Faszination des Pokals
Ganz Fußball-Magdeburg fiebert einem Tag entgegen: dem 24. Oktober. Dann treffen die Blau-Weißen in der 2. Runde des DFB-Pokals auf das Topteam von Borussia Dortmund. Magdeburg Kompakt sprach darüber mit dem Ex-Bundesliga-Profi und heutigem Assistenten der FCM-Geschäftsführung, Maik Franz.
Sie haben in ihrer Laufbahn mit fünf unterschiedlichen Klubs selbst in 20 Spielen des DFB-Pokals auf dem Rasen gestanden. Dabei gegen Topvereine wie Bayern, Dortmund und Schalke. Sie sollten es beurteilen können: Stimmt es, was viele Akteure sagen, nämlich dass Pokalbegegnungen eine gewisse Faszination innewohnt?
Maik Franz: Ja, dem würde ich voll und ganz zustimmen. Und das sehen, das ist zumindest meine Erfahrung, nicht nur die meisten Spieler so, sondern auch viele Fans.
Was macht denn nun diese Faszination aus?
Ganz einfach, es ist ein Wettbewerb, in dem kleine Vereine den Großen ein Bein stellen können. Wo eine einzige Partie über das Weiterkommen entscheidet. Wo es, zumindest in Deutschland, kein Rückspiel gibt, in dem ein vermeintlicher Favorit in einer zweiten Begegnung einen Fehler wieder ausbügeln kann. Wo tatsächlich alles in 90 oder 120 Minuten entschieden wird. Die Faszination liegt also darin, dass immer wieder Überraschungen passieren.
Kann es sein, dass man als Spieler Pokalpartien generell länger im Gedächtnis behält als Punktspiele?
Auf jeden Fall. An bestimmte Begegnungen kannst du dich noch nach mehr als einem Jahrzehnt erinnern, als wäre es gestern gewesen. Da weißt du noch jedes Detail.
Beispielsweise?
Als wir 2001 mit den Wolfsburger Amateuren, einem Viertligisten, im Achtelfinale die Dortmunder ausgeschaltet haben. Da standen auf der anderen Seite internationale Stars wie Koller und Rosicky. Mein Gott, wenn ich daran denke! Oder mein erstes DFB-Pokalspiel überhaupt, für den FCM gegen den Bundesligisten 1. FC Köln, im August 2000. Ich weiß noch, es war verdammt heiß damals, und als mir der Trainer sagte, dass ich dabei bin, wurde mir noch heißer. Ich habe gezittert, hatte Durchfall. Trotzdem, wir haben sie mit 5:2 rausgehauen. Ich weiß noch wie heute, wie wir danach um die Häuser gezogen sind, in welchen Klubs wir waren.
Und dann, in einer der Sternstunden der Magdeburger Pokalgeschichte, beim Triumph im November 2000 über die FC Bayern (5:3 nach Elfmeterschießen) mussten Sie leider passen.
Auch das ist in meinem Gedächtnis, als wäre es erst gestern gewesen. In einem Spiel zuvor in Grimma hatte ich mich an der Schulter verletzt, musste tatenlos von draußen zuschauen. Trotzdem, den grenzenlosen Jubel danach habe ich genauso genossen, als wäre ich auf dem Feld gewesen.
Selbst wenn er oft als Phrase bezeichnet wird, gilt der alte Spruch noch, demzufolge Pokalspiele ihre eigenen Gesetze haben?
Ja, ich denke schon, der Pokal hat seine eigenen Gesetze, selbst wenn es abgedroschen klingt. In dem Satz stecken Erfahrungen von Jahrzehnten. Es ist eben nicht alles ausrechenbar. Das ist gut so. Der Pokal ist etwas Besonderes. Und es ist für einen Außenseiter etwas ganz anderes, ob er in einem Testspiel auf einen Bundesligisten trifft oder dieser zu einem Pflichtspiel anreisen muss. Der Underdog hat stets den Heimvorteil, die Fans können ihren Klub daheim anfeuern.
Nun zeigt allerdings ein Blick in die Statistik, dass die Kleinen früher größer waren. Werden die Pokal-Sensationen immer seltener?
Jein. Ja, wenn man die Duelle der Spitzenteams mit Amateurklubs, also Viert- oder Fünftligisten, heranzieht, mag das stimmen. Das liegt vor allem daran, dass die Profis heute sehr fokussiert sind, es geht um viel Geld, auch im Pokal. Die Vereine wollen Titel, brauchen Erfolge. Noch etwas: Für Profiklubs ist der Pokal der kürzeste Weg, um sich für einen internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Da reichen schon sechs gewonnene Partien. Nicht zu vergessen: Das Pokalfinale in Berlin genießt eine riesige Aufmerksamkeit. Da will möglichst jeder hin. Mit nein würde ich die Frage beantworten, wenn es um Duelle der Teams aus den drei Profiligen untereinander geht. Da ist nach wie vor jede Überraschung drin. Ich erinnere nur an Drittligist Lotte, der in der vergangenen Saison mehrere Bundesligisten nacheinander ausgeschaltet hat.
Nun hat, rein theoretisch, der FCM am 24. Oktober gegen die hochfavorisierten Dortmunder die Gelegenheit, das nachzumachen.
Der BVB ist eine deutsche und europäische Top-Mannschaft, das dürfen wir nicht vergessen. Aber wenn wir einen Sahnetag erwischen, alles bei uns stimmt, uns die Borussia vielleicht ein wenig unterschätzt, ja, dann ist alles möglich. Und, wie gesagt, in einem einzigen Spiel kann vieles passieren.
Für die Dortmund-Partie haben die Menschen eine Nacht lang nach Tickets angestanden. Viele sagen, ein solches Spiel habe es in den letzten zehn Jahren in Magdeburg nicht mehr gegeben. Richtig?
Zweifellos, ich würde sogar noch weiter gehen: Nach dem sensationellen Erfolg über die Bayern zur Jahrtausendwende gab es das in Magdeburg nicht mehr. Die Euphorie ist brutal. Wir hätten wohl 60.000 bis 70.000 Karten absetzen können. Die Stimmung in der Stadt ist phantastisch, das hat schon Erstliganiveau. Zumal unser Team diesen Höhepunkt nicht geschenkt bekommt, sondern sich alles erarbeitet hat, nicht zuletzt, indem in der 1. Runde Bundesligist FC Augsburg ausgeschaltet wurde.
Dortmund tanzt auf drei Hochzeiten, in der Champions League, der Meisterschaft und im Pokal. Könnte es sein, dass sie Kräfte sparen wollen, in Magdeburg mit einem 1b-Team auflaufen?
Das glaube ich nicht. Aber selbst wenn, schauen Sie doch einmal, was die für einen Kader haben! Da sitzen Leute wie Schürrle, Guerreiro, Kagawa, Weigl, Pulisic, Dahoud und selbst Götze zuweilen auf der Bank. Woanders wären sie alle Stammspieler. Die wollen sich, wenn sie im Pokal ran dürfen, zumal in einem ausverkauften Stadion wie bei uns, alle beweisen. Das ist ihre Chance.
Wir haben viel über Favoriten und Außenseiter geredet. Der Deutsche Fußball-Bund erwägt jetzt eine Reform des Pokals, bei der die Zahl der Starter von 64 auf 128 verdoppelt würde, Europacup-Teilnehmer zunächst ein Freilos hätten. Wie sehen Sie das?
Ich kann den Gedanken verstehen, die internationalen Starter zu entlasten. Andererseits sagt mir mein Bauchgefühl, man sollte es so lassen wie es ist. Auch im Interesse der Kleinen.
Eine ganz einfache Frage zum Schluss: Wer wird Pokalsieger 2018?
Oje. Dortmund wird es bei dem Gegner in der 2. Runde auf jeden Fall sehr, sehr schwer haben, den Pokalerfolg von 2017 zu verteidigen (lacht). Mein Tipp also: Schalke 04.
Steckbrief
Maik Franz, geboren am 5. August 1981 in Merseburg, wuchs in Langenstein bei Halberstadt auf und begann dort seine Karriere als Fußballer. 1997 wechselte er zu Germania Halberstadt, bevor er im Sommer 1998 zur Jugend-Abteilung des 1. FC Magdeburg ging. Mit der A-Jugend des Klubs gewann er 1999 den DFB-Junioren-Vereinspokal. Franz spielte bis 2001 in der Abwehr des FCM und wechselte dann zum VfL Wolfsburg. Für die Niedersachsen, Eintracht Frankfurt und Hertha BSC Berlin bestritt er 192 Bundesliga-Partien. Für den Karlsruher SC absolvierte er 40 Partien in der 2. Bundesliga, 19 Mal wurde er in der deutschen U-21-Nationalmannschaft eingesetzt. Im Januar 2015 beendete er seine Karriere als Profifußballer wegen andauernder Kniebeschwerden. Seit Anfang 2016 ist Franz beim FCM als Assistent der Geschäftsführung im sportlichen Bereich tätig. Er arbeitete zunächst innerhalb seines dualen Studiums „Sportmanagement“ an der Elbe, seit 1. Oktober ist er hauptamtlich für die Blau-Weißen tätig.