Frei von Plänen
Es duftet nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Einfach ein paar Löffel gemahlenen Kaffee in eine Tasse geben, heißes Wasser darüber gießen. Fertig. Nichts Kompliziertes, nichts Besonderes. Einen dieser modernen Kaffeevollautomaten sucht man in Michael Isensees Haus vergeblich. Nur Milch … die fehlt noch. Also geht der 52-jährige Magdeburger mal eben nach nebenan zur Tankstelle. Durch eine Tür, die zum verwilderten Garten führt, kommen inzwischen zwei kleine Kater hereingesprungen. Der eine etwas vorsichtiger, man könnte fast meinen skeptisch. Der andere – eher vom Typ furchtloser Draufgänger – findet seinen Weg über einen Bürostuhl auf die Anrichte in der Küche, die eigentlich gar keine Küche ist. Zumindest nicht im klassischen Sinne. Überhaupt macht das Anwesen in Fermersleben, das sich Michael Isensee vor etwa zehn Jahren gekauft hat, nicht den klassischen Eindruck. Das Dach und die erforderlichen Wände sind vorhanden. Alles andere – nun ja, flexibel. Eine konkrete Aufteilung der Räumlichkeiten ist nicht auszumachen. Viel Holz, viele Unikate. Ein Sessel hier, ein Sofa dort. Man könnte das Erdgeschoss insgesamt als Wohnzimmer bezeichnen, denn eine gemütliche Ecke findet sich überall. Auf der einen Seite umrahmt von einem die gesamte Wand einnehmenden Bücherregal und einer Gitarre, auf der anderen Seite von einem überdimensionalen CD-Regal und ebenfalls Gitarren. Und mittendrin ein Kühlschrank, ein Herd, ein Tisch und die Anrichte.
Michael Isensee schiebt das Katerchen sanft, aber bestimmend von seinem Küchenmobiliar. Dieses lässt sich jedoch nicht beirren und sucht sich erneut den Weg empor. Nach einer Weile scheint dem Tier dieses Spiel jedoch langweilig zu werden und der kleine Kater streift in der Wohnung umher, unbeeindruckt von den Musikinstrumenten, den zahlreichen Büchern und CDs, bis er schließlich wieder durch die Hintertür in den Garten verschwindet. Zwischen dem hohen Gras, diversen Pflanzen und herumliegenden Baustoffen – von Holz bis Stein – ist er bald nicht mehr auszumachen. „Er macht eben, was ihm gerade in den Sinn kommt … wozu er Lust hat“, sagt Michael Isensee und nimmt einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.
Und wer ein wenig die Biographie des 53-jährigen Magdeburgers kennt, könnte denken, er meine damit sich selbst und nicht sein Haustier. „Ja“, sagt er und nickt, den Blick versonnen auf das Grün hinter dem Haus gerichtet. „Was ist schon der Plan des Lebens? Es wäre großartig, wenn man immer nur das tun könnte, wozu man Lust hat. Und bis zu einem gewissen Grad funktioniert das auch. Das wichtigste ist doch, sich beweglich zu halten und mit sich im Reinen zu bleiben.“ Klingt nach einem einfachen Erfolgsrezept für ein Leben in Zufriedenheit. Michael Isensee nickt erneut. „Man darf sich von den Steinen, die einem im Laufe des Lebens in den Weg gelegt werden, nicht beirren lassen. Ohne diese Steine läuft alles zu glatt … es gibt keine Herausforderungen. Und genau diese Reibung braucht man doch aber, um vorwärts zu kommen, um zufrieden zu sein.“
Klingt nicht nur nach einem Erfolgsrezept, klingt vor allem nach Selbstverständlichkeit. Michael Isensee lächelt. 1964 in Magdeburg geboren, hat er als ältestes von fünf Kindern bereits früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen. „Da weiß man, was Reibung und Selbstständigkeit bedeuten.“ Als Jugendlicher – geprägt durch sein Umfeld – setzt er sich in den Kopf, Musiker zu werden. „Pete Townsend hat mich damals schwer beeindruckt und so habe ich mir mit Autowaschen Geld verdient, um mir eine eigene Gitarre kaufen zu können.“ Sein nächstes Ziel: „Ich wollte spätestens im Alter von 18 Jahren in einer richtigen Band spielen.“ Nur wenige Tage vor dem 18. Geburtstag probt er mit der Gruppe „Jeep“ und richtet später alles auf die Musik aus. „Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben und inzwischen kann ich auch behaupten, dass mich die Musik ernährt.“
In den 1980er Jahren zieht es den Magdeburger nach Rostock, wo er sich am Konservatorium auf Gesang konzentriert und nebenbei sein Können an der Gitarre ausbaut. „Aber schließlich wollte ich wieder zurück in meine Heimatstadt“, sagt der 52-Jährige, während er sich noch einen Kaffee aufbrüht und im Garten nach den Katern Ausschau hält. Sein Blick fällt auf eine Mauer. Halbfertig. „Die ziehe ich nach Absprache mit meinem Nachbarn hoch … die Steine dafür stammen von einem Gebäude, das ebenfalls auf diesem Grundstück stand. Aber dafür gab es keine Verwendung und es sollte etwas mehr Platz für Grünes im Garten sein.“ Und wann plant er damit fertig zu sein? Michael Isensee zuckt mit den Schultern. „Sobald ich Zeit und Muße habe, an diesem Projekt weiterzuarbeiten.“ Kein Zeitplan. Kein Druck.
Es laufe eben nicht immer alles nach Plan. „Man muss offen bleiben für Dinge, die sich ergeben.“ So wie nach der Wende, als sich der Musiker anschickt, in Magdeburgs Gastronomie-Szene mitzumischen. „Auch das hat sich eben einfach so ergeben … denn von einer Bühne ist der nächste Tresen nicht weit entfernt. Warum also nicht mal eine Kneipe betreiben?“ Aus einer wurden mit der Zeit fünf. Sowie diverse Projekte, die der 52-Jährige in Angriff genommen hat. Auch das sei in Magdeburg oft eine Herausforderung gewesen. „Eine Lokalität wie die Strandbar zu eröffnen oder die Hubbrücke gastronomisch zu nutzen – das lässt sich nicht mal eben durchziehen. Aber wenn man einen Weg finden will, dann findet man auch einen.“ Es brauche nur mehr „Möglichmacher“.
2007 hat Michael Isensee die letzte der fünf von ihm betriebenen Kneipen geschlossen. „Irgendwann hast du alles gemacht. Irgendwann möchtest du dein Leben wiederhaben.“ Dieser Schritt sei damals eine Befreiung gewesen, gleichzeitig habe er jedoch festgestellt, dass er wieder von Null anfangen muss. „Das Gute daran ist: Der Nullpunkt ist eine solide Basis. Wenn du wieder am Boden angekommen bist, musst du nur noch loslaufen.“ Und Loslaufen bedeutet in Michael Isensees Fall, sich erneut ausschließlich auf die Musik konzentrieren zu können. Aber festlegen will er sich auch dabei nicht. Ob solo, mit der Band „Crossfire“, als Duo „isimusikclub“ oder als DJ. „Das Wichtigste dabei ist, dass es Spaß macht, dass man Glück dabei empfindet. Und wichtig sind natürlich auch die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet und mit denen man – in Form des Publikums – direkt zu tun hat.“
Deshalb hält Michael Isensee auch an seinen planlosen Plänen fest: „Ich mache einfach … so gut ich kann. Und wenn das mal zu viel sein sollte, habe ich hier meinen Rückzugsort.“ Er macht eine ausladende Geste mit den Armen, die sowohl das 1875 erbaute Haus von der Bücherwand bis zum CD-Regal erfasst, als auch den üppig-grünen Garten samt der noch fertigzustellenden Mauer. Ein Lebensprojekt mit zwanglosen Zwängen. Und als wollten sie sagen „Hey, wir sind auch noch hier“, kommen die kleinen Kater aus dem Garten hereingehüpft und suchen sich einen direkten Weg bis zur Kaffeetasse. Der Musiker streichelt die beiden kurz, setzt sie dann auf dem Boden ab und sagt fast entschuldigend: „Ja, ich weiß … euch muss ich auch noch Namen geben.“ Tina Heinz