Mit dem Roten Stern zu Olympia
Magdeburgs Sportgeschichte ist gewiss reich an herausragenden Athleten, an Olympiasiegern und Welt- und Europameistern. Neben traditionsreichen Disziplinen, die auf oder im Wasser spielen (wie Kanu, Rudern und Schwimmen), gehören dazu ebenso Leichtathletik, Handball und sogar der Fußball. Einen Ringer sucht man unter ihnen allerdings vergebens. Ein junger Mann aus Sudenburg macht sich nunmehr daran, dieses Bild ein wenig zu korrigieren.
Johann Steinforth kennt nur ein Ziel: „Ganz ernsthaft, ich will 2020 bei den Olympischen Spielen in Tokio für Deutschland starten.“ Die Augen des 20-Jährigen, dessen bisher größter Erfolg Rang fünf bei der Kadetten-WM 2013 war, leuchten: „Das ist mein Traum. Dem ordne ich alles unter. Bei allen Querelen um die Spiele in jüngster Zeit - für einen jungen Athleten gibt es nichts Größeres als Olympia.“ Als er das sagt, steht er mit dem Reporter an einem für den klassischen Zweikampf ziemlich ungewöhnlichen Ort: dem Magdeburger Autohaus seines Vaters Ingo. Noch ungewöhnlicher: Im Showroom, auf dem ansonsten hochtourige Boliden die Blicke der Besucher anziehen, ist eine zehn Mal zehn Meter große Ringermatte ausgelegt.
„Als der Nachwuchs der neuen Ringer-Abteilung von Roter Stern Sudenburg keine geeignete Halle fürs Training fand, habe ich die Autos rausgeräumt und meine noch vorhandene Matte kurzentschlossen wieder ausgerollt“, erzählt Steinforth senior, der vor ein paar Jahren selbst das Trikot des Oberligateams vom MSV 90 getragen hat. Nun tummeln sich von Montag bis Freitag über 40 junge Athleten im Autohaus an der Brenneckestraße. Das Schöne daran: Ihr Vorbild kommt aus dem eigenen Verein. Denn Steinforth junior, seit ein paar Monaten Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr und in den C-Kader des Verbandes aufgerückt, bestritt am zurückliegenden Wochenende seinen ersten Wettkampf für Roter Stern.
Dreieinhalb Jahre bleiben noch bis zu den Spielen in der japanischen Hauptstadt. „Das ist gar nicht so viel Zeit wie es zunächst scheint“, meint Johann Steinforth (Kampfmotto: Solange du stehen kannst, wirst du kämpfen!“). „Da kannst du dir eigentlich keinen Durchhänger erlauben, wenn du den Etablierten den Platz im Olympiateam streitig machen willst.“ Deshalb ist der Youngster aus Magdeburg (Hobby: Zeichnen) nach dem Abitur am Sportgymnasium Leipzig zur Bundeswehr gewechselt, weil er sich dort die besten Trainingsbedingungen verspricht. „Hinzu kommt, ich bin in Schifferstadt stationiert, wo Ringen seit jeher einen ganz besonderen Stellenwert hat.“ Richtig, Schifferstadt, Heimat der deutschen Ringer-Legende Wilfried Dietrich. Bei vier Olympischen Spielen (zwischen 1956 und 1968) holte der „Kran aus Schifferstadt“ Medaillen (Gold 1960 in Rom). Unvergessen sein sensationeller Schultersieg in München 1972 über den US-amerikanischen 182-Kilo-Koloss Chris Taylor. Steinforth: „Ich habe mir das Video vom Kampf kürzlich noch einmal angeschaut. Unglaublich, wie er den in der zweiten Runde gepackt hat.“
Es sind Momente wie diese, die den Magdeburger („Angefangen habe ich mit fünf.“) seit jeher am Ringen faszinieren: „Es ist dieser Kampf Mann gegen Mann. Die Einzelsportart eben. Da kommt es allein auf dich an, da zählen keine Ausreden. Der besondere Reiz liegt für mich darin, den Gegner zu Boden zu bringen.“ Und dabei die eigenen körperlichen Vorteile auszuspielen. Weil die bei ihm bei einer Körpergröße von 1,74 Meter vor allem in der Schnelligkeit und der Physis liegen, beschloss er, in der Gewichtsklassen-Tabelle nach unten zu klettern. „Binnen einem Monat hatte ich 10 Kilo abgespeckt und fühle mich nun in der 74- Kilo-Klasse pudelwohl.“
Diese neue Kraft sollen seine Gegner zu spüren bekommen. Sowohl bei den Junioren – da peilt Steinforth bei der Heim-EM in Dortmund in diesem Jahr eine Medaille an – als auch in der Männerklasse, wo er ab Spätsommer für Germania Markneukirchen in der zweithöchsten deutschen Liga kämpfen wird. „Es lagen auch Anfragen aus der ersten Liga vor, aber da hätte ich an den Wochenenden stets sehr weit fahren müssen. Das wäre auf Dauer nicht besonders gut für meine Olympiapläne gewesen.“
Dass er in der zweiten Märzhälfte für drei Wochen auf eigene Kosten („Mein Dad ist derzeit noch mein größter Sponsor“) ins Leistungszentrum der US-Ringer nach Pennsylvania fliegt,zeigt auch, wie sehr ihn der Virus Olympia infiziert hat. Steinforth: „Dort trainieren Weltmeister und Medaillengewinner. Mit denen musst du den Vergleich suchen, wenn du einmal ganz nach oben kommen willst.“ Und das will er. In Deutschland rangieren derzeit noch zwei Ringer vor ihm. Da bei Olympia jedes Land pro Gewichtsklasse nur einen Startplatz erhält, „muss ich an denen vorbei. Ich denke, in drei Jahren bin ich soweit.“
Nicht ausgeschlossen also, dass es im Sommer 2020 bei den Olympia-Übertragungen aus Tokio heißt: „Jetzt für Deutschland auf Matte: Johann Steinforth aus Magdeburg. Sein Heimatverein: Roter Stern Sudenburg.“ Das hätte doch mal was … Rudi Bartlitz