Magdeburger Forscher hilft Menschen mit Sehdefiziten

Das Team des Magdeburger Savir-Zenrums mit Prof. Dr. Bernhard Sabel. Foto: Savir-Zentrum

Menschen schwärmen von Magdeburg in die Welt aus, reisen in die USA oder in andere europäische Länder, um dort an namhaften Universitäten zu studieren, um sich über jüngste Forschungsergebnisse zu informieren und an neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen zu partizipieren. Fortschritt lebt vom Wissenstransfer. Vor allem in der Medizin ist es wichtig, dass neue Therapiemöglichkeiten, die Patienten Heilung oder zumindest Linderung versprechen, zügig zum Einsatz kommen können. Aber es kann auch umgekehrt funktionieren. So schauen Mediziner, die sich mit Sehverlusten beschäftigen, auf die Arbeit von Prof. Dr. Bernhard Sabel. Der gebürtige Trierer studierte zunächst Psychologie an der Universität Trier und später Psychobiologie an der Clark University in Worchester (Massachusetts) sowie außerdem Physiologische Psychologie an der Universität Düsseldorf. 1984 promovierte er und begann nach Forschungsaufenthalten in den USA am Massachusetts Institute of Technology eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit über 30 Jahren untersucht Bernhard Sabel Behandlungsmöglichkeiten bei Sehbehinderungen durch Aktivierung und Rehabilitation von Restsehleistungen. 1992 folgt er dem Ruf an die Otto.-v.-Guericke Universität Magdeburg und gründete hier das Institut für Medizinische Psychologie mit einem Forschungslabor für visuelle Restitution.

Hier wendete er erstmals die aus Tierstudien gewonnenen Erkenntnisse auf Patienten an, die aufgrund von optischer Neuropathie, Glaukom oder Schlaganfall an einem Sehverlust litten. Mittlerweile gilt Prof. Sabel mit seinen Forschungsarbeiten als Koryphäe auf dem Gebiet therapeutischer Möglichkeiten der Gesichtsfeldverbesserungen. Im von ihm gegründeten „SAVIR Vision Restoration Center“ mit Sitz im Magdeburger Ulrichshaus behandelt er Patienten aus der ganzen Welt mit seiner aus der Forschungsarbeit abgeleiteten „SAVIR-Wechselstrom-Stimulation“ zur Aktivierung des Restsehvermögens. „Unsere Patienten kommen aus Asien, arabischen Staaten, Afrika, den USA und anderen EU-Ländern nach Magdeburg“, sagt Kornelia Sabel. Die Ehefrau des Wissenschaftlers arbeitet als Geschäftsführerin im Therapiezentrum.

Doch worum geht es eigentlich innerhalb der so beachteten Behandlungsmethodik? Bisher galt der Verlust von Sehvermögen bei Schäden am Sehnerv, der Netzhaut oder des Gehirns als irreversibel. Die neuartige Wechselstromtherapie kann aber aus dem Potenzial des Restsehvermögens erstaunliche Verbesserungseffekte erzeugen. „Das Gehirn kann sich, dank seiner enormen Veränderlichkeit – der neuronalen Plastizität – an Sehverluste anpassen“, erklärt Prof. Bernhard Sabel. Es handele sich bei den Theapiemöglichkeiten vor allem um Sehnervschädigungen, die zu einem eingeschränkten Gesichtsfeld führen können, aber auch Schäden der Retina und des Gehirns würden eine ähnliche Wirkung zeigen. Therapeutische Erfolge stellen sich bei Patienten ein, die selten vollständig erblindet sind. Diese verfügen in der Regel über eine mehr oder weniger stark vorhandene Restsehfähigkeit. „Diese Restsehfähigkeit gilt es optimal zu aktivieren. Mit unserem Wechselstrom-Verfahren werden die noch vorhandenen Informationen aus dem geschädigten Sehnerv vom Gehirn besser interpretiert und verarbeitet. Dem Gehirn kommt dabei die Rolle eines Verstärkers zu. Indem die ankommenden Impulse verstärkt werden, verbessert sich die Sehkraft des Patienten“, so Prof. Dr. Sabel.

Das Verfahren unterstützt die Aktivierung von Hirnarealen, die maßgeblich für das Sehen verantwortlich sind. Dort wird eine sauerstoffreiche Blutzufuhr ermöglicht und Zellgewebe angeregt. Zur Therapie gehört allerdings mehr als nur eine elektromagnetische Stimulation. So wie unser Gehirn alle Fähigkeiten erlernen und üben muss, ist es prinzipiell auch mit dem Sehvermögen. Es bedarf deshalb einer aktiven Mitarbeit des jeweiligen Patienten. Ziel der Therapie ist die Verbesserung und optimale Nutzung noch vorhandener Fähigkeiten von Restsehvermögen, unabhängig vom Alter der Patienten, dem Alter der Läsion oder dem Grad ihrer Schädigung. Prof. Sabel: „Wir stärken die noch vorhandenen Sehfähigkeiten, die vom Auge und Gehirn vernachlässigt und gar unterdrückt wurden. Unser Motto ist: Fokussiere Dich nicht auf das, was bereits verloren ist, sondern erkenne, was noch vorhanden ist und stärke es.“ Angst, Stress und ähnliche Lebensfaktoren wirken sich häufig negativ auf Hirnfunktionen aus. Auch das Sehvermögen kann dadurch beeinträchtigt werden.

Ob mit der Methode therapeutische Erfolge möglich sind, muss im Einzelfall analysiert werden. Dazu wird im Savir-Zentrum eine umfassende Eingangsdiagnostik durchgeführt. In vielen Fällen, in denen von einem „vollständigen Sehverlust“ ausgegangen wird, ist in Wirklichkeit ein Restsehvermögen vorhanden. „Patienten wissen oft selbst am besten, ob Sie über ein Restsehvermögen verfügen. Es ist dann vorhanden, wenn man subjektiv den Eindruck hat noch etwas sehen zu können, selbst wenn das Gesichtsfeld sehr klein ist, man verschwommen sieht oder nur Hell und Dunkel unterscheiden kann. Sehtests beim Augenarzt sind nicht dafür ausgelegt, ein Restsehvermögen zu untersuchen, sondern stellen lediglich Defizite fest. Menschen können durchaus noch Sehvermögen haben, selbst wenn bei der Gesichtsfeldmessung durch den Augenarzt alles schwarz bleibt.

Die umfassende Diagnostik, Therapie und Beratung im SAVIR-Zentrum dauert in der Regel zwei Wochen. Patienten verlassen die Magdeburger Einrichtung mit wirksamen Ratschlägen und Hilfestellungen, wie sie das Sehvermögen künftig weiter trainieren und verbessern können. „Wichtig ist zunächst das Verständnis über die eigene Erkrankung, das Erkennen von Selbstblockaden und den enormen plastischen Fähigkeiten des Gehirns. Damit ausgerüstet, erleben wir stets die Erfolge der Therapie“, sagt Kornelia Sabel über die Arbeit des SAVIR-Zentrums.

Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Forschungen von Prof. Dr. Bernhard Sabel und die sichtbaren Erfolge des Magdeburger Therapiezentrums wecken die weltweite Aufmerksamkeit. 2017 wurde das SAVIR-Zentrum von der International Brain Injury Association (IBIA) anerkannt. Inzwischen reisen US-amerikanische Wissenschaftler nach Magdeburg, um sich über Anwendung, Ablauf und Hintergründe der Therapie zu informieren. „Wir versprechen mit unserer Methode keine Wunder, aber wir können aufgrund unserer vielen Behandlungserfolge die Verbesserungen des Sehvermögens bei unseren Patienten nachweisen“, erklärt Prof. Dr. Bernhard Sabel. (tw)

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