch: „Handball startet mau bei Sky". Und „Spiegel Online“ merkte schon einmal an: „Den normalen Fan überfordert das Format.“
Enttäuschend für die Senderverantwortlichen gleichfalls der Start der neuen Talk-Runde von Kretzschmar – zumal ohne Bezahlschranke ausgestrahlt. Ganze 10.000 Zuschauer (Marktanteil 0,1 Prozent) wollten das sehen. Schade eigentlich, denn der Ex-Magdeburger stellt Fragen, die sich in dieser Deutlichkeit ansonsten kaum jemand im Fernsehen aufzuwerfen wagt. Aber es bedarf offenbar der Nehmerqualität eines Handball-Hardcore-Fans, um 60 Minuten einer Diskussion zu folgen, die inmitten ballspielender Kinder und im (Neben)Geräusch-Pegel riesiger Hallen verläuft. Bezeichnenderweise verständigen sich die Diskutanten untereinander über Mikro und Ohrstöpsel.

NEUER SPIELPLAN
Mehr als ein positiver Nebeneffekt des neuen TV-Vertrages sollte ein einheitlicher Spielplan sein. Die Liga atmete auf: Vorbei endlich die Zeiten, so zumindest die Hoffnung, in der die Tabelle oft nur ein Zerrbild lieferte, weil die Teams stets unterschiedlich viele Spiele bestritten hatten. Sky drang darauf, die Anwurfzeiten zu vereinheitlichen: Neben dem Donnerstagabend sollte Hauptspielzeit Sonntag um 12.30 Uhr sein, ein Topspiel um 15 Uhr angepfiffen werden.
Gerade um den Sonntagmittag – offenbar der einzige Platz, den Sky am Wochenende angesichts seines Fußball-Mammutprogramms erübrigen konnte – rankten sich zunächst viele Diskussionen. Freunde fand er nicht überall. Zuschauerunfreundlich, meinten die einen. Die Akteure müssten ihren Bio-Rhythmus umstellen, die anderen. Bekannt ist, dass SCM-Coach Wiegert mehrfach um 12.30 Uhr trainieren ließ, um seine Schützlinge auf die ungewohnte Uhrzeit einzustellen. Als der Trainer des Aufsteigers TV Hüttenberg, Adalsteinn Eyjölfsson, davon hörte, konnte er nur lächeln: „Das geht bei uns nicht, um diese Zeit arbeitet ein Großteil meiner Spieler.“ Gegen den Sonntagmittag habe er dennoch nichts, alles sei Gewöhnungssache. So dachte auch die überwiegende Mehrheit seiner Kollegen. Und offenbar auch die meisten Fans, von Einbrüchen der Zuschauerzahlen war bisher wenig zu hören. In Magdeburg kamen zu Eröffnung gegen einen Aufsteiger stolze 5.600 Besucher, in Kiel meldete die Ostseehalle gegen den SCM mit 10.285 Fans: ausverkauft.
So einigermaßen harmonisch die Sache mit dem Sonntagmittag sich aufzulösen scheint, der Spielplan schaut immer noch so aus, als habe es den neuen Vertrag nie gegeben. Am zurückliegenden Sonntag hatten einige Teams zwei, andere drei, mehrere vier und eines, nämlich der SCM, bereits fünf Begegnungen absolviert. Während die Grün-Roten im Drei-Tage-Rhythmus von Partie zu Partie hetzten, staunte ihr Trainer, als er vom Füchse-Coach erfuhr, dass die Berliner jetzt bis zum 17. September Zeit zur Regeneration haben. Das ist, gelinde gesagt, unlauterer Wettbewerb. Oder, wie ein Insider mit Blick auf die Liga-Verantwortlichen meinte: Alles beim Alten. Nichts haben sie gekonnt!
Hinzu kommt ein anderes Hindernis: die Hallen. Sie stehen, gerade in den Großstädten, den Bundesligisten nicht immer dann zur Verfügung, wenn sie gebraucht werden. Die Geschäftsführerin des deutschen Meisters Rhein-Neckar Löwen, Jennifer Kettemann, hat das Problem deutlich angesprochen. „Grundsätzlich sind die neuen Terminvorgaben des TV-Vertrages besonders für die drei deutschen Champions-League-Teilnehmer, die aber auch in der Bundesliga die Zugpferde und Publikumsmagnete unserer Sportart sind, ein Nachteil“, erklärte sie. Ähnliches dürfte für die Starter im EHF-Cup, wie den SCM, gelten. Kurios: Für die Champions League haben die Löwen, um dem planerischen Chaos ein wenig aus dem Weg zu gehen, auch ihre komplette zweite Mannschaft gemeldet. Kettemann: „Die Idee hinter dem neuen TV-Vertrag ist toll, die Umsetzung bisher mit Sicherheit ausbaufähig.“ Ein gebranntes Kind ist ebenso der SCM. Ihm steht die Getec-Arena wegen der Frauen-Handball-WM im Dezember nicht zur Verfügung; damit fällt das lukrative Weihnachtsgeschäft aus. Weitere Unwuchten: Zwischen der ersten und der fünften Begegnung lagen sage und schreibe nur 15 Tage, von den ersten zehn Partien träg der Klub sieben daheim aus. Da stoßen selbst die Gutwilligsten unter den Fans an Grenzen. Nicht nur an finanzielle. Rudi Bartlitz

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