Ein Stotterstart

Gesenkten Hauptes vom Platz – der FCM hatte sich seinen Start in die neue Liga und in den DFB-Pokal sicher anders vorgestellt. Foto: Peter Gercke

Fußball-Zweitligist 1. FC Magdeburg ist schlecht in die neue Saison gekommen. MAGDEBURG KOMPAKT auf Ursachensuche.

Als am vergangenen Sonnabend der Schlusspfiff in der MDCC-Arena ertönte, meinten Beobachter, unter den 19.000 Besuchern eine etwas merkwürdige Stimmung wahrzunehmen. Man könnte sie auch als zwiespältig beschreiben. Zwar überwogen immer noch die lautstarken, demonstrativen Sympathiebekundungen für die eigenen Jungs. Dieses immer wiederkehrende „Eff-zeh-emm, Eff-zeh-emm“. Wer genau hinsah und hinhörte, registrierte allerdings, dass sich darunter erstmals ernüchternde Kommentare mischten, zweifelnde Gesichter nicht zu übersehen waren. Es bot sich eine Situation, die die Mehrheit des Anhangs nach den erfolgstrunkenen zurückliegenden Monaten gar nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Und doch, es war genauso gekommen, wie Pessimisten es an die Wand gemalt und Optimisten es nicht hatten wahrhaben wollen: Der 1. FC Magdeburg ist ganz schwer in die neue zweite Bundesliga gestartet. Das Wort Fehlstart verbietet sich bei einem Neuling sicher, das Wort Stotterstart käme der Wahrheit schon näher. Zumal die nackten Zahlen es belegen: Nach vier Partien, inklusive des Ausscheidens gleich in der ersten Runde im DFB-Pokal, stehen die Blau-Weißen noch ohne ein richtiges Erfolgserlebnis da, sprich ohne einen Sieg. Zwei Niederlagen werden durch zwei Unentschieden höchstens  marginal kompensiert. Unübersehbar der größte Mangel: die ungenügende Angriffsleistung. Bedenklich ebenso: Von der einstigen Heimstärke, die den FCM in Liga drei zu einer Macht werden ließ, ist noch nichts zu spüren (bisher zwei Niederlagen, ein Remis). Gewiss, der alte Kalauer vom „Tag des offenen Stadiontors“ kann in der Liga angesichts von insgesamt nur drei Gegentreffern nicht bemüht werden, dafür traf der Klub auch nur zweimal – viel zu wenig, um richtig Punkte einzufahren.

Noch ist, wenn alle Zeichen richtig gedeutet werden, in der Chefetage keine Nervosität zu spüren. Man verweist im Gegenteil darauf, von Anfang an betont zu haben, wie schwer es für den Aufsteiger in der neuen Liga werden würde. Das ist zweifellos richtig. Geschäftsführer Mario Kallnik hatte dieser Zeitung vor der Spielzeit erklärt, der Klassenerhalt könne das einzige realistische Ziel sein. Der neue Leiter der Lizenzspielerabteilung, Ex-Profi Maik Franz, sah es ähnlich: „Alles andere als den Klassenerhalt zu erwarten wäre unangebracht. Wir starten von Tabellenplatz Nummer 18, wir haben das niedrigste Budget, wir sind zum ersten Mal in dieser Liga. Daher ist dieser Respekt, diese Bodenhaftung elementar. Wir wollen so schnell wie möglich die 41 Punkte und den damit verbundenen Klassenerhalt realisieren. Ich glaube, dass für uns der Respekt vor dieser Liga eine Grundtugend ist. Trotzdem haben wir natürlich auch ein gesundes Selbstbewusstsein und wollen zeigen, dass wir zu Recht in diese Liga aufgestiegen sind.“

Genau da hakt es bisher. Sicher ist Härtel und seinen Spielern nicht zu widersprechen, wenn sie nach allen vier Partien unterstrichen, es sei zu sehen gewesen, sie könnten mit der Konkurrenz mithalten.  Ja, sie seien meist die bessere Mannschaft gewesen. Auch meinen sie, eine aufsteigende Linie in ihrem Auftreten erkennen zu können. Doch Härtel ist Pragmatiker genug, um zu wissen: „Jetzt müssen endlich Ergebnisse her. Wir müssen uns belohnen.“ In dieselbe Kerbe schlägt Mittelfeldakteur Björn Rother: „Wir können nicht Woche für Woche erzählen, wir sind an den anderen dran. Wir müssen endlich mal liefern.“ MAGDEBURG KOMPAKT versucht, an einigen Punkten die aktuelle Lage nach vier Begegnungen zu beschreiben.
 
Die Mannschaft
• Tor: Härtel legte sich zu Saisonstart auf den zweitligaerfahrenen Ex-Braunschweiger Jasmin Fejzic als Stammkeeper fest. Der 32-Jährige hat bereits 134 Partien in der zweithöchsten deutschen Spielklasse absolviert. „Wir haben uns für die Erfahrung entschieden“, sagte Härtel. Doch sowohl am Freistoßtor des FC St. Pauli, das zum Sieg der Hamburger führte, als auch am 1:1-Ausgleich der Ingolstädter hatte er seinen Anteil. Er wirkte auch bei anderen Aktionen nicht immer sicher. Es würde nicht überraschen, wenn Alexander Brunst, die Nummer zwei, demnächst eine Chance erhalten würde.

• Abwehr: Bislang der beste Mannschaftsteil des FCM. Sie ließ in allen vier Begegnungen wenig zu, wirkte souverän, hatte zusammen mit dem defensiven Mittelfeld die gegnerischen Sturmreihen in der Regel gut im Griff. In der Dreierkette experimentierte der Trainer mehrfach. Als Abwehrchef wechselte er zwischen Nico Hammann und Dennis Erdmann. Auf den Außenpositionen überraschte Neuzugang Tobias Müller, der zwar unspektakulär, aber auch fast fehlerfrei agierte.

• Mittelfeld: Im defensiven Mittelfeld hat sich, so scheint es, Neuzugang Rico Preißinger einen Stammplatz erobert. Der 22-Jährige kann das Spiel ankurbeln und ordnen. Als Absicherung hat Björn Rother die Nase vorn, da er zweikampfstark ist, Löcher stopfen und gleichzeitig einen sauberen Pass spielen kann. Auf der rechten Mittelfeldseite ist der neue Kapitän Nils Butzen gesetzt.  Auf der linken Seite ist der Konkurrenzkampf groß. Neuzugang Aleksandar Ignjovski scheint vorerst die Nase vorn zu haben.

• Sturm: Christian Beck (13 Saisontore in der Saison 17/18) und Philip Türpitz (17 Treffer) scheinen gesetzt, Marcel Costly ist erster Kandidat für die zweite Außenbahn-Position. Unübersehbar ist, dass Türpitz noch nicht jene Torgefahr ausstrahlt, die ihn nicht nur in der vergangenen Spielzeit zum erfolgreichs-ten Schützen, sondern sogar zum besten Spieler der gesamten dritten Liga werden ließen. Mehr als zwei Treffer (Beck, Erdmann) sprangen nicht heraus, davon kommt einer noch auf das Konto eines Abwehrspielers.

• System: Härtel setzt nach wie vor auf das in der vergangenen Saison erfolgreiche 3-4-3-System.  In der Abwehrformation wird daraus in der Regel ein 5-4-1. Unübersehbar, es fehlt weiterhin ein strategischer Kopf, der (egal, ob als sogenannter Sechser oder Achter) den Rhythmus bestimmt.
 
Die Zugänge
Zehn Akteure wurden im Sommer 2018 neu verpflichtet: Jasmin Fejzic, Tobias Müller, Aleksandar Ignjovski, Rico Preißinger, Joel Abu Hanna, Manfred Osei Kwadwo, Philipp Harant, Marius Bülter, Mergim Berisha. Nach alter Tradition des Hauses befanden sich keine Kracher darunter. Nur Ignjovski und Fejzic verfügten tatsächlich über Erst- und Zweitligaerfahrung. Ablöse wurde Medienberichten zufolge nur im mittleren sechsstelligen Bereich gezahlt; der Verein selbst nannte keine konkreten Zahlen. Zum Vergleich: Wochenendgegner FC Ingolstadt gab das Zehnfache der für Magdeburg kolportierten Summe aus. Der FCM setzt weiter auf junge, unverbrauchte Spieler mit Perspektive, die die DNA des Vereins – Wille, Hingabe, Kampf, hohe Laufbereitschaft – verinnerlichen. Von den neun Zugängen gelang Fejzic, Müller, Ignjovski und Preißinger auf Anhieb der Sprung in die Stammelf – wenn es diese denn beim FCM angesichts einer hohen Rotationsquote überhaupt gibt.

Die Stimmung
Die ist – trotz der eingangs angeführten Einschränkungen, trotz noch ausbleibender Erfolge – weiterhin spitze, selbst wenn die Zuschauerzahlen gegen Darmstadt und Ingolstadt nicht mehr über der magischen Marke von 20.000 Besuchern lagen. Der FCM ist dennoch ein Gewinn für diese Liga, er kommt unheimlich sympathisch rüber in Deutschland. Tenor der Konkurrenz: Es ist einmalig, in Magdeburg Fußball zu spielen. Kallnik: „Gerade dieses Einmaligkeitsgefühl müssen wir uns bewahren. Bei uns ist es egal, ob einer Hartz-IV-Empfänger oder Geschäftsführer ist. Es gibt nur Fans.“

Die Unruhe
Natürlich hat die Trainer-Ablösung bei Dynamo Dresden – Coach Uwe Neuhaus wurde bereits nach zwei Spieltagen und dem Pokal-K.o. gefeuert – die Liga aufgeschreckt und in Unruhe versetzt. Härtel bezeichnete den Schritt „als völlig unverständlich für Außenstehende“. Aber er sei zu weit weg, um das näher beurteilen zu können. In Magdeburg herrsche, so der Trainer, „keine Untergangsstimmung, keine Unruhe“. Er werde seinen Job machen, „solange es die Möglichkeit dazu gibt“. Unumstritten sei aber, dass auch er und sein Team „an Ergebnissen gemessen“ werden.

Die Schiedsrichter
Der Neuling haderte bisher mehrfach mit den Leistungen der Unparteiischen. Zu Recht! Insbesondere in der Ingolstadt-Partie wurden ihnen mehrere erfolgversprechende Situationen abgepfiffen, darunter eine direkt verwandelte Ecke von Nils Butzen. Fouls der Gäste wurden nicht geahndet.  FCM-Lizenzspielerchef Franz: „Das waren klare Fehlentscheidungen. Das darf sich nicht wiederholen.“ Trainer Härtel: „Alle 50:50-Situationen wurden für die Gäste gepfiffen. Uns als Neuling fehlt wohl noch die entsprechende Lobby.“

Das Stadion
Knapp drei Wochen herrscht nach dem Ingolstadt-Spiel bis zur Zweitliga-Flutlicht-Premiere am 17. September gegen Arminia Bielefeld erst einmal Ruhe in der MDCC-Arena. Doch der äußere Eindruck täuscht. Tagtäglich wuseln Arbeiter und Techniker im Stadion, um die für die zweite Liga geforderten Bedingungen zu gewährleisten. „Die letzten Wochen bis zum Saisonstart waren ganz schön heftig, aber wir haben alles Erforderliche sehr gut hinbekommen“, atmet Geschäftsführer Kallnik erleichtert durch. „Es gab keine gravierenden Probleme.“ So musste beispielweise der komplette Medienbereich umgebaut werden. Er wurde von einst 35 Plätzen auf 77 erweitert, samt aller damit verbundenen Umrüstungen.

Bei den im Juni begonnenen Bauarbeiten für die sogenannte statische Ertüchtigung der Tribünen wurde vor dem Saisonstart der erste Teilabschnitt abgeschlossen. Eine Spezialfirma montierte unter dem Gästebereich Stützpfeiler. Sie sollen dafür sorgen, dass dieser Bereich jetzt hüpfsicher ist. Der Umbau der Nordtribüne, wo die Fans des Blocks U ihren Platz haben, soll ab Januar 2019 schrittweise folgen. Aus Sitzplätzen werden dort Stehplätze. Dadurch erhöht sich die Kapazität des Stadions von derzeit rund 25.500 Zuschauern auf 30.000. Anlass zu den Umbauten war das rhythmische Hüpfen der Fans. Dafür, so die Stadt Magdeburg als Eigentümer, sei die Arena aber nie ausgelegt gewesen. Deshalb erging 2016, als sich Risse im Beton zeigten, ein Hüpfverbot, an das sich die Fans bis zum heutigen Tag vorbildlich und strikt gehalten haben. Damit konnte eine Sperrung der Arena verhindert werden. Die MDCC-Arena wird durch die stadteigene Messe- und Veranstaltungsgesellschaft MVGM betrieben und an Spieltagen an den Nutzer 1. FC Magdeburg vermietet.
 
Der Experte
Ex-FCM-Torjäger Joachim Streich hat am Wochenende in einer Kolumne für die „Volksstimme“ den Finger in die Wunde gelegt. „Bis jetzt konnten wir nicht nachweisen, dass wir spielerisch ein besseres Niveau haben als zuletzt in der 3. Liga“, bemängelte der DDR-Rekordnationalspieler. „Im Gegenteil, ich denke, durch den Abgang von Tobias Schwede haben wir viel Klasse verloren. Die linke Seite mit Michel Niemeyer und Schwede war für mich das Beste, was es in der 3. Liga gab. Trainer Härtel muss schnellstens eine Stammformation finden und diese sich einspielen lassen. Er muss den Spielern Vertrauen geben. Das fehlt mir momentan etwas. Und man sieht der Mannschaft auch an, dass da keine Ruhe drin ist, auch die Laufwege oft noch nicht stimmen. Wir suchen gar nicht erst das Spiel.“

Die Transferliste
Bis zum Abschluss der Transferperiode am 31. August ist der FCM bestrebt, zumindest noch einen neuen Spieler zu verpflichten. Im Visier hat man aber zuallererst eine Ergänzung zu Stürmerstar Christian Beck. Der deutsch-polnische Angreifer Mateusz Przybylko, der zu einem Probetraining in Magdeburg weilte, erhielt keinen Vertrag. Härtel sieht in ihm nicht die erhoffte sofortige Verstärkung: „Er war lange verletzt und braucht im physischen Bereich schon noch länger, um auf das Level zu kommen, auf dem er schon war. Was die Spielfitness und Dynamik angeht, ist bei ihm noch Luft nach oben.“ Am 27. August gab der FCM die Verpflichtung des französischen Innenverteidigers Romain Brégerie bekannt. Er wird von Zweitligist FC Ingolstadt ausgeliehen, absolvierte 130 Partien in der 2. Bundesliga und 39 Spiele in der 1. Bundesliga. Rudi Bartlitz

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