Die Angst vor dem Tag, an dem alles vorbei ist

Dominique Schaak mit seinem aktuellen Porsche-Arbeitsgerät in der Motorsport Arena Oschersleben. Foto: Peter Gercke

Dominique Schaak ist Sachsen-Anhalts einziger Profi-Autorennfahrer.  Aber schon seit über zehn Jahren jagt er über Europas Rennstrecken.

Wenn der junge Mann mit dem schwarzen Basecap am Breiten Weg in seinen Privatwagen, einen eher unscheinbaren grauen Citroen DS 3, steigt, vermutet wohl kaum einer der Vorübergehenden, dass er Sachsen-Anhalts einzigen Profi-Autorennfahrer vor sich hat. „Im Straßenverkehr bin ich zurückhaltend, fahre eher defensiv“, räumt Dominique Schaak im Gespräch mit Magdeburg Kompakt ein. „Da versuche ich, wie die meisten, mich an die Regeln zu halten.“ Doch wehe, eine Rennstrecke ist in der Nähe! Dann ist der 27-Jährige aus Wellen in seinem Element. Dann dreht er so richtig auf. „Dieser Adrenalinausstoß“, sagt er, „ gepaart mit Leidenschaft und technischem Fortschritt, das ist das, was mich in meinem Sport antreibt.“

In die Wiege gelegt wurde Schaak die Liebe zum Automobilsport allerdings keineswegs: „In unserer Familie gab es vor mir keinen Motorsportler.“ Es war also reiner Zufall, dass ihn sein Vater Andreas im Alter von acht Jahren einmal mit auf eine Kartbahn nahm. Kaum spürte Klein-Dominique die Kraft des Motors und die vier Räder unter sich, war er nicht mehr zu halten. Plötzlich fuhr das Bürschlein Rundenrekorde. Dies und sein offensichtliches Talent für den Motorsport blieben dem Kartbahn-Besitzer seinerzeit nicht verborgen und er empfahl Vater Schaak, dies zu fördern. Gesagt, getan. Die ersten Erfolge, eingefahren dann für den MSC Oschersleben, ließen nicht lange auf sich warten.

„Eigentlich wie Formel-1-Autos“

Fünf Jahre fuhr Schaak im Kart. Es war auch für ihn jene Schule, die fast alle späteren großen Automobil-Rennfahrer durchliefen. Und da die Erfolge nicht ausblieben, erhielt er die Chance, 2005 als erst 15-Jähriger in den Formelsport zu wechseln. In die Formel Renault, genau gesagt. Schaak: „Die Autos dort sind eigentlich wie Formel-1-Wagen konstruiert, nur verfügen sie über weniger Leistung.“

Es war aber auch jene Zeit, als er erstmals am eigenen Leib spürte, dass Motorsport kein Zuckerschlecken ist, sah, was sich tatsächlich hinter der bunten Welt des Glitzers und der Show verbirgt. Nämlich,  dass hier nach knallharten wirtschaftlichen Regeln gespielt wird. Und die hießen eben: Wenn du in den Formelsport (für Laien: in die richtigen Rennwagen) willst, musst du erst einmal eine Menge Geld mitbringen. Entweder von Sponsoren oder von reichen Eltern. Der Junge aus der Börde verfügte weder über das eine noch das andere. Einfach aufhören, alles hinwerfen – das war für den motorsportverrückten Sachsen-Anhalter keine Alternative. Also hieß die (kostengünstigere) Alternative: Tourenwagensport.

„Von dem Verdienst kannst du nicht leben“

Dort sammelte er von der Pieke auf jahrelang Erfahrungen. Parallel dazu lief eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Gerade die Berufsausbildung kam ihm später in der Zusammenarbeit mit den Rennteams zugute. Schaak: „Wenn die Ingenieure einen Wagen eingestellt hatten und mich mit ihm auf die Piste schickten, konnte ich ihnen meist nach wenigen Runden sagen, was an dem Auto verändert wurde beziehungsweise wo etwas zu verändern ist.“ Sein Talent sprach sich herum, Starts im ADAC Logan Cup und im ADAC Chevrolet Cup folgten.

Wieder waren es finanzielle Gründe, die hochfliegende sportliche Träume stoppten. „Von dem Geld, dass du für die Starts und von Sponsoren erhältst, kannst du kaum leben“, so seine heutige Erkenntnis. Trotz derzeit etwa einem guten Dutzend eigener Sponsoren. Zumal die Saison immer nur von Frühjahr bis Herbst reicht. „Also muss ich sehen, dass ich, quasi wie ein Eisdielen-Besitzer, im Sommer so viel Geld reinhole, dass ich die restliche Zeit damit auskomme.“ Zur Wahrheit gehört aber auch: Ohne Nebenjobs als Fahr-Instruktor und beim Sicherheitstraining würde das kaum gelingen.

„Eine Ich-AG, die sich um alles selbst kümmert“

Schaak sagt von sich, er sei als Rennfahrer ein eigenständiger Unternehmer, „eine Ich-AG, die sich um alles selbst kümmern“ muss. Von der Vermarktung bis zur Steuer, alles. Wirtschaftlich nicht gerade einfacher wird es durch die Tatsache, dass die Renn-Teams, bei denen die Fahrer anheuern, in der Regel nur Einjahresverträge anbieten. „Du musst dich Jahr für Jahr beweisen, ständig die Antennen ausfahren, um zu sehen, welche Möglichkeiten sich bieten.“

Dann verrät er etwas, was Außenseiter zunächst ungläubig den Kopf schütteln lässt. Als Fahrer, erklärt der Pilot, musst du Schäden an deinem Auto aus eigener Tasche zahlen. „Egal, ob du schuld bist oder nicht.“ Aber es gibt doch Versicherungen? Schaak: „Bei einigen Teams schon, aber dort ist die Eigenbeteiligung wiederum so hoch, dass dir die Ohren glühen.“ Nach einer richtigen Karambolage könnten so schnell einmal 10.000 Euro weg sein. „Deshalb überlegt sich der eine oder andere Fahrer zuweilen schon, ob er mit aller Energie in einen Zweikampf reingeht, um am Ende vielleicht ein oder zwei Punkte mehr zu haben – aber auf einem beträchtlichen materiellen Schaden sitzen zu bleiben.“

„Porsche fahren war ein Kindheitstraum“

Beeindrucken lässt sich Schaak von derlei Dingen jedoch nicht: „Dafür liebe ich meinen Beruf einfach zu sehr.“ Welcher Junge bekommt nicht strahlende Augen, wenn er einmal in einem Porsche, Ferrari, Aston Martin oder Audi A8 sitzen darf? Für Schaak ist das Alltag, für ihn sind Luxus-Karossen simple Arbeitsgegenstände. „Für mich war ein Porsche stets ein Kindheitstraum. Wenn ich ihn heute fahre, nehme ich das gar nicht mehr wahr.“

Apropos Kindheitstraum. Wie steht‘s mit eigenen Träumen in der Formel 1? Der junge Mann, das sagt jeder Satz, den er spricht, steht fest auf dem Boden der Realität: „Daran zu denken wäre in meiner Situation utopisch, schon wegen des nötigen Geldes.“ Fügt nach kurzem Nachdenken aber lächelnd hinzu: „Klar, wenn mir jemand 30 Millionen Euro in die Hand geben würde, keine Frage, ich würde es natürlich versuchen.“

„Die Regeln verprellen die Zuschauer“

Nun wird seit einiger Zeit von einer leichten bis mittelschweren Krise gesprochen, in die der internationale Motorsport sich hineinmanövriert habe. Gerade in den beiden Vorzeige-Rennserien Formel 1 und Deutsche Tourenwagen Meisterschaft (DTM). Stichworte dazu: Das zurückgehende Zuschauerinteresse an der Formel 1, der Rückzug von Mercedes aus der DTM und der drohende Ausstieg der ARD aus der Tourenwagenserie. Schaak hat dazu eine klare Meinung: „Ich sehe die Probleme auch. Ich sage, das meiste davon ist hausgemacht. Schuld daran sind vor allem die Funktionäre, die durch teils unverständliche und zu komplizierte Regeln den Zuschauer verprellen. Der Automobilsport muss ein Leistungsvergleich der Fahrer bleiben, die Formel 1 eine WM der Fahrer und nicht der Ingenieure sein. Gelingt es, diese Balance wieder herzustellen, ist mir um den Motorsport generell nicht bange. Das zeigen gerade die vielen Rennen unterhalb von Formel 1 und DTM.“

Gerade dort will Schaak in nächster Zeit weiter kräftig mitmischen. Nachdem er es 2015 in den Deutschen Tourenwagen Cup – so etwas wie die 2. Bundesliga im deutschen Tourenwagensport nach der DTM – geschafft hatte, heuerte  er nun für 2018 beim bayerischen Team Allied Racing an. In der GT-4-European-Series sitzt er im Cockpit eines 385 PS starken Porsche Cayman. Monza, Le Castellet, Silverstone, Zandvoort, Spa-Francorchamps und Nürburgring heißen dann die legendären Strecken, auf denen es um Sieg und Platz geht. Schaak selbst bezeichnet sich dabei als einen Fahrer, der die schwierigen und anspruchsvollen Strecken liebt („je wilder, umso besser“).

„Wellen ist meine ländliche Oase“

Wie beispielsweise die legendäre Kurvenkombination Eau Rouge im belgischen Spa-Francorchamps. Wegen der Höhendifferenz von insgesamt etwa 100 Metern und der zahlreichen Kurven, in denen hohe Fliehkräfte auftreten, trägt die Strecke auch den Beinamen „Ardennen-Achterbahn“. Und, keine Angst vor solchen Achterbahnen? Schaak, der in seiner Karriere bisher von schwerwiegenden Verletzungen verschont geblieben ist: „Angst kenne ich nicht. Wirklich nicht. Angst habe ich nur vor dem Tag, an dem ich keine Rennen mehr fahren kann.“

Seit mehr als zehn Jahren ist der Mann aus der Hohen Börde („Mein Vorbild als Fahrer ist, trotz eines Michael Schumacher, der 1994 verstorbene brasilianische Ex-Weltmeister Ayrton Senna.“) nunmehr regelmäßig auf den europäischen Rennstre-cken unterwegs. Die Sehnsucht nach einem Rückzugsort nach all dem Stress ist nur zu verständlich. „Ich habe mich in Wellen niedergelassen, weil ich hier zwischen den Rennen und all den Reisen die ländliche Ruhe finde. Hier habe ich meine Familie und meine Freundin. Hier kann ich tatsächlich entspannen. Und – von hier ist es nur ein Katzensprung zu meiner Heimstrecke in Oschersleben.“

„Ich trainiere täglich dreieinhalb Stunden“

Doch bei aller Entspannung, Rennfahrer sein bedeutet Hochleistungssport. „Ich trainiere täglich dreieinhalb Stunden“, sagt er. „Auch außerhalb der Saison. Und das sechs Mal in der Woche. Hauptsächlich Joggen und Fitnessstudio, vor allem für die  Nacken- und Rückenmuskulatur. Bei uns wirken unheimliche Fliehkräfte, das ist wie in der Achterbahn.“ Trainiert wird aber auch, um das Gewicht zu halten. Denn Rennfahrer sind vom Kampf gegen die lästigen Kilos fast ebenso betroffen wie Jockeys oder Boxer. „Ideal für mich sind 70 Kilo“, meint Schaak. Und? „Derzeit liege ich ein Kilo drüber, Ziel sind 69 Kilo.“ Vorsichtig sein muss er, der die FCM-Kicker Marius Sowislo und Christian Beck ebenso zu seinen Freunden zählt wie SES-Boxer Dominic Bösel, allerdings bei seinem Hobby Fußball: „Verletzungen sind da nicht auszuschließen, deshalb trete ich kürzer, ich möchte meinen Job nicht aufs Spiel setzen.“

Seit einigen Wochen ist der schnelle Mann aus Wellen (Spitzenspeed: 280 km/h; gefahren in Monza) außerhalb des Jobs noch in anderer Mission unterwegs. „Ich bin jetzt, durch Vermittlung einer meiner Sponsoren, Offizieller Botschafter der Schuhmission“, erläutert er. „Das ist ein gemeinnütziges Projekt zur Sammlung und Wiederverwertung von Kleidern und Schuhen, mit denen Bedürftige unterstützt werden. Wenn die Möglichkeit besteht, sollte man sich neben dem Job auch sozial engagieren.“ Den Job jedenfalls möchte er, wenn keine schwerwiegenden Verletzungen einen Strich durch die Rechnung machen, noch mindestens ein Jahrzehnt ausüben: „Mit Anfang 40 wird wohl langsam Schluss sein.“ Bis dahin gilt weiterhin: Auf der Piste austoben, im Straßenverkehr mit angezogener Handbremse. Bevor sich Schaak auf dem Breiten Weg wieder sanft in den Verkehr einfädelt, noch eine letzte Frage im Stehen: Wie sieht’s denn eigentlich in Flensburg aus? Schaak lacht: „Ein Punkt, ungelogen.“ Rudi Bartlitz

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