Ja, wo senden sie denn?
Der deutsche Fernsehzuschauer muss sich vom nächsten Jahr an von seinen gewohnten Olympia-TV-Programmen verabschieden. Was hat es für Konsequenzen, wenn erstmals ein Privatkanal von den Ringe-Spielen berichtet?
Ach, was waren das noch für goldige Zeiten! Alle zwei Jahre, abwechselnd im Sommer und im Winter, traf sich die deutsche Sportlerfamilie vor dem Bildschirm. Und zwar komplett. Vom ästhetisch angehauchten Turn-Liebhaber über die eher wertneutralen Leichtathletik-, Schwimm- und Wintersportfreunde bis hin zum robusten Box-Fan. Olympia hieß das Zauberwort. Das damit verbundene Motto war sichtlich einfach: Einschalten, eine der beiden meist vordersten Tasten auf der Fernbedienung drücken, gemütlich machen, staunen, und am nächsten Tag in Freundes- oder Kollegenrunde angeregt bis erregt über unerwartete Erfolge und bittere Niederlagen debattieren. Über Diskusboliden, Hockeystars, Bahnradflitzer, Basketballriesen aus Amerika, Hambüchen am Reck und dann noch Goldfuhren im Kanu oder das herzzerreißende Drama auf der Ringermatte.
Aus und vorbei. Die bequemen Zeiten sind vorbei. Der olympische Mehrkampf, der jahrzehntelang per simplen Knopfdruck auf den Fernsehzuschauer im heimischen Wohnzimmer zukam - den wird es so nicht mehr geben. Dem Sport im deutschen Fernsehen steht ein Paradigmenwechsel bevor. Wenn man ganz ehrlich ist, muss man feststellen: Er hat sich schon vollzogen. Denn wenn ab den Winterspielen 2018 die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF nicht mehr live bei Olympia dabei sind, weil die US-amerikanische Senderkette Discovery die Rechte für die nächsten vier Spiele erworben hat, dann ist das weit mehr als wenn „Wetten dass …?“ sich aus dem Programm verabschiedet. Es ist, als würde man am heiligen 20-Uhr-Termin für die „Tagesschau“ Hand anlegen. Mehr noch. Es sei, so sagen Kritiker, nachgerade ein Eingriff in jahrzehntelange Seh-Gewohnheiten eines Volkes. Und damit in gewisser Weise ein Einschnitt in sozio-kulturelle Abläufe.
Natürlich haben sich, das ist mittlerweile eine Binsenwahrheit , in den zurückliegenden Jahren dank Internet, Smartphone, Laptop und Tablet die TV-Sehgewohnheiten enorm geändert. Vor allem bei Filmen, Serien, Nachrichten oder Dokus ist das sogenannte Streaming rasant auf dem Vormarsch. Eine gewisse Ausnahme bildete bisher eigentlich nur der Sport. Hier hat das Gemeinschaftserlebnis nach wie vor einen ganz besonderen Stellenwert – und sei es nur die Diskussion am nächsten Tag. Es ist wie ein großes Lagerfeuer, um das sich alle versammeln. Das droht jetzt – zumindest für die mittlere und ältere Generation – ein für allemal verloren zu gehen, wenn sich die angestammten Sender ARD und ZDF aus der olympischen Live-Übertragung verabschieden (müssen) und stattdessen Discovery-Ableger Eurosport, ein absoluter Neuling bei den Ringe-Spielen, übernimmt. ARD und ZDF argumentieren, die ihnen verlangten Preise für Übertragungsrechte von den Spielen seien dem Gebührenzahler nicht zuzumuten gewesen. Angeblich hätten sie damit Ausgaben von 300 Millionen Dollar gespart – allein an Rechtegeldern. Dazu kommt der enorme Aufwand für Team und Technik während der Spiele.
Wer nach Gründen für eine solche Entwicklung sucht, wird recht schnell fündig. Dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), das die TV-Rechte exklusiv vergibt, geht es wie dem Fußball-Weltverband Fifa einzig darum, mehr Geld zu generieren und das Produkt Olympia noch lukrativer zu machen, um nichts anderes. Die Funktionäre aus dem inneren Machtzirkel um den deutschen Präsidenten Thomas Bach handeln also nur vordergründig, wenn sie ihr Produkt für 1,3 Milliarden Dollar meistbietend an eine US-Medienkette verhökern. Ob und wie ihr Produkt beim Endabnehmer ankommt, ist, trotz gegenteiliger Beteuerungen, nur zweitrangig.
Beide Sportgiganten IOC und Fifa, so schrieb dieser Tage Gunter Gebauer, einer führenden deutschen Sportphilosophen, „haben sich dem reinen Materialismus ausgeliefert. Das heißt: zur Bereicherung Einzelner und zur Investition in den Sport – und damit auch als Angebot an reiche Länder, viel Geld zur Verfügung zu stellen, um den Fußball beziehungsweise olympische Sportarten für ihre symbolische Darstellung mit gigantischen Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen zu verwenden.“ Das gilt offenbar, ließe sich hinzufügen, insbesondere für die Übertragungsrechte dieser Großveranstaltungen.
Dass schlechte Beispiele durchaus Schule machen und zeigen, wohin die Reise in Zukunft noch viel öfter gehen wird, belegen Geschehnisse um die erst vor wenigen Tagen beendete Handball-Weltmeisterschaft in Frankreich. Hier führte Geldgier beim Handball-Weltverband dazu, dass die TV-Rechte meistbietend für 80 Millionen Euro an den katarischen Anbieter beIN Sports, einem Ableger des Nachrichtensenders Al Jazeera, verscherbelt wurden und sich der Weltverband IHF um seinen korrupten Präsidenten Hassan Moustafa die Taschen füllte. Auch hier scherte sich am Ende keiner drum, was mit den Bildrechten geschieht. Es führte letztlich dazu, dass das Land mit dem weltgrößten Verband, nämlich Deutschland, wegen eines Streits über Satellitenaustrahlungen von Live-Übertragungen im Fernsehen völlig abgeschnitten wurde. Der im letzten Augenblick gefundene Weg, zumindest im Internet Live-Bilder in Deutschland anzubieten, war – wegen mangelnder journalistischer Qualität (Keine Vor- und Nachberichte, keine Interviews, kaum zusätzliche Informationen) - für alle Seiten, zuallererst aber für die Zuschauer, höchst unbefriedigend.
Zugleich wirft dieses Vorgehen freilich die Frage auf, ob es im Sinne journalistischer Unabhängigkeit sein kann, wenn der gefundene Ausweg darin besteht, dass ein Unternehmen, in diesem Fall die Deutsche Kreditbank (DKB), das als Großsponsor der Handball-Nationalmannschaft auftritt, am Ende die Übertragungsrechte an einer Sport-Großveranstaltung erwirbt – wenn auch nur fürs Internet. Da sollten, wenn schon nicht die Alarmglocken, so zumindest die Alarmglöckchen läuten. Zu Recht merkte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ dieser Tage an, dass dies „in Wahrheit ein Modell der Zukunft“ sei, ein „Vorgeschmack auf die Fernsehwelt von morgen“.
Andere Großunternehmen, nicht nur in Deutschland, werden genau hingeschaut haben, wie die DKB agierte und am Ende nach Auffassung des deutschen Handballverbandes auch noch als Retter einer ganzen Sportart dastand. Weil sie dem deutschen Fan, der ansonsten vor einem total schwarzen Bildschirm gesessen hätte, zumindest erlaubte, überhaupt etwas vom Geschehen in Frankreich mitzubekommen. Müssen wir uns also darauf einrichten, in nicht ferner Zeit Allianz oder Adidas als Präsentator von Spielen des FC Bayern zu erleben und nicht mehr journalistische Unternehmen wie ARD, RTL oder Sky? Das beinhaltet, nebenbei gesagt, die verlockende Versuchung, eine Art „Selbstberichterstattung“ zu installieren, die Kritik und störende Nachfragen von vornherein ausschließt? Wer kann zudem ausschließen, dass weltweit auftretende Großkonzerne wie Google, Amazon oder Facebook nicht nach ähnlichen Geschäftsmodellen streben?
Vielleicht sogar einmal nach Olympischen Spielen greifen. Ausgeschlossen scheint in einem hyperventilierenden Markt heutzutage nichts mehr. Es ist nämlich nicht einmal klar, was der deutsche Sportfan ab 2018 von Olympia noch im frei empfangbaren TV, also bei Eurosport, zu sehen bekommt. Die Ansicht jedenfalls, die eine Magdeburger Tageszeitung nach dem Rechteerwerbs des Privatsenders äußerte, der zufolge sich für den Sportliebhaber eigentlich nichts ändere, er brauche statt ARD eben nur den Eurosport-Senderknopf zu drücken, erscheint dann doch ein wenig abenteuerlich. Keiner weiß heute, in welchem Umfang Eurosport überhaupt sendet. Keiner weiß, und das ist besonders pikant, was alles in die eigenen Bezahlkanäle von Eurosport wandert. Ganz wichtig: Keiner weiß so richtig, was denn aus den Paralympics wird. Keiner weiß, was nur noch „gestreamt“ wird und ob sich der, sicher verwöhnte, Zuschauer seine eignen olympischen Momente demnächst nicht vielleicht aus verschiedensten Kanälen selbst zusammenbasteln muss. Über eine starke eigene Sportredaktion, die an die gewohnten, qualitativ durchaus hohen journalistischen Maßstäbe von ARD und ZDF anknüpfen könnte, verfügt der Sender bis heute ebenso nicht. Mal nur zur groben Einordnung: In Deutschland liegt der Spartenkanal bisher nur bei einem Marktanteil von 0,8 Prozent.
Die Leidtragenden dieser sich abzeichnenden Entwicklung werden nicht allein die Fernsehzuschauer sein. Den Sportverbänden der meisten olympischen Sportarten schwant Schlimmes. Sie befürchten, dass ihre Disziplinen, die – wie beispielsweise die Magdeburger Ruderer und Kanuten – bei den Spielen zumindest einmal alle vier Jahre eine regelrechte Hoch-Zeit erlebten, noch mehr ins Abseits gedrängt werden. Denn es steht zu befürchten, dass sich Eurosport, ganz im Sinne der Quote, vor allem auf publikumswirksame, also einschaltstarke Events konzentriert. Das Feigenblatt des öffentlich-rechtlichen Informationsauftrags existiert für sie nicht. Das wird den Wert der Nischensportarten, die auf TV-Präsenz Strafe ihres (wirtschaftlichen) Untergangs angewiesen sind, für ihre Sponsoren kaum steigern. Im Gegenteil.
Ereignisse wie die Sensationsquote von den Spielen in Rio, als eine bis dahin völlig unbekannte deutsche Bogenschützin über sieben Millionen an die Bildschirme lockte und in den Bann zog, scheinen kaum noch vorstellbar. Die Befürchtungen der kleineren Verbände reichen sogar noch weiter: Wenn ihre Sportarten nicht mehr von den Öffentlich-Rechtlichen beim großen Festival des Weltsports gezeigt werden, könnte deren Enthusiasmus, über sie auch zwischen den Spielen regelmäßig zu berichten, wohl oder übel nachlassen. Und noch mehr Kraft und vor allem Geld in die Über-Sportart Fußball gepulvert werden.
Wer angesichts dieser sich abzeichnenden Entwicklung nun nonchalant meint, da hätten die lieben Freunde des Sports eben mal Pech gehabt, verkennt eines: Sportberichterstattung im Fernsehen war schon immer ein Seismograf und Vorläufer von Entwicklungen in der Medienlandschaft generell. In dem Maße, wie sich der Vormarsch diverser Streaming-Plattformen fortsetzt, werden Unternehmen, Lobbyverbände, Parteien und selbst diverse obskure politische Vereinigungen und andere Gebilde versucht sein, eigene Kanäle – ohne oder jedenfalls mit möglichst wenig Einfluss und Kontrolle von außen –zu installieren. Ein Menetekel, das bereits heute unübersehbar an die Wand geschrieben steht. Rudi Bartlitz