Spagat zwischen Tradition und Moderne

Handball-Bundesligist SC Magdeburg steht in dieser Saison vor reizvollen und zugleich schwierigen Aufgaben. Höhepunkt ist Pfingsten die Ausrichtung des Finalturniers um den EHF-Cup.

Die Sportstadt Magdeburg kann sich 2018 auf ein weiteres Top-Ereignis freuen. Am Pfingstwochenende (19./20. Mai) ist sie Gastgeber für das Final-Four-Turnier um den EHF-Cup, den nach der Champions League zweitwichtigsten Vereinspokal im europäischen Handball. Was gab letztlich den Ausschlag für Magdeburg?
Marc-Henrik Schmedt: Drei Städte hatten sich um das Turnier bemüht. Neben uns noch Vorjahresausrichter Göppingen und das dänische Silkeborg. Nach Aussagen der EHF war unsere Bewerbung die überzeugendste, deshalb bekamen wir im Dezember den Zuschlag. Zuvor hatte Magdeburg sowohl mit dem Doppelländerspiel der deutschen Männer und Frauen im Oktober als auch mit der Durchführung von zehn Begegnungen der Handball-Weltmeisterschaft der Frauen im Dezember nachgewiesen, dass es Höhepunkte organisatorisch sehr gut meistern kann.
 
Nun lässt sich ein solches Event mal nicht so nebenbei stemmen.
Richtig, deshalb setzen wir auf eine engere Kooperation mit der Stadt und dem Land – und natürlich unseren Sponsoren. Noch sind einige letzte Feinabstimmungen mit dem europäischen Verband nötig, dennoch lässt sich schon heute sagen, für Magdeburg und ganz Sachsen-Anhalt ist dieses Turnier eine ausgezeichnete internationale Werbung.
 
Sie wollen, so ist zu hören, die Vermarktung des Turniers in die eigenen Hände nehmen?
Das sehen die Vorgaben der EHF für die Ausrichtung so vor. Die Vermarktung wird größtenteils über uns vorgenommen werden.
 
In welchen finanziellen Kategorien bewegen Sie sich dabei?
Wir gehen von einem Gesamtetat für das Turnier im oberen sechsstelligen Euro-Bereich aus. In dieser Summe enthalten sind Preisgelder für die vier Finalisten. Im Vorjahr waren dies 100.000, 50.000, 20.000 und 10.000 Euro. Wir sind bemüht, noch im Januar mit dem Vorverkauf für dieses Event zu beginnen. Bei den Karten, die in den Verkauf gelangen, handelt es sich – wie beim Deutschen Final Four in Hamburg – generell um Tickets, die zum Besuch beider Turniertage berechtigen.
 
Apropos Karten. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, Europacup-Partien sind, im Gegensatz zur Bundesliga, nicht unbedingt Publikumsrenner. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Um das Finalturnier mache ich mir keine Sorge, natürlich vorausgesetzt, der SCM ist dabei. Aber davon gehe ich zu 100 Prozent aus. Was das Team vielmehr benötigt, ist eine starke Unterstützung in den Heimspielen der am 10. Februar beginnenden Gruppenphase, in der wir auf so starke Vertretungen wie Bjerringbro-Silkeborg, SKA Minsk und Tatran Presov treffen. Wir brauchen jeden Zuschauer, um unser Ziel, Platz eins oder zwei in der Gruppe, zu erreichen.
 
Gelingt es, Erster der Gruppe zu werden oder zu den besten drei Gruppenzweiten zu gehören, erspart sich der SCM das Viertelfinale und zieht als Veranstalter direkt in die Finalrunde ein. Und wenn nicht?
Werden wir schlechtester Gruppenzweiter, müssen wir uns über ein zusätzliches Viertelfinale qualifizieren.
 
Die Frage, was passiert, sollte Magdeburg wider Erwarten nicht einen der ersten beiden Gruppenplätze belegen, wagt man eigentlich gar nicht zu stellen.
Die stellen wir uns auch gar nicht, weil wir ein tiefes Grundvertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer Mannschaft besitzen.
 
Die europäischen Pokalwettbewerbe stehen in den nächsten Jahren vor einem radikalen Umbau. Wie stellt sich der SCM dieser schwierigen Herausforderung?
Zunächst einmal: Als Klub besitzen wir darauf wenig Einfluss. Wenn die Reform der Champions League so vollzogen wird, wie es sich augenblicklich darstellt, steigen von den 28 Klubs, die zurzeit in der Champions League startberechtigt sind, 16 in den EHF-Cup ab. Allein daran zeigt sich, vor welchem Umbruch wir stehen. Deshalb war aus unserer Sicht 2018 auch die wahrscheinlich letzte Chance, das Finalturnier um den EHF-Cup in der jetzigen Form nach Magdeburg zu holen. Und ihn mit der Unterstützung unserer Fans hoffentlich auch zu gewinnen.
 
Sie sind zugleich Vizechef der Handball-Bundesliga-Vereinigung (HBL). Helfen Sie uns, ein wenig Licht ins Dunkel der europäischen Pokalwettbewerbe zu bringen. Mit wie viel Startplätzen kann Deutschland nach den jüngsten Querelen mit der europäischen Föderation denn derzeit wirklich rechnen?
Nach aktuellem Stand verfügt die Bundesliga über vier feste Startplätze. Hinzu kämen möglicherweise eine oder zwei Wild Cards, auf die aber kein Anspruch besteht. Gehen wir einmal von fünf Startplätzen aus, hieße das: Entweder es starten zwei deutsche Klubs in der Champions League und drei im EHF-Cup, oder drei in der Champions League und zwei im EHF-Cup. Sollte es ab 2020 zur Champions-League mit nur noch zwölf Teams kommen, wäre für Deutschland in der Regel nur noch ein Platz drin, im Idealfall zwei.
 
Das macht es für Klubs, die in der nationalen Liga oben angreifen und sich für die Champions League qualifizieren wollen, sicher nicht einfacher.
Sicher nicht. Wir halten dennoch an unserem Ziel fest, uns in der oberen Tabellenhälfte festsetzen und die Spitze angreifen zu wollen. Dafür müssen wir allerdings die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Soll heißen, nur eine stabile wirtschaftliche Grundlage kann Voraussetzung für sportliche Erfolge sein. Bereits heute decken wir 70 Prozent unserer Einnahmen aus Sponsorenleistungen. Deren Zahl ist inzwischen auf knapp 400 angestiegen. Wir müssen uns stets vor Augen führen: Der SCM steht im Wettbewerb mit immer neuen mäzengeprägten und somit finanzstarken Klubs mit großen und modernen Hallen. Weiteres Wachstum ist nötig, um allein den Status quo zu halten.
 
Die Mittel der Vergangenheit taugen nicht mehr?
Nicht alleine, wir als SCM müssen es heute schaffen, den Spagat zwischen Tradition und Moderne zu meistern. Gesellschaftliche Themen wie der demografische Wandel oder die voranschreitende Digitalisierung betreffen auch uns . Es gibt in diesem Zusammenhang einen interessanten historischen Vergleich. Betrachtet man einmal die Abschlusstabelle der Saison 2000/2001, als der SCM die deutsche Meisterschaft errang, zeigt sich schnell, dass von den damaligen Spitzenvereinen heute nur noch ganze drei weiter oben mitmischen: Kiel, Flensburg und wir. Alle anderen existieren teils gar nicht mehr, wie der damalige Vierte Wallau/Massenheim, wurden in Liga zwei oder drei durchgereicht, wie der damalige Sechste TuSEM Essen, oder mühen sich heute in der Bundesliga im unteren Bereich, wie Gummersbach und Lemgo.
 
Zurück in die Gegenwart. Mit einem TV-Vertrag mit dem Bezahlsender Sky hat die Bundesliga im Spätsommer 2017 einen neuen Schritt bei der Vermarktung des Handballs unternommen. Der Zuschauer musste sich auf ungewohnte Spieltage wie Donnerstagabend und Sonntagmittag einstellen. Wie fällt nach einem halben Jahr ein erstes Fazit aus?
Ich habe bisher den Eindruck gewonnen, die Akzeptanz für das neue Angebot ist da. Auf jeden Fall hat es unserer Sportart mehr Präsenz in der Öffentlichkeit gebracht. Qualität und Quantität der Übertragungen sind wesentlich besser geworden. Sky überträgt alle 306 Bundesliga-Begegnungen. So kommen auch Vereine und deren Fans in den Genuss von TV-Übertragungen, die früher oft zu kurz kamen. Auch in den öffentlich-rechtlichen Medien hat sich unsere Präsenz vergrößert. Bei den Zuschauerzahlen haben wir beim SCM aufgrund der veränderten Anwurfzeiten keinen signifikanten Rückgang feststellen können.
 
Lassen Sie uns also auf die Bundesliga schauen. Der SCM überwintert auf einem siebten Rang. Sind Sie zufrieden mit dem Erreichten?
Die augenblickliche Position ist das eine, zugleich zeigt ein Blick auf die Tabelle, dass der Abstand zu den Top-Teams nicht allzu groß ist. Der Abstand auf Rang drei beträgt nur vier Punkte.
 
Dem möchte man entgegenhalten, dass gegen die Top-Klubs der Liga noch kein Sieg gelungen ist. Gegen die Rhein-Neckar Löwen und die Füchse Berlin gab es zu Hause sogar Niederlagen.
Natürlich hätten wir uns mehr erwünscht. Wir haben die Big Points nicht geschafft, das stimmt. Aber mit der Punktausbeute insgesamt können wir nicht unzufrieden sein. Gegen die Vertretungen, die hinter uns positioniert sind, haben wir keinen einzigen Zähler abgegeben, 24:0 Punkte geholt. Wir sind in allen drei Wettbewerben Meisterschaft, DHB-Pokal und EHF-Cup noch dabei.
 
Also alles paletti?
Nein, nein, wir besitzen schon noch Luft nach oben. Aber Grund, Trübsal zu blasen, haben wir auch nicht. Wir verfügen noch über alle Möglichkeiten, zumal in der Meisterschaft bis auf Mannheim alle anderen Spitzenteams noch zu uns kommen müssen.
 
Magdeburg besitzt, das ist zumindest unser Eindruck nach der Hinrunde, eine herausragende erste Garnitur. Dahinter wird es jedoch eng. Kann man mit acht, neun Leuten im Kampf mit den Spitzenteams auf Dauer bestehen?
Der SCM hat im Sommer vier neue Leute geholt. Dass alle sofort einschlagen, wäre eine Illusion. Uns war klar, dass sie eine Eingewöhnungszeit benötigen. Mit Piotr Chrapkowski und Linksaußen Lukas Mertens sind wir schon heute sehr zufrieden. Bei Gleb Kalarash und Carlos Molina geht es nicht so schnell. Aber spätestens im Februar und März, wenn wir bis zu neun Partien im Monat bestreiten müssen, werden auch die anderen Akteure aus dem Kader verstärkt ran müssen.
 
Das Interesse einiger Bundesliga-Spitzenteams an Michael Damgaard ist kein Geheimnis mehr. Sind Sie sicher, ihn halten zu können?
Er hat einen Vertrag bei uns bis 2020. Derzeit liegen uns keinerlei Anfragen anderer Vereine vor. Was passiert, wenn jemand eine astronomische Summe für ihn aufrufen und er unbedingt weg wollen sollte, das bewegt sich im Bereich der absoluten Spekulation. Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass Mika seinen Kontrakt bei uns erfüllt.
 
Letzte Frage: Wer wird deutscher Meister?
(ohne Zögern): Die Rhein-Neckar Löwen.
Fragen: Rudi Bartlitz

Kompakt

SCM-Manager Marc-Henrik Schmedt. Großes Foto: Manchmal können Bilder doch ziemlich täuschen: Der SCM fühlt sich alles andere denn am Boden. Foto: Peter Gercke

EHF-Cup
Der EHF-Cup wurde 1993 geschaffen und ging aus dem IHF-Pokal hervor. Er wird alljährlich von der Europäischen Handballföderation (EHF) ausgetragen. Er bietet Vereinen, die nicht in der Champions League starten können, die Möglichkeit zur Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb. Das Finalturnier findet alljährlich im Frühsommer statt. An ihm beteiligen sich vier Mannschaften, die sich zuvor in Qualifikationsgruppen und Ausscheidungsspielen qualifiziert haben. Deutsche Teams gewannen die Trophäe allein 18 Mal, fünf Mal setzten sich spanische Vertreter durch. Erfolgreichste Mannschaft ist mit vier Siegen Frisch Auf Göppingen (2011, 2012, 2016 und 2017), gefolgt vom THW Kiel (1998, 2002, 2004), der bei jeder seiner Teilnahmen auch den Titel gewann, und dem SC Magdeburg (1999, 2001, 2007) mit je 3 Titeln.

SC Magdeburg
Der SCM besitzt in der Saison 2017/18 bisher die höchste TV-Reichweite aller 18 Bundesligisten. Bis Anfang November wurden 24,9 Millionen Zuschauer bei den Spielen der Grün-Roten registriert. Dahinter folgen der THW Kiel (21,9 Millionen) und der SC DHfK Leipzig (20,9 Millionen). Die Punktspiele in der 6.800 Zuschauer fassenden Magdeburger Getec-Arena verfolgten im Schnitt annährend 6.000 Besucher. Die Auslastung lag bei knapp 90 Prozent. Ab Herbst 2018 sollen in der Halle 220 neue Sitzplätze installiert werden.

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