Im Tal zwischen Frust und Lust
Fußball-Zweitligist 1. FCM schreitet derzeit sportlich durch ein tiefes Tal. Neu-Trainer Michael Oenning soll die Wende bringen.
Exakt 2.313 Tage hatte Michael Oenning darauf warten müssen, wieder in der deutschen Bundesliga an der Seitenlinie zu stehen. Im so schnelllebigen Fußball gewiss eine sehr lange Zeit. Nicht nur für den neuen Cheftrainer des 1. FC Magdeburg sollte also der vergangene Freitagabend in Fürth – nach Abstechern in den TV-Journalismus und in die ungarische Liga – so etwas wie einen Neustart markieren. Auch sein jetziger Arbeitgeber wollte nach der Trennung vom zuletzt erfolglos agierenden Jens Härtel wieder voll durchstarten. Nach vier Niederlagen in Folge sollte das Ruder herumgerissen werden. Und dann das!
Das normale Vokabular, dessen sich der Volkssport Nummer eins in der Regel bedient, stößt an seine Grenzen, wenn beschrieben werden soll, was sich in den 93 Minuten im Ronhof-Sportpark abspielte. Am Black Friday räumten nur die Gastgeber Super-Schnäppchen ab. Sachlich und nüchtern könnte es so klingen: Der FCM war beim 2:3 eindeutig die dominierende Elf, bot die beste Partie seit seiner Zugehörigkeit zur zweiten Liga überhaupt. Oenning: „Der Mannschaft fehlt augenblicklich nur das Spielglück.“ Aber: Wieder wurde eine 2:1-Führung in den letzten fünf Minuten in den Sand gesetzt. Oenning: „Das war ein Spiel, für das man eigentlich keine Worte hat. Es ist schon tragisch.“
So paradox es im ersten Augenblick und angesichts des Frusts von nun fünf verlorenen Begegnungen am Stück klingen mag, die positiven Signale aus Fürth dominieren. In nur einer guten Woche Vorbereitungszeit hauchte der 53-Jährige den Blau-Weißen neues Leben ein. Die FCM-Kicker hatten, das sahen alle, gegen Fürth richtig Lust auf Fußball. „Die Köpfe waren frei“, so der Coach. „Wir haben eine unglaubliche Spielfreude an den Tag gelegt."
Drei Punkte könnten den eingeleiteten Umschwung belegen. Oenning bekennt sich nicht nur verbal zum Angriffsfußball, er lässt ihn auch auf dem Feld praktizieren. Gegen das Team aus Bayern bot er gleich fünf offensiv ausgerichtete Akteure auf, darunter zwei nominelle Angreifer (Beck, Lohkemper). Und sie alle stürmten munter nach vorn, arbeiteten Chancen heraus, die unter günstigeren Umständen genügen, gleich zwei Auswärtsbegegnungen zu gewinnen. Zum zweiten gilt wieder ohne Ausnahme das Leistungsprinzip. Die Zeit der Lieblingsspieler, die unter Härtel unübersehbar war, ist vorbei. Das bekam vor allem Abwehrakteur Nils Butzen zu spüren, der nicht nur erst sein Kapitänsamt an Christian Beck verlor, sondern anschließend erstmals nicht in der Anfangsformation stand. Dafür gab es sofort grünes Licht für den noch unter Härtel suspendierten Richard Weil.
Zum dritten tritt der FCM mit einem neuen Selbstbewusstsein auf, das zieht sich quer durchs ganze Team. „Ich hatte schon den Eindruck, dass die Köpfe frei waren. Wir haben eine unglaubliche Spielfreude an den Tag gelegt, sehr sehr viele Torchancen herausgespielt und wirklich gut Fußball gespielt heute", freute sich Oenning. „Die Jungs haben gezeigt, dass sie leben, dass sie da sind, dass sie in dieser Liga bestehen und sehr guten Fußball spielen können.“
Es hatte, als Oenning am 15. November die Härtel-Nachfolge antrat, manch Zweifler in der Stadt gegeben. Viele wussten mit dem Ex-Coach des 1. FC Nürnberg und des HSV wenig anzufangen oder verwiesen auf dessen ausgebliebenen Erfolg in der Hansestadt und keinerlei Erfahrungen mit dem Ost-Fußball. Nun entspricht der gebürtige Westfale tatsächlich nicht unbedingt dem typischen deutschen Trainer-Bild. Oenning kann Klavier spielen, verwendet als studierter Germanist zuweilen andere Formulierungen als seine Kollegen und hat, wie er jetzt im MDR verriet, einen unveröffentlichten Roman („Natürlich zum Thema Fußball“) zu Hause in der Schublade liegen. Als Profi trat der einstige Stürmer nie gegen den Ball. All das trug sicher auch seinen Teil zum Image von Michael Oenning bei. Trotzdem sei er „überzeugt“, sagte er bei seiner Vorstellung, in Magdeburg „an der richtigen Stelle“ zu sein.
Zumal der Trainer darauf bauen kann, einen intakten Verein mit fantastischer Fan-Kulisse vorzufinden. Wie der Zufall es wollte, wurde einen Tag vor dem Fürth-Spiel auf der Wahlversammlung Bilanz gezogen. Auf der sportlichen Seite stehen, trotz der augenblicklichen Misere, als Prunkstück in den vergangenen drei Jahren zwei Aufstiege (2015 in die dritte Liga, 2018 in die zweite Liga). Die Mitgliederzahl schnellte auf über 8.700 hoch. Wirtschaftlich präsentiert sich der Club grundsolide. Der Jahresabschlussbericht 2018, in dem die neuen TV-Gelder von 5,67 Millionen Euro noch nicht berücksichtigt sind, weist bei Einnahmen von 11,2 Millionen Euro ein leichtes Minus von 37.000 Euro auf. Dass es kein sattes Plus wurde, dafür sorgte eine Zweitliga-Aufstiegsprämie fürs Team von 491.000 Euro.
Ob es mit Oenning der Anfang einer neuen Zeitrechnung beim FCM wird, muss sich erst noch zeigen. „Aus unserem Frust müssen wir jetzt Energie entwickeln", forderte der Trainer nach dem 2:3 gegen Greuther Fürth. „Wir müssen in den nächsten beiden Heimspielen punkten." Denn beurteilt wird ein Michael Oenning, das weiß er, am Ende – wie jeder andere Coach im Profigeschäft – nur nach gewonnenen Punkten. Man müsse sich allerdings frei von dem Gedanken machen, dass schon in den nächsten Wochen die Entscheidung im Abstiegskampf fällt. „Für mich ist wichtig, dass wir uns am Ende der Saison durchgesetzt haben. Dafür bin ich hier. Und diese Chance will ich nutzen.“ Rudi Bartlitz