Blickpunkt Magdeburg
Handball steht in der Landeshauptstadt im Fokus. In Europa sieht die Sportart jedoch einer gefährlichen Entwicklung entgegen.
Auf Magdeburg ist am Wochenende der Fokus des deutschen Handballs gerichtet. In einer Doppelveranstaltung, die es so hier seit der Wende noch nie gab, präsentieren sich am Sonnabend die Nationalteams der Frauen (gegen die Niederlande) und der Männer (gegen Spanien). Für die „Ladies“, die von Ex-SCM-Coach Michael Biegler trainiert werden, ist es einer der letzten Tests vor der Heim-WM im Dezember. Beim Weltturnier wird auch die Getec-Arena Schauplatz sein. Gleich zehn Partien werden hier ausgetragen, darunter – eine entsprechende Qualifikation vorausgesetzt – auch eine Achtelfinalpartie der Deutschen (10. Dezember).
Bei den Männern liegt der Höhepunkt einen Monat später: Im Januar 2018 treffen sich die bes-ten Teams des Kontinents in Kroatien zur Europameisterschaft. Dort kann der in der Vergangenheit recht seltene Fall eintreten, dass das Event ohne einen deutschen Nationalspieler vom SC Magdeburg über die Bühne geht. Für den Magdeburg-Test jedenfalls hat Neu-Nationalcoach Christian Prokop erst gar keinen SCM-Akteur berufen, dafür mit Finn Lemke (jetzt Melsungen) und Tim Hornke (Lemgo) zwei Ex-Grün-Rote. Für einen wie Linksaußen Matthias Musche, so ließ der Coach verlauten, sei die Tür für Kroatien aber „keineswegs endgültig verschlossen“. An SCM-Spielern wird es beim Turnier auf dem Balkan dennoch nicht mangeln: In den 16 qualifizierten Teams könnten im Idealfall acht Magdeburger stehen.
In der derzeitigen Länderspielpause besteht – nachdem ein knappes Drittel der Liga-Begegnungen absolviert ist – für die Klubs Gelegenheit, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. In einer Saison, in der es anfangs an der Spitze drunter und drüber ging und plötzlich fünf, sechs Teams für den Titel in Frage zu kommen schienen. Festzuhalten bleibt auf jeden Fall: Die Ausgeglichenheit hat zugenommen, und die ansonsten überragenden Nordklubs Kiel und Flensburg büßten etwas von ihrer Dominanz ein. Vor allem das Vorzeigeteam aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt hat auf seinem Konto bereits neun Minuspunkte stehen! Eben jener THW, dem noch vor einem halben Dutzend Jahren das Kunststück gelungen war, eine gesamte Saison ungeschlagen zu bleiben.
Und der SCM? Platz sechs scheint, von der reinen Platzierung her, nicht zu Jubelstürmen hinzureißen. Aber wie gesagt, es liegt alles enger beisammen als sonst. Auf Rang drei haben die Wiegert-Schützlinge, die vor Saisonbeginn von einigen Experten als Mitfavorit genannt wurden, nur einen Rückstand von drei Minuspunkten. Sie gehören, auch da sind sich die Experten einig, zweifellos wieder zu den Spitzenteams der Liga. Selbst wenn es gegen Kiel, Berlin, Hannover und Melsungen Niederlagen hagelte.
Nicht zu übersehen bleibt: Die Abwehr verkörpert noch nicht jenes Bollwerk, das sich Wiegert vorstellt. 28 Gegentreffer im Schnitt pro Begegnung sind für diesen Anspruch einfach zu viel, selbst wenn man im Gegenzug mit 345 Toren bisher die meisten Treffer aller 18 Bundesligisten erzielte. Der Weggang von Abwehrspezialisten wie Lemke, Bagersted und van Olphen konnte noch nicht adäquat kompensiert werden. Ebenso wenig zufriedenstellend fällt ein Vergleich zwischen Heim- und Auswärtstabelle aus: Daheim ist der SCM zweitbestes Team, auswärts sprang bisher ein bescheidener zwölfter Rang heraus – mit nur mageren zwei Punkten, geholt beim Tabellenletzten Lübbecke. Wenn es im Frühsommer 2018 also dazu reichen soll, sich wieder für einen europäischen Wettbewerb zu qualifizieren oder – die allgegenwärtige Unbeständigkeit an der Spitze in Rechnung stellend – am Ende sogar die Champions League, diesen Herzenswunsch der Fans, ins Visier zu nehmen, dann muss noch einiger Schweiß in den Trainingseinheiten fließen.
Zumal die Champions League für die Magdeburger in Zukunft noch weiter wegrücken könnte. Denn die jüngsten Beschlüsse des europäischen Verbandes (EHF) sehen vor, dass ab 2020 nur noch zwölf Landesmeister in der Königsklasse antreten können. Hinzu kommen vier weitere Mannschaften aus vier führenden Ligen. Für die deutschen Topvereine bedeutet dies vermutlich min- destens einen Startplatz weniger. Vom Terminstress und weiteren Belastungen für die Aktiven ganz zu schweigen. Bis zum Triumph in der Königsklasse müssen die Vereine 26 Spiele absolvieren – sechs mehr als bisher. Später sollen weitere zusätzliche Spiele folgen. „Schon gegenwärtig ist die Unterbringung von sechs weiteren Spielen nicht möglich", sagt Frank Bohmann, Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL).
Unterhalb der Königsklasse wird eine European Handball League mit 24 Teams eingeführt. „Mit diesen Änderungen wird die EHF in der Lage sein, ein umfassendes ganzjähriges Angebot von sportlichen Highlights anzubieten, das die Fans fasziniert", behauptet EHF-Präsident Michael Wiederer. Fasziniert? Meint der Mann das ernst? Man greift sich an den Kopf: Sie lernen es einfach nicht! Mehr fällt dem neutralen Betrachter angesichts dieser Spiele-Wut und dem Auspressen des Handballs wahrlich nicht mehr ein. Rudi Bartlitz