Debüt mit Fauxpas
Magdeburgs Ex-Box-Weltmeister Robert Stieglitz hat nach dem Karriereende jetzt eine Trainerlaufbahn eingeschlagen. In Halle gab er bei seinem SES-Team ein erfolgreiches Debüt als Coach.
Für einen Augenblick wirkte Robert Stieglitz so, als habe er ein wenig die Orientierung verloren. Der Blick des Ex-Box-Weltmeisters, beobachtet von einem halben Dutzend Kameras, ging unsicher nach rechts, nach links. Bin ich denn hier, schien er zu fragen, in der richtigen Ecke? War er nicht. Dabei ist ein Seilgeviert für den 36-jährigen Magdeburger nun wahrlich nichts Neues, schon gar nichts Unvertrautes. Doch als er am vergangenen Sonnabend in Halle sein Debüt als Trainer gab, war eben auch für einen ausgebufften Faustkampf-Profi wie ihn vieles Neuland. „Keinen Kommentar, bitte“ meinte er hinterher lachend zu seiner vergeblichen Platzsuche in der neutralen Ecke. „Eigentlich wollte ich ganz cool sein, habe dann aber vor dem ersten Gong richtig geschwitzt, das ist mir bei meinen eigenen Kämpfen nie passiert. Also, ein bisschen komisch war mir schon.“
Doch die Aufregung des Trainer-Novizen sollte sich recht schnell legen. Ruhig und mit wachem Auge verfolgte er in der Ecke die Aktionen seines Schützlings Roman Fress oben im Ring, seine Ansprachen in den Pausen wirkten schon sehr abgeklärt. Dabei wollte es der Zufall, dass auch Fress in der halleschen Erdgas-Sportarena sein Debüt als Berufsboxer gab. Stieglitz zeigte sich von der Leistung des 23-jährigen Cruisergewichtlers, der im Dezember 2017 aus dem rheinischen Troisdorf in den Magdeburger Profistall SES gewechselt war, nach dessen Premieren-Sieg ziemlich angetan: „Er besitzt eine sehr gute boxerische Ausbildung, startete trotz seiner Jugend als Amateur schon bei Welt- und Europameisterschaften. Seine Führhand ist blendend, jetzt müssen wir vor allem an Ausdauer, Schlagstärke und körperlicher Robustheit weiter arbeiten.“
Und es ist noch etwas, was Trainer und Sportler miteinander verbindet: Beide besitzen russische Wurzeln. Als Sergey Shtikhlits war der heutige Coach im Jahr 2000 aus Jeisk (Region Krasnodar) als Russlanddeutscher in die Heimat seiner im 18. Jahrhundert ausgewanderten Vorvorfahren zurückgekehrt. In der 16-jährigen Laufbahn als Berufsboxer stand der äußerst bodenständige und allzeit bescheidene Stieglitz 57 Mal im Ring, wurde zweimal Weltmeister und bestritt insgesamt 13 WM-Kämpfe. Seit 2009 besitzt er den deutschen Pass. Fress – der verheiratet ist, eine kleine Tochter hat und bei Mercedes Benz eine Ausbildung als Logistiker durchlief – kam hingegen bereits im Alter von einem halben Jahr mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Deutschland. Stieglitz schmunzelnd: „Er hat einen großen Vorteil mir gegenüber: Sein Deutsch ist nahezu perfekt, auf jeden Fall besser als sein Russisch.“
Seinen ersten Schützling durfte sich Stieglitz quasi selbst mit aussuchen. „SES-Geschäftsführer Ulf Steinforth, bei dem ich seit Dezember 2017 einen Vertrag als Trainer habe, hat mir eine Liste mit Namen vielversprechender junger Sportler in die Hand gedrückt. Die habe ich mir dann einen nach dem anderen angeschaut und mich für Roman entschieden.“ Auch wenn das neue SES-Duo sportlich natürlich hoch hinaus will, legt der Coach viel Wert auf Bodenhaftung: „Einiges muss Roman schon noch lernen. Lass uns erst einmal zehn Kämpfe abwarten.“ Das sieht Fress ebenso: „Freilich träumt jeder Boxer von einem Titelkampf, aber zwei, drei Jahre, vielleicht auch vier, werde ich auf diesem Weg schon benötigen. Selbst wenn ich mit Robert Stieglitz einen Supertrainer an meiner Seite habe.“ Um dann in der Euphorie seines ersten K.o.-Erfolgs hinzuzufügen: „Er war als Aktiver Weltmeister, er wird auch als Trainer einmal Weltmeister sein. “
Nach dem Abschied aus dem Ring im Mai 2017 ließ sich Stieglitz, dessen Freundin Anna ihn im März zum dritten Mal zum Vater machen wird (Sohn Oskar ist elf, Tochter Valeria kam im Sommer 2016 zur Welt), ein wenig Zeit mit der Entscheidung, wohin ihn sein weiterer Weg führen soll. Die Zukunftspläne des Mannes, der von sich sagt, ein großes Boxtalent sei er nie gewesen, er habe sich vielmehr alles von Grund auf erarbeiten müssen, bewegten sich immer zwischen zwei Polen: Trainer und Immobilien. Promoter Steinforth hatte immer wieder betont: „Wenn Robert will, bei uns stehen für ihn, der über lange Zeit das Gesicht von SES geprägt hat, jederzeit die Türen offen.“
Jetzt nun ist Stieglitz durch diese Tür gegangen. „Natürlich hätte ich von meinen Immobiliengeschäften durchaus gut leben können“, räumte er im Gespräch mit Magdeburg Kompakt ein. „Dafür hätte ich nicht einmal allzu viel tun müssen. Aber das ist nicht meine Art zu leben. Ich brauche Beschäftigung, Aufgaben. Da ist der Trainerjob genau das Richtige, zumal ich 2009 noch in Russland ein Sport-Fernstudium abgeschlossen habe. Und noch etwas: Bei SES zu sein, das war und ist mir stets eine Herzensangelegenheit.“ Zumal er an seiner Heimatstadt Magdeburg geradezu magisch hängt: „Hier kriegt mich keiner mehr weg.“
Und wie sieht SES-Cheftrainer Dirk Dzemski das Ganze? „Ich freue mich, dass Robert, den ich ja über Jahre selbst trainiert habe, sich so entschieden hat. Er hat jetzt seinen eigenen Boxer, kann mir dennoch viel unter die Arme greifen – und tut das auch. Konkurrenz gibt es unter uns nicht. Wir sind Freunde, das bleibt auch.“ Als Coach beschreibt ihn Dzemski so: „Robert ist ein lustiger Bursche, das wissen alle. Bis zu einem gewissen Punkt. Wenn er nicht zufrieden ist, kann er, das glauben viele gar nicht, sehr streng und sehr resolut sein. Man muss dann nur auf seine Mundwinkel schauen …“ Ansonsten ähnele der Trainer Stieglitz dem Boxer Stieglitz doch sehr: „Er zieht sein Ding durch: zielgerichtet, zielstrebig, fokussiert.“
Das Schöne für künftige Stieglitz-Schützlinge (neben Fress sollen später noch drei, vier andere Sportler hinzukommen): Ihr Trainer kann ihnen noch alles selbst vormachen. „Außer beim Sparring bin ich überall noch voll dabei“, freut er sich. Die Augen des Coachs blitzen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es im SES-Gym ohnehin: Im Ausdauerbereich wird er seine Sportler noch auf längere Zeit in Grund und Boden laufen. Nur eines scheint ausgeschlossen – ein Comeback im Ring, wie es heutzutage in der Branche stark in Mode gekommen ist. Das soll es für den Boxer Robert Stieglitz, sagt er, nicht geben. Da will er konsequent sein. Sehr konsequent sogar. Rudi Bartlitz