„Sport hat eine Anker-Funktion“
Minister Holger Stahlknecht spricht im Interview mit Magdeburg Kompakt über den Sport auf dem flachen Land und Schritte, die das Vereinsleben der Aktiven attraktiver machen sollen.
Die Zahl der Jugendklubs, wenn es sie denn je gab, ist drastisch zurückgegangen. Andere Begegnungsstätten auf dem Land sind für die Heranwachsenden von jeher rar gesät. So bleiben Sportplätze und die Schulturnhallen auf dem Dorf noch immer jene Orte, wo sich die Jugend am häufigsten trifft, wo sie aktiv wird. Wie eine deutschlandweite Studie des nationalen Jugendforschungs- und Jugendbeteiligungsprojekts ergab, ist die Mitgliedschaft in einem Sportverein die populärste Form des Engagements junger Leute im ländlichen Raum. Immerhin 66 Prozent der Befragten machten dies für sich geltend. Mit großem Abstand erst folgte die Mitarbeit in einem Jugendverein (36 Prozent). Sport ist also ein immenser Faktor, wenn es darum geht, junge Leute in ihren Heimatregionen zu halten. Immerhin: Die Landesfläche Sachsen-Anhalts besteht nach Angaben des Agrar-Ministeriums zu mehr als 80 Prozent aus ländlichen Gegenden.
Dennoch, der Fußball, des Deutschen liebstes Kind, signalisierte gerade in Sachsen-Anhalt einen signifikanten Rückgang an Spielern und Mannschaften auf dem flachen Land. Zwischen 2010 und 2017 ist die Zahl der Mannschaften fast um ein Viertel zurückgegangen, alarmierte der Landesverband in diesem Frühjahr.
Aber auch die veränderten Altersstrukturen stellen ländliche Sportvereine zunehmend vor neue Herausforderungen. Es geht um mehr Gesundheitssport und neue Bewegungsangebote gerade für Ältere. Ziel ist es, langfristig neben den klassischen Wettbewerbssportarten Angebote zu schaffen, die nicht an Wettkämpfe gebunden und sportartübergreifend sind. Magdeburg Kompakt sprach mit dem Minister für Inneres und Sport, Holger Stahlknecht (CDU) über den Sport im ländlichen Raum unseres Bundeslandes.
Der Sport im ländlichen Raum ist deutschlandweit in den zurückliegenden Monaten verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Das gilt sicher auch für Sachsen-Anhalt als Flächenland, wo die Mehrzahl der Menschen in kleineren Gemeinden zu Hause ist ...
Holger Stahlknecht: Sport hat im ländlichen Raum eindeutig eine Anker-Funktion. Er kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Landflucht zu verhindern. Dazu brauchen wir ein intaktes Vereinsleben. Und auf dem Land sind nun einmal die Feuerwehr und der Sportverein die wichtigsten Zentren, in denen sich gesellschaftliches Leben abspielt.
Kritische Stimmen meinen sogar, bereits heute in Sachsen-Anhalt eine Verödung der Sportlandschaft zu sehen.
Das bestreite ich. Diese Verödung gibt es nicht. Was nicht heißt, dass wir uns keine Gedanken darüber zu machen haben, wie wir das sportliche Leben auf dem Land attraktiver machen. In Sachsen-Anhalt hat das Land allein in den zurückliegenden acht Jahren über 197 Millionen Euro für die Sportförderung zur Verfügung gestellt, ein beträchtlicher Teil davon ging in den ländlichen Raum. Im Jahr 2016 ist es zudem erstmals gelungen, EU-Mittel für die Sportstättenförderung zu bewilligen und auszuzahlen. Seitdem sind knapp zwei Millionen Euro zusätzlich geflossen.
Wer entscheidet über die Mittelvergabe?
Zunächst wird eine Prioritätenliste „Sportstättenbau“ von einer Arbeitsgruppe erstellt. Vertreter des Landessportbundes, der kommunalen Spitzenverbände, des Landesverwaltungsamtes und des Ministeriums sind Mitglieder dieser Arbeitsgruppe. Bei der Auswahl der zu fördernden Anträge werden sowohl sportfachliche Aspekte als auch regionale Ausgewogenheit berücksichtigt. Bewilligungsbehörde ist zu guter Letzt das Landesverwaltungsamt, das das Vorliegen sämtlicher Fördervoraussetzungen prüft.
Nun haben Sie in diesen Tagen eine Kommission berufen, die sich des Sports im ländlichen Raum annehmen soll. Sie steht unter dem Motto „Sport stärkt Heimat“. Was erhoffen Sie sich konkret von ihr?
Ziel ist es, Maßnahmen und Handlungsempfehlungen zu definieren, die den Sport und damit auch den ländlichen Raum effektiver stärken. Dazu soll die Kommission im ersten Schritt eine Bestandsaufnahme unter anderem auch zu bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten für Vereine im ländlichen Raum und deren Inanspruchnahme machen. Wir erhoffen auch Aufschlüsse darüber, wie das Ehrenamt gestärkt werden kann, wie Integration gelingen kann und wie die Gemeinden in unserem Bundesland zukünftig generell aussehen sollen.
„Sport stärkt Heimat“ – Wie definieren Sie diesen Slogan?
Es geht, einfach gesagt, grundsätzlich darum, die Potenziale des Sports in zweierlei Hinsicht zu nutzen. Zum einen, um Menschen, die hier leben, im Land zu halten. Und zum anderen darum, attraktive Bedingungen für diejenigen zu bieten, die sich hier ansiedeln wollen. Denn Sport prägt maßgeblich das Zusammenleben. Für Jung und Alt ist der Verein ein zweites Zuhause. Kaum ein anderer Bereich unseres gesellschaftlichen Lebens schafft es wie der Sport, regelmäßig Menschen unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Alters zusammenzubringen, sie gemeinsame Emotionen, Erfolge sowie Niederlagen miteinander erleben zu lassen. Ganz wichtig: Hier zählt zuerst der Mensch und nicht das Geld. Der organisierte Sport mit seinen knapp 3.150 Vereinen und 341.200 Vereinsmitgliedern leistet in unserem Land wichtige Beiträge zur Integration und Inklusion, er ist präventiv gegen Extremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit tätig und ein wichtiger Bildungsträger.
Nun hat der Landesfußballverband in einem Positionspapier Alarm geschlagen, erhebliche Rückgänge bei der Zahl der aktiven Mannschaften und Spieler beklagt. Helfen könnte jetzt nur noch Zuwanderung und eine Integration, die funktioniere, fordert der Verband von der Landespolitik. Wie stehen Sie dazu?
In einigen Punkten teile ich die Sorge des Verbandes. Wir wollen deshalb sein Papier als Ausgangspunkt nehmen, um uns noch näher mit den Problemen des Sports im ländlichen Raum zu beschäftigen. Sport und Arbeit sind meiner Auffassung nach die besten Möglichkeiten, um eine erfolgreiche Integration zu gewährleisten. Zugleich warne ich jedoch vor dem Trugschluss, der zunehmende Fachkräftemangel im Land sei durch einen Asylzuzug zu bewältigen. Dazu benötigen wir ein modernes Einwanderungsgesetz. Die im Fußball-Papier geäußerte Annahme, durch gelockerte Asylregeln die Probleme im ländlichen Raum zu lösen, halte ich deshalb für falsch.
Apropos Einwanderungsgesetz. Wollen denn überhaupt mehr Menschen nach Sachsen-Anhalt?
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat unlängst herausgefunden, dass die Sachsen-Anhalter in der Republik diejenigen sind, die die höchs-te Verbundenheit mit ihrer Region bekunden. Mehr noch, Sachsen-Anhalt ist durchaus attraktiv für Menschen aus anderen Teilen Deutschlands. Deshalb prognostiziere ich, es werden noch mehr zu uns kommen. Und die wollen eben auch Sport treiben. Ich sage: Sachsen-Anhalt ist ein Land mit Zukunft. Und deshalb ist es wichtig, dass wir den Sport als sogenannten weichen Standortfaktor auch im ländlichen Raum weiterentwickeln, das Sportangebot dort für alle attraktiver machen.
Der Sport auf dem Land wird häufig auf den Fußball begrenzt. Sollte aber nicht gerade das Altern der Gesellschaft – in Sachsen-Anhalt ist immerhin jeder vierte Einwohner 65 Jahre oder älter – für die Vereine Anlass sein, ihr Profil zu überdenken, auszudehnen?
Natürlich, denn Sport ist mehr als nur Fußball. Da gehören Leichtathletik, Volleyball u.v.m. dazu, übrigens auch Golf und Schach. Generell sollten auf dem flachen Land, wo viele ältere Menschen ihr Zuhause haben, Gesundheits- und Seniorensport mehr Aufmerksamkeit erhalten. Um die Betätigungsfelder der Vereine in dieser Richtung zu erweitern, haben wir ja auch den LandesSportBund bei uns in der Kommission.
Vor der neuen Kommission und der sie unterstützenden Arbeitsgruppe liegt also ein Berg an Arbeit. Wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen?
Wir rechnen damit, Mitte 2019 erste Ergebnisse vorlegen zu können. Fragen: Rudi Bartlitz