Woran wir alle leiden

Übers Kranksein gibt’s viele Sprüche: „Die beste Krankheit taugt nichts“ oder „Ein gesunder Mensch ist auch nur ein Mensch, der nicht gründlich genug untersucht wurde“. Kein Selbsttröstungspruch hilft gegen ein Gebrechen. Aber wir Menschen sind halt Ausdruckswesen, die ihr Inneres stets und ständig anderen mitteilen wollen. Das gehört zu unserer Natur. Auch das Krankwerden, genauso wie das Gesunden. Gäbe es die Heilkräfte unseres Organismus nicht, wäre jede Krankheit ein Todesurteil. Und wir könnten nicht drüber reden.

Im Verlauf des Lebens bleibt ja niemand von Krankheit verschont. Deshalb können auch alle mitreden. Ich bin jetzt in diesem Alter, in denen sich die Tagesgespräche häufiger um die kleinen und großen Gebrechen, über die Erfahrungen mit diesem Arzt oder jener Ärztin drehen oder gar über die Erlebnisse während eines Krankenhausbesuches. Früher – also im zarten Alter von 15 bis 25 – da tauschten wir uns über die besten Actionfilme und  neuesten Songs von AC/DC aus. Das Leben macht echte Experten aus uns. Erst sind wir Musik- und Filmkenner, dann Berufsspezialisten und mit den Jahren werden wir Leidensexperten. Einige bringen es mit ihrem persönlichen Fachwissen gar so weit, da könnte sich manch Mediziner eine Scheibe abschneiden.

Mit zunehmenden Lebensjahren lernt man eine Menge. Heute bekommt sogar der alte Spruch des römischen Philosophen Seneca eine völlig neue Bedeutung. Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir, so soll es der Gelehrte geschrieben haben. In Wahrheit geht der Satz inhaltlich umgekehrt. Aber egal, Selbsttäuschung ist auch eine Krankheit, vielleicht die einzig gute. Nun sind wir also Schüler im Umgang mit der Gebrechlichkeit unseres Wesens. Ich habe aber so meine Zweifel, ob die Leidensberichte wirklich einen positiven Effekt haben. In jungen Jahren hat Austausch viel mit Wissenszuwachs zu tun. Ob das mit Erfahrungen über Krankheiten auch so ist? Also, wenn es um neue wissenschaftliche Erkenntnisse geht, vielleicht. Wenn derartiges geschrieben steht oder im TV berichtet wird, dauert es meistens noch Jahre bis aus Forschung medizinische Wirklichkeit wird. Egal, ich klage nicht. Schließlich sind die Ärzte heute um ein Vielfaches im Wissen über Behandlungsmöglichkeiten weiter als zu Zeiten meiner Großmutter. Die besprach ihre Warzen noch und legte Zwiebeln drauf. Nicht, dass ich etwas gegen Naturheilverfahren hätte. Immer her damit. Aber gegen ein Virus oder eine kaputte Hüfte ist leider kein Kraut gewachsen.

Ich meine, wenn das Reden über eine Krankheit hilft, soll man es machen. Die Angst vor weiterer Beeinträchtigung oder gar vor dem Tod wird nicht besser, wenn sie nur Schleifen im eigenen Hirn macht. Dennoch glaube ich, dass eine Menge Mist bei der ganzen Quatscherei herauskommt. Dass immer alles ganz schlecht ist, die Medizin, die Krankenhäuser, die bösen Ärzte, die nicht helfen können oder wollen. Überhaupt ist das Gesundheitssystem an allem schuld und damit natürlich die Politik. Als wären Politiker Heiler. Dass mir ein Leben lang ärztlich geholfen wurde – bei Fieber, Schnupfen, Magenbeschwerden, Armbruch und Gallenleiden – darüber rede ich gern. Das sollte man bei allem Schmerz nicht vergessen. Aber worüber schreibe ich hier? Ist auch nur Geschwätz über Krankheiten, die nichts taugen. Ständig über’s Leid zu reden, bringt nichts und sich darüber zu beklagen, dass die anderen immer über ihre Gebrechen sprechen, bringt auch nichts. Das Leben und sein Verlauf ist ein Leiden, an dem wir alle leiden. Axel Römer

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