Einer, der immer lacht
Mit der Verpflichtung des größten deutschen Box-Talents Peter Kadiru ist dem Magdeburger SES-Team ein spektakulärer Coup gelungen.
Sein Äußeres, vor allem das verschmitzte Gesicht mit den zwei Reihen strahlend weißer Zähne, will zunächst so gar nicht ins landläufige Bild vieler Profiboxer passen. Jenes Schlages von Haudraufs also, deren oft angestrengt ernste, zuweilen mürrische Miene sagen soll: Vorsicht, kommt mir bloß nicht zu nahe, sonst gibt’s Saures! Peter Kadiru ist anders. Er lacht oft und gern. Und wenn er es tut, geht von dieser aus dem Herzen kommenden Fröhlichkeit eine Ansteckung aus, der sich nur die wenigsten entziehen können. Dieses Lachen, natürlich verbunden mit exzellenter boxerischer Finesse, könnte einmal sein Markenzeichen werden.
Der 21-jährige Junge aus Hamburg, Sohn ghanaischer Eltern, hat sich Anfang des Jahres aufgemacht, zu einem neuen Stern am deutschen Box-Himmel zu werden. Und zwar nicht irgendwo, sondern in der Königsklasse der berufsmäßigen Faustkämpfer, dem Schwergewicht. Kadiru ist jedoch keiner von denen, die, selbst wenn ihr Können erkennbar limitiert ist, stets einen lockeren Spruch auf den Lippen haben und ihr Glück einfach mal versuchen wollen. Nein, Kadiru kommt nicht mit leeren Händen. Seine Kampfbilanz weist Erfolge auf, die kein deutscher Boxer seines Alters zuvor je erreichte: Goldmedaillengewinner bei den ersten Olympischen Jugendspielen 2014 im chinesischen Nanjing, zweimaliger Titelträger bei der Jugendeuropameisterschaft, Europameister in der Klasse U-22 und Jugend-Vizeweltmeister. Als er Ende Februar seinen ersten Promoter-Vertrag unterschrieb, horchte die Fachwelt auf. Nicht der Fakt als solcher überraschte, sondern der Partner: SES-Boxing aus Magdeburg.
Die drei von der Tankstelle
„Ich bin sehr stolz darauf, dass sich Peter für uns entschieden hat“, sagt SES-Chef Ulf Steinforth. „Das ist ein großes Zeichen des Vertrauens. Er wird in Zukunft mit Europameister Agit Kabayel und WBO-Interconti-Champion Tom Schwarz ein megastarkes Trio bilden. Alle drei sind jung, ambitioniert und auf den jeweiligen Stufen ihrer Karriere herausragende Hoffnungsträger für den deutschen Boxsport.“ Mit diesen „drei von der Tankstelle“, wie Steinforth sie nennt, agiert SES nunmehr unumstritten als Deutschlands Nummer eins im Schwergewicht.
Am Schalthebel dafür, dass sich Kadiru für Magdeburg entschied, sitzt ein Mann, der das internationale Boxgeschäft seit mehr als zwei Jahrzehnten aus dem Effeff kennt: Bernd Bönte. Der 63-Jährige – der einst als Manager und späterer Geschäftsführer der Klitschko Management Group die Box-Events von Vitali und Wladimir Klitschko veranstaltete, die weltweiten TV-Verträge aushandelte und für die Gesamtvermarktung der ukrainischen Brüder verantwortlich war – kümmert sich seit November nun als Manager um das Talent aus Hamburg. „Für mich ist SES inzwischen einer der führenden europäischen Boxställe und die klare Nummer eins in Deutschland“, betont er. „Mit Kabayel und Schwarz sind zwei Leute unter den Top Ten in den Ranglisten. Obwohl es zahlreiche Anfragen für Peter aus dem Ausland gab, unter anderem aus den USA und England, haben wir uns für Ulf Steinforth entschieden. Wichtig war uns dabei auch die sehr menschliche Art, wie hier mit Sportlern umgegangen wird. Hier kann sich Peter in Ruhe entwickeln. Ein weiterer Aspekt: Uns liegt das Boxen in Deutschland am Herzen. Wir glauben an die Zukunft dieser Sportart, wenn sie mit den richtigen Protagonisten besetzt ist. Peter ist einer, der mit seiner Art das Potenzial dazu besitzt, Menschen zu begeistern.“ Wichtig sei auch, so Bönte, dass die Kooperation von SES mit dem MDR-Fernsehen seinem Schützling die Möglichkeit biete, „nicht im luftleeren Raum zu boxen“. MDR-Programmdirektor Wolf-Dieter Jacobi: „Wir werden alle Kämpfe von Peter Kadiru in voller Länge zeigen.“
Vom Boxen hielt er nichts
Dabei war es dem Jungen aus Hamburg-Altona alles andere als ins Stammbuch geschrieben, einmal die Welt des Faustkampfs gehörig aufzumischen. Im Gegenteil. „Als ich vor gut zehn Jahren mit dem Boxen anfing, mochte ich es überhaupt nicht“, gibt Kadiru zu. Sein vier Jahre älterer Bruder Kevin habe ihn zu dem Sport überredet. Und weil er gegen den anfangs im Ring keinen Stich sah, legte er im Training so manche Sonderschicht ein. Es half. Mehr noch, es war ein Karrierestart im Blitztempo. Bald zählte der heute 100 Kilo schwere und 1,94 Meter große Modellathlet beim Polizei SV Hamburg, seinem ersten Verein, und bei deutschen Jugendturnieren zu den Besten. 2014, da war er gerade einmal 17, wurde dann sein Jahr: Europameister und Vize-Weltmeister in der Jugend und zur Krönung Gold bei den Olympischen Jugendspielen.
Seit nunmehr fast sechs Jahren steht Christian Morales (38) als Coach an seiner Seite. Der gebürtige Rostocker betreute Kadiru, der in die Sportförderkompanie der Bundeswehr gewechselt war, als Landestrainer am Olympiastützpunkt in Schwerin und wechselte mit ihm später nach Hamburg. Morales gerät ins Schwärmen: „Ich habe noch nie einen Schwergewichtler in diesem Alter gesehen, der so schnell und beweglich im Ring ist wie er. Mit seinem rechten Jab kann er Kämpfe vorzeitig entscheiden.“
Kadiru („Große Sprüche sollte man von mir nicht erwarten“) weiß, in der Welt der Professionals weht ihm ein anderer, durchaus steiferer Wind entgegen als bei den Amateuren. Noch vor zwei Jahren lehnte er ein Angebot von Wladimir Klitschko ab, bei dessen Promotionsagentur KMG einen Vertrag zu unterschreiben. „Damals fühlte ich mich noch nicht reif dafür. Jetzt ist die Zeit gekommen.“ Nun will er mit Macht nach ganz oben – als Profi. Und zwar so schnell wie möglich. Deshalb entschied er sich auch im November 2018, nicht noch knapp zwei Jahre im olympischen Boxen zu verweilen und nach dem olympischen Jugend-Gold auch bei den „richtigen“ Olympischen Spielen im nächsten Jahr in Tokio nach einer Medaille zu greifen. Die Bedingung dafür wäre gewesen, den Vertrag als Sportsoldat bei der Bundeswehr um weitere zwei Jahre zu verlängern und den Zyklus bis nach den Spielen 2020 auszudehnen. „So lange wollte ich mich aber nicht binden“, sagt Kadiru, „deshalb bin ich froh, dass ich einen Mann wie Bernd Bönte als meinen Manager gewinnen konnte.“
Olympia weiter möglich
Dennoch, endgültig zu den Akten gelegt sind die olympischen Träume nicht. „Die Regularien lassen es ja seit 2016 zu“, erläutert er, „dass auch Profis an den Spielen teilnehmen können. Wenn es meine Pläne bei SES zulassen und wir eine Übereinkunft mit dem Verband finden, schließe ich nicht aus, in Tokio eventuell dabei zu sein.“ Die Tür nach Japan, sagt Steinforth, sei „jedenfalls noch nicht zu“. Zumindest augenblicklich stehen die Chancen auf ein Agreement mit dem Deutschen Box-Verband, der die Nominierung der Olympiakader im nächs-ten Jahr zu verantworten hat, allerdings recht schlecht. Denn der Verband zeigte sich von Kadirus Wechsel zu den Berufsboxern sichtlich enttäuscht. „Man hat uns erst in die Pläne eingeweiht, als alles schon beschlossen war. Wir fühlen uns vorgeführt und haben kein Interesse mehr an einer Zusammenarbeit mit Peter Kadiru“, sagte Präsident Peter Kyas dem „Hamburger Abendblatt“. Es wird sich zeigen, ob dies das letzte Wort war und ob es sich das zuletzt bei Olympia nicht gerade erfolgreiche deutsche Boxen leisten will, gegebenenfalls auf einen wie Kadiru zu verzichten.
Einen konkret abgesteckten Zeitplan für die Profi-Laufbahn besitzt der junge Mann aus Hamburg, der seit einem Vierteljahr Vater einer Tochter mit dem Namen Nila ist und weiter mit seiner Frau Michelle (20) in der Hansestadt wohnen wird, jedoch nicht. „Wir werden uns Zeit nehmen“, erklärt Promoter Steinforth. „Vielleicht geht er, wie andere Boxer von SES zuvor auch, zunächst den Weg über eine Junioren-Weltmeisterschaft oder ähnliches.“ Man wisse, wirft Manager Bönte ein, „dass es ein steiniger Weg an die Spitze ist. Aber ich traue Peter zu, dass er es schaffen kann. Ich habe selten jemanden gesehen, der in dem Alter so stark im Ring agiert, der aber gleichzeitig auch außerhalb des Rings das Potenzial hat, Menschen für sich einzunehmen.“
„Ich will Weltmeister werden“
Seinen ersten Kampf als Profi Anfang März im Magdeburger Maritim-Hotel hat der Debütant erst einmal erfolgreich bestanden. „Ich war, das muss ich zugeben, ganz schön aufgeregt. Mehr als sonst.“ Doch nach anfänglicher Zurückhaltung stand auf den Punktzetteln ein haushoher Sieg gegen den Polen Artur Kubiak. „Ich will Weltmeister werden, aber Schritt für Schritt. Erst einmal freue ich mich, dass mein Debüt gelungen ist“, kommentierte der neue SES-Mann den mentalen Befreiungsschlag. Erleichterung auch bei Cheftrainer Morales, dessen Sportler noch nie über sechs Runden kämpfte. „Der Druck auf Peter war hoch, die Ansprüche an einen Jugendolympiasieger, der als großes Talent gilt, sind gewaltig. Das hat man ihm angemerkt. Aber zum Ende heraus deutete er sein riesiges Potenzial an. Wir haben noch viel Luft nach oben, aber für ein Debüt war das eine sehr gute Leistung.“
„… dann will ich Meier heißen“
Einer, der ganz große Stücke vom Newcomer aus dem Norden hält, ist Star-Coach Ulli Wegner. Sein Urteil gilt etwas in der Fachwelt. „Kadiru besitzt alle Anlagen, ein Großer des Schwergewichts zu werden“, meinte er nach dem Profidebüt im Gespräch mit MAGDEBURG KOMPAKT. Den Fight hatte der 76-Jährige, der in Magdeburg zum 16. Mal als „Trainer des Jahres“ geehrt worden war, in der ersten Ringreihe aufmerksam verfolgt. „Jetzt kommt es vor allem darauf an, wie er weiter geführt wird.“ Wenn aus dem nichts werde, fügte er in typischer Wegner-Art hinzu, „dann will ich künftig Meier heißen.“ Peter Kadiru könnte über einen Satz wie diesen bestimmt von Herzen lachen … Rudi Bartlitz
Informationen zu SES
SES-Boxing wurde im März 2000 in Magdeburg von Ulf Steinforth gegründet. Seither hat das Unternehmen weit über 100 Veranstaltungen im In- und Ausland organisiert, darunter in den USA, in Russland, Tschechien, Slowenien und zuletzt Albanien. Unter der Flagge von SES wurden Robert Stieglitz, Jan Zaveck, Lukas Konecny und bei den Frauen Natascha Ragosina, Ramona Kühne, Christina Hammer und Susi Kentikian Weltmeister. Agit Kabayel, Dominic Bösel, Robin Krasniqi und Nina Meinke sind aktuell Europameister. Dem SES-Team gehören derzeit 19 Profi-Boxer an. Die nächste Veranstaltung findet am 13. April in Halle statt, wenn Bösel seinen EM-Titel im Halbschwergewicht gegen den Italiener Orial Kolaj verteidigt. Dann steigt auch Neuzugang Peter Kadiru wieder in den Ring.