Eine Liga spielt total verrückt

Trotz allen Jubels nach dem Führungstor gegen Regensburg (Torschütze Puttkammer/kniend zusammen m. Handke/links und Niemeyer/hinten) – auch der FCM wurde bei der Heimniederlage gegen den Aufsteiger aus Bayern Opfer der Kapriolen in der dritten Liga. F: PG

Noch nie gab es im deutschen Drittliga-Fußball eine derartige Berg- und Talfahrt wie in diesem Jahr. Und der 1. FC Magdeburg steckt mittendrin.

Den Kommentatoren gehen langsam, aber sicher die Worte aus. Von „Achterbahn-Fußball“ und „Kuriositätenkabinett“ über „launenhaft“ bis „extrem unberechenbar“ – es gibt kaum ein Attribut, was noch nicht herhalten musste, um die wohl verrückteste Spielzeit in der nunmehr neunjährigen Geschichte dieser dritten deutschen Fußball-Profiliga zu kennzeichnen. Was von den meisten Experten zunächst als vorübergehendes Geplänkel angesehen wurde, das sich spätestens zur Winterpause „eingeruckelt“ haben werde, hat sich mittlerweile zum einzigen zuverlässigen Trend ausgewachsen, der in dieser Spielklasse überhaupt noch zu erkennen ist:  Nämlich, dass jedes der 20 Teams das andere schlagen kann. Und dabei ist es scheinbar egal, ob man zu Hause oder auswärts antritt.
Als hätte es wirklich noch eines letzten Beweises für die These von einer irren Liga gebraucht, der FCM bekam es am Sonntag schmerzlich zu spüren. Das 1:2 daheim gegen Aufsteiger Jahn Regensburg dämpfte die Aufstiegshoffnungen einer ganzen Region ebenso wie schon gut einen Monat zuvor die 0:1-Niederlage vor eigenem Publikum  gegen den Tabellenletzten FSV Mainz II. Normalerweise wäre eine Mannschaft nach zwei derartigen Rückschlägen erst einmal weg vom Fenster. Nicht so in Liga drei des Jahres 2017. Da rangieren die Blau-Weißen, punktgleich mit dem Zweiten Kiel, immer noch auf einem Relegationsplatz.
Oder nehmen wir ein anderes krasses Beispiel. Zur Winterpause hockten die Zwickauer auf dem vorletzten Tabellenrang, galten für viele bereits als sicherer Abstiegskandidat. Selbst die eigene Vereinsführung sah das so, ein Lizenzantrag für die zweite Liga wurde gar nicht erst gestellt. Keine drei Monate später reiben sich Experten wie Fans ungläubig die Augen: Dieselben Zwickauer führen die Rückrunden-Tabelle souverän an. Mit unglaublichen neun Punkten Vorsprung auf den großen Aufstiegsfavoriten MSV Duisburg! Das hat es so noch nicht gegeben.
Die Kette der Phänomene in dieser Klasse - die vielen zusammen mit der englischen als stärkste dritte Liga der Welt gilt ­- ließe sich problemlos fortführen: Während sich Aufsteiger wie die Sportfreunde Lotte und vor allem Regensburg selbst übertreffen und im Falle der Bayern sogar auf einen Durchmarsch drängen, finden sich die beiden Absteiger aus Liga zwei, FSV Frankfurt und SC Paderborn, im freien Fall auf Abstiegsrängen wieder, und damit in die sportliche Bedeutungslosigkeit. Weiter:  Sechs Spieltage vor Ultimo trennen den Zweiten vom Neunten ganze sechs Zähler. Das zu erwartende Hauen und Stechen in den nächsten Wochen um die beiden direkten Aufstiegsplätze und den Relegationsrang ist mit Händen zu greifen.
Wer auch immer sich in den letzten Tagen und Wochen mühte, um die schwindelerregende Berg- und Talfahrt zu erklären, er kam kaum darüber hinaus, mehr als die hohe Ausgeglichenheit herauszustellen. Natürlich ist das richtig – und lässt sich mit vielen Resultaten trefflich belegen. Bezeichnend aber ebenso: Bis dato hat sich noch keiner der sonst so beflissenen Sportwissenschaftler oder Statistiker aus der Deckung gewagt, um das Phänomen dritte Liga zu erklären - mit mathematischen Modellen oder was auch immer nachzuweisen, warum es genauso kommen musste, wie es jetzt ist. Schweigen im Walde.
Wenn nun einzig die Ausgeglichenheit als kleinster gemeinsamer Nenner genannt wird, so ist zu fragen, woher eben diese Ausgeglichenheit kommt? Sicher zum einen daher, dass herausragende Teams wie im vergangenen Jahr mit Dynamo Dresden und Erzgebirge Aue diesmal fehlen. Ein weiteres, ebenso  interessantes wie nachvollziehbares Argument brachte FCM-Trainer Jens Härtel ins Spiel: Die im Gegensatz zu den beiden obersten Profi-Klassen doch weit geringeren Abstände der Klubs untereinander im finanziellen Bereich. Soll heißen, übergroße Sprünge bei der Verpflichtung teurer Spieler kann sich keiner leisten. Also liegt alles eng beieinander – in der Kasse wie auf dem Rasen.
Bei allem Ballyhoo sollte eines allerdings nicht übersehen werden: Ausgeglichenheit ist nicht von vornherein identisch mit spielerischer Klasse. Es gibt nicht wenige Beobachter, die genau bei der spielerischen Qualität sogar einen gewissen Rückschritt gegenüber der Vorsaison zu erkennen glauben. Selbst der mit sechs Zählern führende Spitzenreiter Duisburg ist davor nicht gefeit. „Er versprühte bislang nie die endgültige Souveränität eines Aufsteigers“, bemängelt etwa der Branchendienst „3.Liga online“.  Selbst „typische Spiele wie die gedrehten Partien gegen Münster oder in Chemnitz führten nicht zum von Spitzenteams gewohnten Effekt. Eine Serie konnten die Zebras nicht hinlegen.“
Dennoch, festzuhalten bleibt auf jeden Fall: Die dritte Liga betreibt auch in diesem Jahr wieder reichlich Eigenwerbung. Denn die hohe Ausgeglichenheit hat einen weiteren Faktor zwangsläufig zur Folge: ungeheuere Spannung. Fast ein Dutzend Mannschaften kann sich noch Hoffnungen auf den Aufstieg machen. Das steigert die Anziehungskraft der Liga ungemein. Allein in Magdeburg kamen zu den jüngsten beiden Begegnungen im Schnitt 20.000 Besucher. So oder so, eines  ist klar: Einige Entscheidungen fallen höchstwahrscheinlich erst in allerletzter Minute, am allerletzten Spieltag.  „Am Ende steigt vielleicht einer auf“, unkt ein Insider, „der heute davon noch gar nichts ahnt.“ Rudi Bartlitz

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