Ein Team für Tokio

Sachsen-Anhalt beruft 36 Athleten ins Oympia-Aufgebot. Vorbereitung auf die Sommerspiele 2020 in der japanischen Hauptstadt kommt auf Touren.

Während in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt die Emotionen der Fans noch einmal so richtig hochschlagen und vor allem die FCM-Fußballer und die Handballer des SCM im Fokus stehen, wurde an selber Stelle, fast ein wenig im Verborgenen, ein Team formiert, das nie gemeinsam miteinander in den Arenen und Hallen dieser Welt antreten wird. Ein Team, das eigentlich nur für 16 Tage zusammengestellt wird. Das nur alle vier Jahre einmal an den verschiedensten Fronten und in den unterschiedlichsten Sportarten, zu Land und zu Wasser,  um Ruhm und Ehre streitet. Und von dem heute noch niemand weiß, nicht einmal Sportfunktionäre und Trainer, wieviel Mitglieder es denn letztlich einmal zählen wird.

Genug der Geheimniskrämerei. Es geht um Sachsen-Anhalts „Team für Tokio 2020“, für das in den Apriltagen die letzten Athleten berufen wurden. 36 Sportler aus dem Bindestrich-Land haben demnach gute Chancen auf eine Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen, die am 24. Juli 2020 in der japanischen Hauptstadt beginnen, und die sich anschließenden Paralympics. Im Team sind zwölf  Sportarten vertreten: Leichtathletik, Kanu, Rudern, Boxen, Judo, Handball, Radsport, Ringen, Schwimmen, Turnen, Wasserspringen und Behinderten- und Rehabilitationssport. Es ist das dritte Mal nach London 2012 und Rio 2016, dass Landesregierung, Sportbund und Olympiastützpunkt gemeinsam ein solches Aufgebot berufen.

Es vereint erfahrene Athletinnen und Athleten wie die vielfache Paralympics-Siegerin Andrea Eskau vom USC Magdeburg oder die Ruder-Olympiasiegerin 2016 Julia Lier vom SV Halle, Kanu-Weltmeis-ter Yul Oeltze und Schwimm-Europameisterin Franziska Hentke (beide SC Magdeburg) und junge nachrückende Talente wie Freistilschwimmer Florian Wellbrock vom SCM oder die aktuelle deutsche „Juniorsportlerin des Jahres“, Weitspringerin Lea Jasmin Riecke vom Mitteldeutschen SC.

Am 1. Mai werden es noch genau 450 Tage sein, bis in Tokio das Feuer feierlich entzündet wird.  Wieviel von den jetzt 36 Berufenen dann den Sprung ins deutsche Olympia-Team geschafft haben, ist derzeit noch eine Rechnung mit vielen Unbekannten. In nahezu allen Disziplinen müssen noch nationale und internationale Qualifikationen absolviert beziehungsweise teils extrem hochgesteckte Normen erfüllt werden. Vor zweieinhalb Jahren am Zuckerhut repräsentierten 14 Sportlerinnen und Sportler Sachsen-Anhalt.  Festlegen will sich gut 14 Monate vor Beginn der Spiele von den Verantwortlichen niemand, doch hinter vorgehaltener Hand wird schon damit spekuliert, dass es vielleicht eine Handvoll mehr sein könnte als noch in Rio.

Gleiche Zurückhaltung gilt bei zu erwartenden (und erhofften) Medaillen. Es ist kein Geheimnis, dass es um den Hochleistungssport-Standort Sachsen-Anhalt  in den zurückliegenden Jahren spürbar ruhiger geworden ist. Natürlich, die Ergebnisse von London (einmal Bronze) als auch die leichte Steigerung in Rio (einmal Gold, einmal Bronze) versetzten niemand  in helle Begeisterung. Der für den Sport im Land zuständige Minister Holger Stahlknecht (CDU) hatte nach Rio in einem Interview mit dieser Zeitung angemerkt: „Generell muss natürlich der Sport selbst die Frage beantworten, ob zwei Medaillen die Grenze darstellen oder wir künftig mehr erhoffen dürfen.“ Freilich, die Zeiten, als Athleten aus Sachsen-Anhalt wie 1992 aus Barcelona mit zehn Medaillen heimkehrten, sind kaum noch wiederholbar. Dennoch, die 2018 in einigen olympischen Sportarten erzielten Ergebnisse, vor allem im Schwimmen und Kanu, zeigen an, dass der Abwärtstrend zumindest gestoppt wurde und man sich, wie es der Leiter des sachsen-anhaltischen Olympiastützpunktes, Helmut Kurrat, formulierte, „langsam wieder aus der Talsohle herausbewegt“. Und vielleicht winkt ja plötzlich an völlig unerwarteter Front olympisches Glück: Mit Ornella Wahner ist erstmals eine Boxerin im Team vertreten. Sie ist alles andere denn eine namenlose Außenseiterin. Immerhin erkämpfte die 26-jährige vom SKC Tabea Halle im vergangenen Jahr als erste Deutsche überhaupt einen Weltmeistertitel im Frauen-Faustkampf.

Wahner und alle anderen 35 Teammitglieder werden, natürlich neben der Ehre der Berufung, von einigen materiellen Vorteilen profitieren. Einerseits gibt es einen sogenannten Olympiatitel, in dem jährlich eine sechsstellige Summe für die Olympiavorbereitung, z.B. in Form von Trainingslagern, zur Verfügung steht. Ähnlich wie 2016 soll auch 2020 ein Prämiensystem für Medaillengewinner und deren Trainer zusätzlichen Anreiz für sportliche Höchstleistungen schaffen. Die Athletinnen und Athleten können zudem Leasingfahrzeuge zu Sonderkonditionen erhalten, die ihnen in der Olympiavorbereitung eine bessere Mobilität gewährleisten. Und nicht zuletzt, so Landessportbund-Chef Andreas Silbersack, „möchten wir mit dem Team erreichen, dass die Topathleten unseres Landes nicht erst mediale Aufmerksamkeit genießen, wenn sie im Jahr 2020 in Tokio eine Medaille gewinnen“. Rudi Bartlitz

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