Siege sind die beste Teammaßnahme
Mit einer beeindruckenden Serie sorgen die Handballer des Sportclubs Magdeburg gegenwärtig für eine Menge Gesprächsstoff. In 14 Spielen am Stück gab es keine Niederlage – zuletzt verloren die Handballer am 11. Dezember 2016 in Kiel /24:28). Aus den Heimpartien gegen die „großen Drei“ Kiel, Rhein-Neckar Löwen und Flensburg holten die Grün-Roten fünf von sechs Punkte. Über die Ursachen des Aufschwungs sprach Magdeburg Kompakt mit SCM-Cheftrainer Bennet Wiegert (35).
Hat Sie die Entwicklung überrascht? Und woran kann man den Aufschwung letztlich festmachen?
Bennet Wiegert: Nein, überrascht hat mich das, ehrlich gesagt, nicht. Weil ich aus der täglichen Arbeit weiß, was in diesem Team steckt. Ich sehe für die Entwicklung vor allem zwei Gründe. Erstens, wir sind in den zurückliegenden Monaten wirklich zu einer Mannschaft geworden. Das war sicher kein einfacher Prozess. Die Hannover-Heimniederlage (22:37 im November 2016 /d. Red.) war der letzte Wachrüttler. Wir haben uns danach gefragt: Wollen wir das? Soll es so weitergehen? Die Antwort war ein klares Nein. Also mussten die Interessen Einzelner zurückgesteckt, der Teamgedanke absolut in den Vordergrund gerückt werden.
Geht das so einfach, wie es im Nachhinein gesagt wird?
Natürlich nicht. Aber ich bin auch kein großer Freund sogenannter teambildender Maßnahmen. Es geht nur über konzentriertes und intensives Training – und gemeinsame Erfolge. So gesehen sind Siege die beste Form teambildender Maßnahmen. Weil es einfach Spaß macht, zusammen erfolgreich zu sein.
Und der zweite Grund?
Der SCM ist eine Mannschaft, die ganz klar ein Spiegelbild ihrer jeweiligen Trainingsleistungen ist. Wir streben deshalb in jeder Einheit eine sehr hohe Qualität und Intensität an. Und freuen uns, wenn das gemeinsam Erarbeitete dann auch im Spiel umgesetzt wird. Kommt dieser Trainingsprozess, aus welchem Grund auch immer, ins Schlingern, sieht man das auch an den Resultaten. So sind wir schwer in die Saison hineingekommen, weil vor allem der Olympia-Zyklus uns die Vorbereitung sehr erschwert hat, viele Spieler nicht zur Verfügung standen und wir deshalb kaum anständig trainieren konnten.
Nun haben Sie ihr Team zuletzt des Öfteren als Abwehrmannschaft definiert. Was muss man darunter verstehen?
Magdeburger Handball hat sich seit jeher durch eine starke Abwehr, gute Torhüter und ein hohes Tempospiel ausgezeichnet. Das ist auch mein Anspruch. Selbst wenn es abgedroschen und wie ein Spruch fürs Phrasenschwein klingt, es ist meiner Meinung nach tatsächlich so, dass ein guter Angriff zwar ein Spiel gewinnen kann, aber eine gute Abwehr Garant und Voraussetzung für Meisterschaften ist. Davon bin ich absolut überzeugt. Natürlich muss man stets die physischen Voraussetzungen der zur Verfügung stehenden Spieler mit ins Kalkül ziehen. Und da haben wir das Glück, im Mittelblock mit Finn Lemke und Zeljko Musa eben sehr groß gewachsene Akteure zu haben. Auf große Spieler im Abwehrzentrum setzen wir auch künftig.
Aber mit den Abgängen von Lemke, Kapitän Fabian van Olphen und Jacob Bagersted verlieren Sie im Sommer gleich drei Leute, die auf den beiden zentralen Abwehrpositionen spielen können.
Deshalb haben wir mit den Nationalspielern Piotr Chrapkowski (Polen/2,03 Meter) und Gleb Kalarasch (Russland/2,05 Meter) ja zwei Spieler verpflichtet, die diese Aufgaben übernehmen können. Auch von der Körpergröße her. Gegebenenfalls wäre auch Christian O’Sullivan eine Alternative. Die Schwierigkeit wird darin bestehen, dass die Neulinge Zeit benötigen, sich einzufinden. Da zudem Yves Grafenhorst seine Laufbahn beendet, kann es durchaus sein, dass unser Kader insgesamt, verglichen mit der jetzigen Saison, zunächst ein wenig geschwächt sein wird.
Noch einmal zurück zum Begriff Abwehrmannschaft. Das klingt, zumindest für den Außenstehenden, zunächst nicht besonders verlockend.
Damit ich nicht missverstanden werde: Wir wollen zuallererst erfolgreichen und modernen Handball zeigen. Das beinhaltet aber ebenso, attraktiv zu spielen, also mit viel Tempo, mit Schnelligkeit und Dynamik. Gottseidank haben wir dafür mit Michael Damgaard, Marko Bezjak und den beiden Außen Robert Weber und Matthias Musche geeignete Leute. Gerade die Begegnungen mit den deutschen Top-Teams wie zuletzt Flensburg haben gezeigt, dass wir von der Spitze nicht allzu weit weg sind. Das ist etwas, was uns durchaus stolz machen sollte.
Nun ist Stolz das eine, Erfolge sind das andere.
Natürlich wissen wir, dass wir in dieser Saison nur noch im EHF-Cup die Möglichkeit besitzen, etwas Greifbares in den Händen zu halten. Wenn wir es also im Mai ins Final Four nach Göppingen schaffen, fahren wir nicht dorthin, um nur mitzumachen. Dann wollen wir das Maximale holen, den Pokal.
Zumal es für die Abgänge Lemke, van Olphen, Bagersted und Grafenhorst eine einmalige Chance ist, sich mit einem großen Erfolg aus Magdeburg zu verabschieden.
Gerade sie werden brennen vor Ehrgeiz.
Fragen: Rudi Bartlitz
Die glorreichen Drei
Die Namen dreier Handball-Trainer stehen derzeit im Fokus: Christian Prokop, Bennet Wiegert und Maik Machulla. Sie haben eines gemein: Einen nicht unwesentlichen Teil ihrer sportlichen Entwicklung absolvierten sie in Magdeburg.
Als der SC Magdeburg im Dezember 2015 Bennet Wiegert zum neuen Cheftrainer ernannte, galt das in Handballkreisen schon als eine gehörige Überraschung. Die einen trauten dem damals
33-Jährigen SCM-Urgestein einen solchen Job schlichtweg nicht zu. Andere sahen in dem einstigen Bundesligaspieler nur eine Übergangslösung. Heute, 15 Monate später, sind die Kritiker verstummt. Die Grün-Roten verkörpern unter Bennet Wiegerts Regie so etwas wie die Mannschaft der Stunde in der oft als beste Liga der Welt gepriesenen höchsten deutschen Klasse, rangieren dort auf Rang fünf und besitzen im EHF-Cup noch alle Chancen, am Ende den Pokal in der Hand zu
halten.
Ob sich der Deutsche Handball-Bund (DHB) oder die SG Flensburg-Handewitt explizit am Magdeburger (Trainer)Modell orientierten, als sie in den zurückliegenden Wochen einen Nachfolger als Cheftrainer für die Nationalmannschaft beziehungsweise den Bundesliga-Spitzenreiter suchten, ist nicht überliefert. Überliefert ist hingegen schon, dass in beiden Teams letztlich die Wahl auf einen Coach fiel, dem der große Name und die damit verbundenen großen Erfolge (noch) fehlen. Wenn sich Christian Prokop (DHB/38) und Maik Machulla (Flensburg/40) am Ende gegen vermeintlich gestandenere Konkurrenten durchsetzen, ist dies zuallererst als Votum für deren handballerische Qualitäten zu werten. Trotz ihrer Jugend.
Als Prokop 2009 als 31-Jähriger die SCM-Youngsters – damals noch in der zweiten Liga unterwegs – übernahm, war schon recht bald klar, hier steht in der alten Gieselerhalle ein echtes Trainertalent an der Außenlinie. Der Mann lebte Handball. Bei ihm spürte man ein Konzept, er verstand es, die oft noch sehr jungen Spieler richtig zu packen. Dass es den gebürtigen Köthener, trotz intensiver Arbeit, nicht länger an der Elbe hielt, hatte mit der 2011 greifenden Ligareform zu tun. Die versagte es zweiten Mannschaften von Bundesligisten, weiter in der eingleisigen zweiten Liga zu spielen. Das hätte für Prokop den Abstieg in die dritte Liga bedeutet. Das wollte er nicht. Und dazu war er, profan gesagt, einfach zu gut.
Seine Stunde schlug, als er 2015 den SC DHfK Leipzig mit einem Team der Namenlosen in die erste Liga führte. Nun, auf der großen Bühne Bundesliga, sprach sich Prokops Können und Sachverstand schnell herum, und als der Isländer Dagur Sigurdsson im Herbst 2016 überraschend seinen Rücktritt verkündete, galt er als Top-Favorit der DHB-Spitze für dessen Nachfolge. Von einem „jungen und modernen Trainer, der den Willen zur Entwicklung lebt", sprach Vizepräsident Bob Hanning. Und lobte gleich noch dessen messerscharfe Analyse und hohe Kommunikationsfähigkeiten. Prokops Nachteil: Er arbeitete noch nie mit internationalen Stars zusammen. Der neue Hoffnungsträger soll nun Deutschland endgültig in die Weltspitze zurückführen und bei der Heim-WM 2019 und bei Olympia 2020 Medaillen holen. „Ambitionierte Ziele, aber ich traue mir das zu", sagte Prokop. Zweifel, dass er noch zu jung und unerfahren für den Posten sein könnte, wischte er beiseite: „Ich bin immerhin schon im zwölften Jahr Trainer."
Wenn auch zwei Jahre älter, Erfahrung im Trainerjob hat Maik Machulla wesentlich weniger als Prokop. Dass sie in Flensburg, immerhin Champions-League-Sieger 2014 und erster Anwärter auf die deutsche Meisterschaft 2017, das Risiko eingingen, einem Mann das Vertrauen zu geben, der noch nie ein höherklassiges Team trainiert hat, schlug fast ein wie eine Bombe. Dennoch, der bisherige Co-Trainer (seit 2012) traut sich das Unternehmen durchaus zu. „Er kennt die Philosophie der SG, er lebt Handball, er bringt viel Erfahrung als Spieler, Co-Trainer und Trainer mit und er genießt eine hohe Akzeptanz innerhalb der Mannschaft und unseres gesamten Umfeldes“, sagte Geschäftsführer Dierk Schmäschke. Hinzu kommt, der Träger des höchsten internationalen Trainer-Zertifikats (EHF-Master-Coach) hatte erstklassige Lehrmeister: Ljubomir Vranjes, Kent-Harry Andersson und Alfred Gislason.
Unter dem Isländer Gislason erlebte Machulla in seinen mehr als zehn Jahren beim SC Magdeburg Sternstunden des hiesigen Handballs mit, darunter die deutsche Meisterschaft 2001. Pech für den Mittelmann, dass er nach einer langen Verletzung für ein halbes Jahr nach Hameln ausgeliehen wurde und ihm so 2002 der Triumph in der Champions League versagt blieb. Später Trost, wenn auch auf anderer Ebene: Er wird jetzt der erste Deutsche überhaupt im Amt des Cheftrainers bei der SG Flensburg. Rudi Bartlitz