Im „Hamsterrad“
In Magdeburg wird das Rhönradturnen gepflegt. Beim Cracauer SC gehen 65 Aktive diesem Sport nach.
Wenn sich alles in Kreisen bewegt … Ja, dann hat man entweder gerade den neuesten Hit von Johannes Oerding im Ohr – oder man ist beim Rhönradturnen. Jener Sportart, die viele beim Zuschauen zwar fasziniert, von der aber die wenigsten Näheres wissen. Nicht einmal, dass sich auch in Magdeburg (viele) Frauen und (wesentlich weniger) Männer dem Kreisen im stählernen Rad verschrieben haben.
Also auf zum Cracauer SC. Ein kleiner Verein, der sich ausschließlich dem Rhönradsport widmet. Während an diesem lauen Spätsommerabend draußen am unweit entfernten Elbdamm letzte Spaziergänger flanieren, rollen sie sich drinnen in der Turnhalle an der Cracauer Straße warm. „Für unseren Sport braucht es vor allem Koordination und Körperspannung – und vielleicht ein ganz klein wenig Mut“, erläutert Vereinsvorsitzende und Trainerin Angela Trümper. Zusätzlich ein wenig Kreativität und Kraft könne bei den Übungen in dem immerhin etwa 50 Kilo schweren Rad außerdem nicht schaden. Und muss man angesichts der ständigen Vorwärts- und Rückwärtsrollen denn nicht leichte Schwindelanfälle fürchten? Sie lacht: „Ach wo, vielleicht schwankt es ganz am Anfang ein wenig, wenn man aus dem Rad steigt, aber das legt sich schnell.“
Sie sollte es wissen, schließlich gilt Angela Trümper, die Gattin des Magdeburger Oberbürgermeisters, als so etwas wie die „Grande Dame“ des hiesigen Rhönradturnens. Seit nunmehr 50 Jahren ist sie mittlerweile dabei. Und kann bis heute einfach nicht davon lassen – als Vereinsvorsitzende, als Trainerin, als Kampfrichterin. Sie hat einst bei der BSG Motor Mitte die Blütezeit in den Achtzigern miterlebt, mit ihrer Partnerin Andrea Golz war sie DDR-Meisterin 1980 im Paarturnen.
Die heutige Lehrerin für Mathe und Physik am Sportgymnasium gehörte nach der Wende zu denen, die daran mitwirkten, den Ruf Magdeburgs als einer der Hochburgen des Rhönradturnens im Osten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zuerst in einer Schularbeitsgemeinschaft, später dann bei Stahl Nordost, seit 2011 beim im selben Jahr gegründeten CSC. Nur der Vollständigkeit halber: Das Turnen im Rad wird in Magdeburg ebenso beim MSV 90 betrieben. Weitere Zentren in Sachsen-Anhalt befinden sich in Halle, Dessau, Salzwedel und Schönebeck.
Deutschland gilt zu Recht als das Mutterland des Rhönradturnens. Es war Otto Feick, ein tüftlerisch veranlagter Sohn eines Schmiedes, der zu Beginn der zwanziger Jahre in der bayerischen Rhön zwar das Rad nicht neu erfand, dafür aber ein neuartiges Sportgerät entwickelte. Die Region stand dann auch für den Namen: Rhön-Rad. 1925 meldete Feick seine Erfindung als "Reifen-Turn- und Sportgerät" zum Patent an. Selbst wenn man sich anfangs auch in den USA für den neuen Zauber-Reifen aus Old Germany interessierte, einen Siegeszug rund um die Welt trat er nicht an. Doch in jüngster Zeit erlebte die „urdeutsche“ Sportart eine Renaissance. 20.000 Aktive, meldete der Weltturnverband stolz, tummelten sich mittlerweile im Doppel-Rad.
Wer nun allerdings immer noch meint, Rhönrad sei antiquiert, klinge irgendwie nach Turnvater Jahn, der irrt gewaltig. Das Turnen im „Hamsterrad“ boomt auch in Magdeburg regelrecht. Angela Trümper betont: „Ja, wir reden bewusst vom Turnen, nicht vom Fahren. Weil es eben Sport ist.“ 65 Mitglieder zählt der CSC derzeit, davon etwa 40 Kinder. Es könnten noch mehr sein. „Wir mussten sogar einen Aufnahmestopp verhängen, weil wir mit den Hallenkapazitäten und den Übungsleitern kaum nachkommen“, bedauert sie. „Inzwischen wird bei uns schon an fünf Tagen in der Woche trainiert, sogar an Sonnabendnachmittagen.“ Doch, das ist die gute Nachricht, der Verein ist dabei, die Wartelisten abzuarbeiten.
Mit Stolz verweist Angela Trümper auf den Schatz des Vereins: die für den Laien auf den ersten Blick respekteinflößenden überdimensionalen Räder. 30 davon besitzt der CSC. „Sie haben einen Durchmesser zwischen 1,45 Meter und 2,30 Meter“, erläutert die Chefin, „und wiegen eben bis zu 50 Kilo.“ Über einen Fahrstuhl werden die mit einem Kunststoffschlauch ummantelten Sportgeräte aus Edelstahl vor jedem Training aus dem Schulkeller transportiert – und anschließend wieder zurück. Eherne Regel: Sie dürfen nur getragen und nicht geschoben werden, „weil sonst die Kunststoffhülle reißen könnte“. Einmal in der Woche ist Putztag, dann werden die zwischen 1300 und 1800 Euro teuren Räder, die aus einer Spezialwerkstatt in Taunusstein stammen, gepflegt. Höhepunkte im Vereinsleben sind neben Wettkämpfen wie den um den Deutschland-Cup vor allem Gala-Auftritte, zu denen die Rhönrad-Turner geladen werden. Das bessert nicht nur die Klubkasse ein wenig auf, sondern bietet den CSC-Aktiven Gelegenheit, sich einer Öffentlichkeit zu präsentieren, die sonst von der Sportart herzlich wenig mitbekommt. Angela Trümper: „Kombiniert mit Musik, versuchen wir, die Schönheit und Eleganz des Rhönradturnens zu zeigen. Gerade für Synchrondarbietungen müssen sich unsere Turnerinnen und Turner möglichst auf einem Leistungslevel bewegen.“
So begeistert die „Grande Dame“ über ihren Sport, den Verein und die Schützlinge redet, über mögliche Versuche des Oberbürgermeister-Gatten, sich einmal im Stahlrad – klingt ein bisschen wie Stadtrat – im Kreise zu drehen, mag sie, wie es scheint, nicht allzu intensiv plaudern. „Ich glaube“, sagt sie zu seiner Ehrenrettung und schmunzelt, „er hat es zumindest einmal probiert …“ Über weitere Versuche ist nichts überliefert. Rudi Bartlitz
Kompakt
Ein Rhönrad besteht aus zwei Reifen, die durch sechs Sprossen miteinander verbunden sind. Davon sind zwei mit Brettern besetzt, an denen Lederschlaufen befestigt werden. Durch diese Bindungen sind die Füße des Turners lose mit dem Rhönrad verbunden. Außerdem sind an zwei der Sprossen Griffe befestigt. Der Durchmesser des Rades variiert je nach Körpergröße zwischen 130 cm und 245 Zentimeter. Es wird zwischen drei Disziplinen unterschieden. Im Gerade-Turnen werden auf einer Fläche von 18 x 3 m Kürübungen geturnt (die Pflicht wurde vor drei Jahren abgeschafft). Dabei rollt das Rad immer auf beiden Reifen. Es werden auch Elemente aus dem Reckund Barrenturnen verwendet. Im Erwachsenenbereich werden die Übungen auf Musik geturnt. Beim Spirale-Turnen bewegt sich das Rhönrad auf nur einem Reifen, es "tellert". Die Spirale wird durch Gewichtsverlagerung und Armzug erreicht. Die dritte Disziplin ist der Sprung. Dabei wird das Rad angeschoben und der Turner lässt sich von hinten durch den Schwung auf das Rad ziehen. Aus der Grätsch-, Hock- oder Standposition zeigt er dann einen Sprung nach vorn auf eine Weichbodenmatte. Dies können Hock- oder Grätschsprünge sowie Sprünge mit Rotation sein.