Der Streit ums liebe Geld

Die im Dezember 2016 in Magdeburg beschlossene Reform des Hochleistungssports in Deutschland tritt auf der Stelle. Sachsen-Anhalt will die Stagnation im Spitzensport stoppen und ergreift mit ersten Schritten die Initiative.
Als In Magdeburg im Dezember 2016 die Spitzen des deutschen Sports und für die Leibesübungen verantwortliche Politiker zusammenkamen, sollte so etwas wie eine neue Zeitrechnung eingeläutet werden. So war es zumindest gedacht. Spitzensportreform nannte sich die Sache etwas gespreizt, ihr Sinn war es, den international allmählich den Anschluss verlierenden deutschen Athleten neue Power einzuhauchen. Schnöde gesagt: Mehr staatliche Fördermittel herauszuschlagen und die Strukturen des Sports zu verschlanken.
Dass es mit dem deutschen Hochleistungssport und seinen Erfolgen bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften seit der Wende tatsächlich unübersehbar bergab geht, ist ein offenes Geheimnis. Letzter Beleg: die Sommerspiele 2016 in Rio. Die Zahl der bei den Ringe-Spielen gewonnenen Medaillen hat sich seit Barcelona 1992 (82 Medaillen) fast halbiert: In Brasilien hatten deutsche Athleten noch 42 Mal Edelmetall gewonnen. Die Crux: Diese Tendenz war seit über einem Jahrzehnt erkannt, Erfolge brachten die Versuche, gegenzusteuern, aber kaum. Spätestens nach London 2012 warnten die Funktionäre, bei einem „Weiter so“ werde die Bundesrepublik sich aus der Spitzengruppe der erfolgreichsten Nationen endgültig verabschieden. Deutschland hinter China, den Russen den Amerikanern und nun sogar den Engländern.
Doch zehn Monate nach dem Magdeburger Aufbruchstermin bietet sich ein eher betrübliches Bild. Vieles von dem, was in der Elbestadt auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) vereinbart worden war, steht mehr oder weniger weiter nur auf dem Papier. Aus den Fachverbänden hagelte es Kritik an den Werkzeugen, mit denen die Strukturreform umgesetzt werden soll. Athleten, denen nahegelegt wird, in ein Leistungszentrum zu wechseln sowie von einer drohenden Schließung betroffene Stützpunkte wehren sich vehement. Der DOSB wiederum weigert sich hartnäckig, seine Geldverteilung – also die Zuweisung der Fördermittel – von der Politik überwachen zu lassen. Das Verhältnis von Politik und Parlament auf der einen Seite und der Sportführung auf der anderen gilt in Berlin als zerrüttet. Zu einem Zeitpunkt, da die Reform des Spitzensports also mehr oder weniger auf der Stelle tritt – da kommt, ein wenig überraschend schon, aus Sachsen-Anhalt ein Signal, das zumindest Hoffnung aufkeimen lässt. Zusammen mit dem Landessportbund (LSB) legt der zuständige Minister Holger Stahlknecht (CDU) jetzt ein Papier vor, das eben auch dem Hochleistungssport im Land unter die Arme greift. Dessen Förderung, das sei festgehalten, eigentlich seit Jahr und Tag ureigenste Sache der nationalen Fachverbände (und damit des Bundes) ist.
Über 800.000 Euro pro Jahr will sich das Land diese zusätzlichen Maßnahmen kosten lassen. So ist vorgesehen, in den vier Schwerpunktsportarten Sachsen-Anhalts (Leichtathletik, Schwimmen, Kanu, Rudern) von 2018 an je einen hauptamtlichen Stützpunktleiter einzusetzen. Dadurch sollen die Trainer von vielen (bürokratischen) Tätigkeiten entlastet werden und sich noch intensiver mit ihren Athleten beschäftigen können. Das sogenannte pädagogische Leistungssportpersonal wird ab 2020 in den im Land bestehenden Trainerpool eingegliedert (400.000 Euro sind dafür veranschlagt). Für die Trainer selbst soll „Attraktivitätsprogramm“ zusätzlichen finanziellen Anreiz bilden (100.000 Euro). Für junge Leistungssportler aus Sachsen-Anhat soll an den Universitäten und Hochschulen ein eigenes Sportstipendium eingeführt werden. Nach dem Vorbild des US-amerikanischen College-Systems werden dabei pro Jahr 15 Athleten mit je 400 Euro monatlich gefördert. Und schließlich erklärt sich das Land bereit, ein Drittel der Kosten zu übernehmen, die sich ab 2019 durch einen Rückgang der Bundesfinanzierung für kommunale Sportstätten ergeben.
Dass alle Schritte, die jetzt ergriffen werden, einen langen Atem benötigen, darüber ist sich Stahlknecht klar. „Das kann zehn oder vielleicht sogar 15 Jahre dauern“, erklärte er bei der Präsentation seines Programms. Aber jetzt zu handeln und nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen, dies sei dringend geboten. Spätestens die Resultate von London (2012) und Rio (2016) haben ihn alarmiert. In der englischen Metropole hatte es einmal Bronze für Sachsen-Anhalt gegeben, vier Jahre später einmal Gold und einmal Bronze. Rio, so der Minister, habe „ein nicht zufriedenstellendes Ergebnis“ gebracht. Zumal dann, wenn man sich einmal anschaue, wo Sachsen-Anhalts Spitzensport „einmal hergekommen ist“. Deshalb wurde im November 2016 eine Arbeitsgruppe Spitzensport gebildet, in der neben Stahlknecht selbst Vertreter des LSB, des Olympiastützpunktes, des Bildungsministeriums, der führenden Klubs des Landes (SV Halle, SC Magdeburg) sowie Trainer und ehemalige Aktive wie Ex-Schwimmweltmeister Paul Biedermann saßen.
Vor Kritik scheute die Arbeitsgruppe nicht zurück. In der Vorbereitung auf Rio, so der Minister, seien „massive trainingswissenschaftliche Fehler“ begangen worden. Nur ein Beispiel: Die Schwimmer begaben sich kurz vor den Spielen in ein fünftägiges Schlaflabor. „Das“, sagte Stahlknecht, „hätte man am Anfang des Olympiazyklus tun sollen“. Weiter: Die am Olympia-stützpunkt vorliegenden trainingswissenschaftlichen Erkenntnisse hätten „nicht immer mit den Erfahrungen der Trainer zusammengelegen“. Deren Vergütung sei zudem „nicht zufriedenstellend“.
Stahlknecht verbindet das Bekenntnis Sachsen-Anhalts zum Leistungssport mit einem deutlichen Bekenntnis zu den Eliten: „Das Land braucht Eliten. Sie sind nichts Unanständiges.“ Deshalb müsse auch der Forderungskatalog für die Eliteschulen des Sports im Lande überarbeitet werden. Was übersetzt so viel heißt wie: Die Eliteschulen in Magdeburg und Halle sollten denjenigen vorbehalten sein, die auch tatsächlich Leistungssport betreiben. Andere gehören dort nicht hin.
Es ist mit Händen zu greifen: Natürlich ist es nicht einfach, jetzt im Leistungssport binnen kurzer Zeit das aufzuholen, was über zwei Jahrzehnte versäumt wurde. Aber allein die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann, ist löblich. Da waren noch vor kurzem, und sind es immer noch, ganz andere Stimmen zu hören. „Wir sind inzwischen ziemlich weit unten angelangt“, meinte denn auch LSB-Präsident Andreas Silbersack. „Aber wir sind fest entschlossen, jetzt das Ruder herumzuwerfen.“ In Richtung Leistungssport zeige das Land „klare Kante“, freut er sich. Der Anwalt aus Halle, der zurzeit der Konferenz der deutschen Sportminister vorsteht, sieht in dem jetzigen Schritt sogar eine „Signalwirkung für andere Bundesländer“. In Fragen Struktur und Finanzen habe das Land inzwischen sogar „eine Vorreiterrolle“.
Gemach, gemach, möchte man da rufen. Denn Fakt ist: Selbst wenn das kleine Sachsen-Anhalt in gewisser Weise eine Schrittmacherrolle einnehmen sollte, noch herrscht zwischen Nordsee und Alpen eine große Uneinigkeit darüber, wie die angestrebten Veränderungen herbeigeführt werden sollen. Ein dazu geschaffenes Computer-Modell „Potas“ (Potential-Analysesystem) soll die Basis für die Einstufung von 130 Disziplingruppen ins staatliche Fördersystem bilden. Wer also Goldmedaillen verspricht, wird demnach optimal unterstützt (Gruppe 1), wer keine Aussicht auf Erfolg bei Olympischen Spielen hat, verliert den Anspruch auf Staatshilfe (Gruppe 3). Dass ein mathematisches Modell quasi die Förderbescheide ausreicht, dagegen laufen Verbände und Athleten von Anfang an Sturm.
„Potas“ sei Wunsch des Innenministeriums gewesen, stellte DOSB-Präsident Alfons Hörmann klar. Die Verbände hätten es letztlich zähneknirschend akzeptiert. Mit „Potas“ als mathematischer Grundlage für das Strukturgespräch habe der Sport kein Problem. „Wenn der Computer aber Förderbescheide ausdrucken sollte, wäre das für uns alle inakzeptabel.“ Der Kern des Streits zwischen Sport und Politik ist, dass „Potas“, das Rückgrat der Spitzensport-Reform, verhindern soll, dass der Sport die Fördermittel nach Gutdünken verteilt. Der Sport wiederum pocht auf seine Autonomie und seine sportfachliche Kompetenz. Auslöser all der Kontroversen war, als zu Jahresbeginn der für die Leibesübungen zuständige Innenminister Thomas de Maiziere die Strukturen im deutschen Sport offen kritisiert und schlankweg 30 Prozent mehr Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gefordert hatte. Das daraufhin von Politik und Sportführung aufgestellte und in Magdeburg abgesegnete neue Goldschürfer-Programm soll Schluss machen mit dem Gießkannen-Prinzip, nach dem die Förderung hierzulande bisher funktionierte. Künftig sollen nicht mehr Ergebnisse der Vergangenheit, sondern das Potenzial der Zukunft im Mittelpunkt stehen.
Dafür, so die eindeutige Position des Sports, benötige man allerdings mehr Geld. Von zusätzlich knapp 40 Millionen Euro jährlich war die Rede; knapp 170 Millionen Euro fließen derzeit an Bundesmitteln in den Hochleistungssport. De Maiziere will das Geld nicht ohne Bedingungen zahlen. „Wenn es um die Förderung von Spitzensport geht,“ stellte er klar, „wir geben ja viel Geld aus dafür, müssen die gleichen Maßstäbe gelten wie bei der Förderung von anderen Spitzenleistungen in der Gesellschaft.“ Diesen Vergleich aber scheue der Sport „wie der Teufel das Weihwasser“.
Aus dem Hause von Finanzminister Wolfgang Schäuble kamen denn auch schlechte Nachrichten: 31 der vom Innenministerium zusätzlich beantragten 39 Millionen Euro wurden nicht genehmigt. Und aus den verbleibenden acht Millionen würde auch noch ein erheblicher Teil für die Förderung der neuen zum olympischen Programm gestoßenen Trendsportarten draufgehen.
In den Verbänden herrscht Verunsicherung: Wie soll es weitergehen? Können Trainer angestellt, Stützpunkte weiter betrieben werden? Wie soll die Vorbereitung auf die nächste Saison aussehen? Die Sportführung bleibt dabei: Man erwarte mehr Geld, sagte Hörmann Ende September noch einmal. Die Reform sei nicht umsetzbar, „wenn nicht nennenswert mehr Geld zur Verfügung gestellt“ werde. Davon dürfte Sachsen-Anhalt nicht ausgenommen sein – trotz aller Hilfestellung und allem (finanziellen) Entgegenkommen der Landesregierung. Rudi Bartlitz

Zurück