Farbe ist mehr als nur ein Fest für die Augen
Farbe ist seit Urzeiten ein Informationsträger. Eine Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg – „ColorVision. Evolution der Farbigkeit“ – vermittelt einen anregenden Einblick in die facettenreiche Welt der Pigmente und Farbstoffe.
Die Wucht der Farben im Frühling ist doch immer wieder ein Balsam für das winterlich-depressive Gemüt. Wie sehr unsere Gefühle und Befindlichkeiten durch Farben moduliert werden, hat sich auch in der Sprache („sich schwarz ärgern“, „rot sehen“, „die Welt durch eine rosarote Brille sehen“, „mir ist nach Blaumachen“) niedergeschlagen. Meine persönliche Beziehung zur den Farben begann vor einem halben Jahrhundert in einer feucht-nebligen Werkhalle einer Chemnitzer Textilmetropole. Obwohl ich nach dem Abitur und der Färberlehre nie mit diesem uralten Handwerk Geld verdient habe, ist das Interesse an der Chemie der Farbstoffe in mir tief verwurzelt geblieben.
Die Natur setzt Farbe bei Tieren zur deren Tarnung vor Fressfeinden ein. Der Pfeilgiftfrosch signalisiert mit greller Farbigkeit, dass er ein Todbringer ist. Andere versuchen mit auffälligen Farbmustern die Aufmerksamkeit von Sexualpartnern zu gewinnen. Erst die Farbe macht es möglich, dass Vögel schon aus großer Entfernung Beeren zwischen dem Grün der Blätter sehen. Pflanzen locken zu Bestäubung Bienen mit gelben, weißen und blauen Blütenblättern an. Kurioserweise können diese das auffällige Rot nicht sehen, was übrigens auch für den Stier gilt. Es ist die vom Matador geschwenkte Muleta, die den Stier erregt. Ein Extremist unter Mikroben, das Halobakterium halobium bildet auf stark salzhaltigen Gewässern rote Teppiche und verhilft dadurch den Flamingos zu ihrem Pink. Die gleichen Bakterien extrahieren aus dem Sonnenlicht die Energie für ihr Leben. Farbe ist aber auch für uns lebensnotwendig. Ohne das grüne Chlorophyll der Blätter gäbe es keine Photosynthese,
Sonnenlicht
Wasser + Kohlendioxid -> Zucker + Sauerstoff,
keine Fixierung des Klimakillers Kohlendioxid, keinen Zucker, keinen Sauerstoff und uns folglich auch nicht. Und nicht zu vergessen, unser Verständnis über die Umwelt beruht zu rund 70% auf empfangenen Farblichtsignalen. Aber, Farbe ist auch noch im 21. Jahrhundert ein Mittel der Selbstdarstellung, denn nur so ist der heutige inflationäre Gebrauch von Tattoos zu erklären.
Farben waren früher, was heute die Seltenen Erden sind
Das Purpurrot ist nicht nur wegen seiner Leuchtkraft die Farbe der Könige und des Hochadels gewesen, es war auch sehr kostbar. In den Zeiten der römischen Republik durften nur die Kaiser Purpurgewänder tragen. Anders als heute war die Ausbeutung der natürlichen Quellen zur Farbstoffgewinnung mühevoll und folgte mitunter bizarren Wegen. Indischgelb wurde lange Zeit aus dem Urin von Kühen gewonnen, die man mit Mangoblättern fütterte. Für ein Gramm Purpur mussten 8.000 Purpurschnecken ihr Leben lassen. Später wurde es vom Cochenillerot der Schildläuse verdrängt. Auch wenn die Chemie inzwischen zahllose Purpur-Surrogate erschaffen hat, nehmen wir mit dem Genuss eines Glases vom „roten Campari“ immer auch noch etwas von diesen Schildläusen zu uns. Ähnlich war es mit den Mineralfarben. Blau wurde in der Malerei nur spärlich verwendet und in der Renaissance der Jungfrau Maria vorbehalten. Für die Darstellung ihrer Gewänder wurden in Afghanistan gefundene, sündhaft teure, blaue Lapislazuli-Steine zu Ultramarinblau zermahlen. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts verhalf eine Zufallsentdeckung den Malern zu dem preiswerten Berliner Blau. Später löste dann der Steinkohlenteer einen Preisverfall bei den importierten Farbstoffen aus. Teer war die Quelle für das Anilin, dem „Muttermolekül“ vieler Farbstoffe. Nach der Reichsgründung 1871 wurde es der Kristallisationskeim für die deutsche Farbstoffindustrie, aus der sich die weltgrößte, chemische Industrie entwickelte. Mit Farbstoffen lassen sich aber auch die „Innereien“ von Zellen anfärben. Diese Art der Zelldiagnose verdanken wir dem Charité-Arzt Paul Ehrlich, der dazu im wilhelminischen Deutschland die Grundlagen entwickelte.
Malen ist dichten mit den Augen
Für den Dichterfürsten Goethe war Malen ein Dichten mit den Augen. Goethe war Zeit seines Lebens ein Interessierter der Wissenschaft, der neue Erkenntnisse literarisch verarbeitete. Zu seinen „Wahlverwandtschaften“ wurde er durch die am Ende des 18. Jahrhunderts aufblühende Chemie angeregt. Der Titel dieses Romans greift die Beobachtung auf, dass das Verdrängen einer schwachen Säure aus ihren Salzen durch eine stärkere Säure erfolgt. In Goethes Roman bricht die Ehe eines in ruhiger Zweisamkeit lebenden Ehepaares durch von Dritten ausgelöste starke Affinitäten auseinander. Es war Isaac Newton, der mit seiner Entdeckung, dass weißes Licht durch ein Prisma in Farben zerlegt wird, Goethe zu dessen Farblehre verholfen hat. Empfinden Sie, lieber Leser, nicht auch bei den Bildern von van Gogh die sommerliche Hitze der Provence? Bei denen von Claude Monet, dem Übervater der Impressionisten, möchte man doch am liebsten augenblicklich mit der Natur verschmelzen. Dem norwegischen Maler Munch gelang es mit Farbe und Formen die Verletzbarkeit der menschlichen Seele sichtbar zu machen. Es ist auch die Farbe, die in den Bildern von Klimt seiner „Danae“, „Judit“ und „Adele-Bloch Bauer“, diese erotische Aura verleiht. Und in der aus winzigen Farbpunkten zusammengesetzten Malerei von Georg Seurat spürt man den atomaren Aufbau unserer Welt unmittelbar. Und es bedarf nur drei Grundfarben – rot, blau und gelb – um im Mischungsverhältnis diese Wirkungen zu erzielen.
Buntes zu sehen, ist eine Leistung des Gehirns
Dass wir farbige Bilder sehen können, ist eine Leistung der Augen und des Gehirns. Es beginnt damit, dass die Sehzellen der Netzhaut durch einen winzigen Bereich aus dem Spektrum der elektromagnetischen Strahlung aktiviert werden. Wenn wir Farbe sehen, dann „sehen“ die Sehzellen in der Netzhaut den Anteil des weißen Lichtes, der nicht von einer Gurke, einem Schmetterling oder Tomate absorbiert wird. Also, wenn etwas rot aussieht, dann wird die blaugrüne Komponente des sichtbaren Lichtes absorbiert. Nur 3 verschiedene Sensoren in den Zapfenzellen machen uns den Farbreichtum der Natur zugänglich. Diese sind empfindlich für rotes, blaues oder grünes Licht, und übersetzen dieses in die Sprache des Gehirns. Aus einem komplexen Gemisch von Millionen empfangener farbiger Bildpunkte setzt das Gehirn ein buntes Bild zusammen, an dem 30 % der Großhirnrinde beteiligt sein sollen. Nur durch diese integrative Leistung des Gehirns wird es dem Jäger möglich, im herbstlichen Unterholz aus einer riesigen Anzahl von Lichtsignalen die Konturen eines Rehes zu erkennen. Aber auch beim Farbsehen pfuscht die Natur manchmal. Von einer so verursachten Rot-Grün-Sehschwäche sind die Männer am stärksten betroffen, weil sie nur ein X-Chromosom haben.
Bei manchen streben Farben und Musik ein Bündnis an
Wortschöpfungen wie Farbtöne und Klangfarben erwecken den Eindruck, dass Farben und Töne miteinander verbunden sind. Uns kommen dunkle Farbtöne in den Sinn, wenn uns Musik traurig oder bedrückend stimmt. Ähnlich einem schrägen Akkord erzeugen bestimmte Farbkombinationen einen dissonanten Eindruck. Farben und Tönen sind gemeinsam, dass sie ihre Entstehung Schwingungen verdanken. Es soll auch Menschen geben, die Töne hören und gleichzeitig Farben sehen (Synästhetiker). Eine naturwissenschaftliche Erklärung für diesen Zusammenhang gibt es bis heute nicht. Im Unterschied zur Wissenschaft gelingt es der menschlichen Wahrnehmung, Farbe spielend mit Musik zu verbinden.
Schwarz, rot, gelb…
Rot, die Farbe des Blutes, ist die stärkste unter den Farben. Es steht seit jeher für Feuer, Mut, Wärme, Leidenschaft und Erotik. Ein zuviel erzeugt allerdings Reizbarkeit, Stress, Wut und Aggressionen. Die Lieblingsfarbe der Deutschen ist blau, eine kühle Farbe. Es wirkt entspannend, erfrischend und wird auch verbunden mit Vertrauen, Ruhe, Pflichtbewusstsein, Kreativität, Jugend (FDJ-Hemd) und Hoffnung (Europaflagge). Mit einem Blau, das den Betrachter zu verschlucken scheint, hat sich Ives Klein in den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts als ein Vater der Pop Art verewigt. Früher, in der Romantik war die blaue Blume von hohem Symbolgehalt. Sie stand für Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen. In Mitteleuropa waren ihre Vorbilder die Kornblume oder die Wegwarte. Blau gefärbt wurde jahrhundertelang mit Indigo, das in den Blättern des Färberwaid oder der Indigo-pflanze als farbloses Indikan enthalten ist. Indigo war einst so sehr gefragt, dass die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) für seine Synthese 18 Millionen Goldmark ausgab. Wegen seiner schlechten Wasch- und Abrieb-Echtheit wird es heute kaum noch verwendet. Es gibt allerdings eine Ausnahme, wo man diese Nachteile schätzt – bei den Blue Jeans.
Auch andere Farben, wie das Grün, werden mit Wünschen, Befindlichkeiten und Empfindungen assoziiert. Grün steht für Wachstum, Fruchtbarkeit, Hoffnung, Natürlichkeit und eine beginnende Liebe. Die Grünen haben es als Farbe des Umweltschutzes vereinnahmt und in den römisch-katholischen und evangelischen Kirchen ist es eine liturgische Farbe. Da grün die Farbe unreifer Früchte ist, steht es auch für Unerfahrenheit (Grünschnabel). Wenn etwas besonders intensiv grün ist, dann spricht man schon seit Jahrhunderten vom Giftgrün. Später war es die Malerfarbe Schweinfurter Grün, die das Grün zum Gift gemacht hat. Mit diesem Grün bestrichene Tapeten sondern in Anwesenheit eines bestimmten Pilzes hochgiftige, gasförmige Arsen-Verbindungen ab. Lange Zeit wurde darüber gestritten, ob die mit Schweinfurter Grün bestrichenen Wände der letzten Unterkunft Napoleons auf St. Helena auch seinen Tod verursacht haben. Und braun? Braun steht für erdig, denn braun war früher die Kleidung der armen Landbevölkerung. Deshalb wurde es zum Symbol für Heimat- und Bodenverbundenheit. Röhm und Göring machten es zur Symbolfarbe des Nationalsozialismus.
Wegen der Wirkung auf die menschliche Psyche wurden Farben schon früh zu Signalen und Symbolen. Ampeln, Schilder und Flaggen sind Beispiele dafür. „Die Trikolore“, das Vorbild für viele andere Flaggen, strahlt blau, rot und weiß aus. Diese stehen für Paris (blau und rot) und das Königshaus der Bourbonen (weiß). Unsere Flagge beschreibt mit seinen Farben den Weg der Nation von der Knechtschaft (schwarz) über Schlachten (rot) zur Freiheit (gelb). Gelb wird auch mit Leuchten, Freude, Erfolg (Gelbes Trikot) und den Geist beflügeln assoziiert. Im Verlauf der Geschichte ist es aber auch zu einem Bedeutungswandel im Symbolgehalt der einen oder anderen Farbe gekommen. Aktuelles Beispiel ist das Gelb. Die französischen „Gilets jaunes“ (Gelbwestenbewegung) haben es jetzt zum Symbol des Protestes und Krawalls gemacht. (Peter Schönfeld)
Prof. Dr. Peter Schönfeld: Chemiestudium und Promotion an der TU Dresden (1966 – 1973). Von 1973-1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Organische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR. Habilitation 1991 und seit 1995 Hochschuldozent für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.