„Arme Schweinchen“ am Tonschacht
Die Magdeburger Poor Pigs sind der einzige Baseball-Verein des Landes. Hier triumphiert Freude am Spiel über sportliche Ziele.
Für Sportvereine wurden ja schon die irrwitzigsten Namen gefunden. Wie etwa FC Santa Claus in Finnland, Kiffen 08 in Schweden und Ravioli Mailand. Oder die einstigen DDR-Hits Aktivist Schwarze Pumpe und Rotes Banner Trinwillershagen. Doch „arme Schweine“ – wer nennt sich denn so? Selbst wenn es sich, wie im Fall des Magdeburger Baseball-Teams Poor Pigs, tatsächlich um eine echte Nischensportart handelt. Aus einer Schnapsrunde heraus, die irgendwann aus dem Ruder gelaufen war, wurde der Name jedenfalls nicht gewählt. Bleibt die Frage: angelsächsisches Understatement oder eher coole Selbstironie?
„Es gehört in unserer Sportart irgendwie dazu, sich einen originellen Namen zu wählen“, erzählt Vereinspräsident Thomas Rochel. „Als wir uns Mitte der neunziger Jahre zusammenfanden, waren es vor allem Studenten, die sich in dieser amerikanischen Sportart versuchten. Wir hatten anfangs null Ahnung von den Regeln, keine richtige Ausrüstung, kein Geld. Wir waren im wahrsten Sinne des Wortes arme Schweine. Und dann kam jemand auf die Idee: Warum nennen wir uns nicht so?!“
Gesagt, getan. Inzwischen ist das Logo mit dem Schläger schwingenden Schweinchen nicht nur Insidern und nicht nur in Magdeburg bekannt. Wer sich einmal auf der Sportanlage der Pigs am Westerhüsener Tonschacht umschaut, merkt schnell, dass aus dem einstigen reinen Uni-Sport eine Sache für die ganze Familie geworden ist. Auf dem in den letzten Jahren herausgeputzten Platz (Rochel: „Darum beneidet uns sogar mancher Bundesligist.“) tummeln sich neben den Männern auch Frauen und Kinder. 54 Mitglieder zählt der Verein heute. Der Jüngste ist der Sohn des Präsidenten (vier Jahre), die Ältesten sind Mitte fünfzig. Neben dem Baseball wird für Frauen das Pendant zum Baseball, der Softball, angeboten.
„Natürlich machen wir uns keine Illusion, jemals aus dem Nischen-Dasein herauszukommen“, bekennt Rochel ehrlich. „Wir sind eine typisch uneuropäische Sportart. Es fehlen die historischen Wurzeln. Für Fernsehen und die anderen Medien wie auch für die meisten Sponsoren sind wir, auch auf Grund der auf den ersten Blick komplizierten Regeln, einfach nicht attraktiv genug. Wir werden eine Randsportart bleiben. Damit müssen wir leben, und damit leben wir auch.“
Sportlich läuft es für den derzeit einzigen aktiven Baseball-Klub Sachsen-Anhalts in diesem Jahr wesentlich besser als 2016. Da bekam den Pigs der Höhenflug in die Regionalliga, die dritthöchste deutsche Spielklasse, überhaupt nicht – zwei Siege und 26 Niederlagen wirkten am Ende doch ein wenig ernüchternd. „Jetzt spielen wir wieder in der Mitteldeutschen Liga und da haben wir sogar die Playoffs erreicht“, freut sich der Bauingenieur.
Dennoch, allzu ehrgeizige Ziele verfolgt man an der Holsteiner Straße nicht. „Wir wollen nicht auf Teufel komm raus wieder aufsteigen“, sagt der 43-Jährige. „Was uns anzieht, ist wirklich die Freude am Sport. Die Freude an der gemeinsamen Geselligkeit, auch am Grillen, am Barbecue.“ Baseball, das schätzen die Mitglieder, kann bis ins reife Alter betrieben werden. Da sind nicht immer ein athletischer Körper und Kondition für einen Marathon gefragt, Geschicklichkeit und ein gutes Auge tun es oft auch.
Weil Baseball in Magdeburg, wie auch anderswo in Deutschland, ein Sport ist, der zu einem großen Teil von Studenten betrieben wird und somit einer relativ großen Fluktuation unterliegt, legt man am Tonschacht großes Augenmerk darauf, selbst junge Spieler zu entwickeln. Ein eigenes Kinderteam der Pigs, dessen Mitglieder zwischen vier und sieben Jahre alt sind, übt schon fleißig. „Wir gehen in die Schulen, bieten Projektwochen an“, erläutert Rochel. „Unser Sport schult vor allem motorische Fähigkeiten wie die Koordination von Hand und Auge. Zudem ist es gar nicht so einfach, mit einem runden Schläger einen in hoher Geschwindigkeit heranfliegenden Ball, die Profis in der US-Liga erreichen bis zu 160 Stundenkilometer, zu treffen.“
Apropos Ball und Schläger. Gespielt wird mit einem von einer Lederhaut umgebenen Ball, der etwa so groß ist wie ein Tennisball, aber ein Stück schwerer. Der Schläger besteht aus Holz oder Aluminium. „Wenn man noch den Fanghandschuh und bei den Männern einen Tiefschutz hinzunimmt, wäre die Ausrüstung nahezu komplett“, so Rochel. Aber geht das nicht ein wenig ins Geld? „Das ist überschaubar“, meint der Präsident. Ein Schläger aus Holz koste zwischen 30 und 50 Euro, ein Handschuh zwischen 30 und 35 Euro. Zumal der Verein auch einen Teil des Outfits stelle.
In den nächsten Wochen wird es an der topgepflegten und teils von einem hohen grünen Wall umgegebenen Anlage am Tonschacht, den die Baseballer sich mit den Fußballern von Lok Südost teilen, noch heimeliger werden. Dann steht das von der Stadt umfassend renovierte Sozialgebäude wieder zur Verfügung, nachdem 2010 erst der 2.000 Zuschauer fassende Sportkomplex zu einem Schmuckkästchen umgebaut worden war. Wo steht eigentlich geschrieben, dass selbst ein armes Schweinchen nicht irgendwann zum Glücksschwein mutieren kann? Rudi Bartlitz