Du bist überall
Welche Möglichkeiten das Internet doch bei der Partnersuche eröffnet hat. Endlich – so scheint es – wird das sprichwörtliche Orakel wahr, dass jeder Topf seinen Deckel findet. Das Angebot ist schier unerschöpflich. Millionen Singles tummeln sich in Partnerbörsen, tauchen in die Welt unzähliger Selbstdarstellungen ein, um Mrs. oder Mr. Right zu entdecken. Egal, ob die Traumfrau oder der Traummann 500 Kilometer entfernt lebt, im Internet rückt zusammen, was nie zusammengekommen wäre. Die Macht der Gelegenheit schafft ein Meer an Illusionen. Natürlich gibt es wundervolle Beispiele geglückter Verbindungen. Doch sind im Netz der Sehnsüchte letztlich nicht doch nur dieselben Menschen mit vergleichbaren Interessen, Marotten und Fähigkeiten unterwegs, wie sie in der unmittelbaren Lebensumgebung anzutreffen wären? Die Vorstellungskraft über Entdeckungschancen – das ist der Stoff, aus dem Partnerschaftsideen geträumt werden. Das ganz besondere Geschöpf zu finden – vielleicht außergewöhnlich kreativ, möglichst erfolgreich, vor allem aber den eigenen Erwartungen entsprechend –, nährt die magische Selbstverzauberung.
Betrachtet man die realen Potenziale, müsste man nüchtern eingestehen, Mitglieder in Partnerschaftsbörsen sind grundsätzlich deckungsgleich mit der statistischen Normalverteilung im realen Umfeld. Sollte sich jedoch beispielsweise eine Frau einen echten Prinzen, einen Millionär oder ein sonstwie überdurchschnittlich reiches männliches Exemplar erhoffen, wäre es besser, weiterhin Märchen zu lesen oder Hollywood-Schnulzen anzusehen. Vertreter dieser gesellschaftlichen Gattungsart verlassen in der Regel die eigenen Milieus nicht.
Trotzallem boomen die Vermittlungsangebote im WWW nach wie vor. Bei einer Erhebung aus dem Jahr 2016 zählte man in deutschen Singleforen über 118 Millionen Mitglieder. Da nur rund 9 Millionen echte Aktivitäten entfalten, liegt es auf der Hand, dass die Mehrzahl gar nicht wirklich sucht, dass die meisten Mitglieder in mehreren Börsen gleichzeitig angemeldet sind und dass wahrscheinlich ein großer Teil gar kein Single ist. Da dürfte die Trefferquote für eine tatsächlich realistische Liebesverbindung ziemlich gering ausfallen.
Aber es gibt ja Börsen, die behaupten genau das Gegenteil. „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Parship“, verheißt es das gleichnahmige Partnervermittlungsangebot mit seiner Werbung. Einst war die Online-Börse Teil der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Im April 2015 verkauften die Stuttgarter das Portal an die britische Beteiligungsgesellschaft Oakley Capital. Es geht ums große Geld. Rund 200 Millionen Euro setzt die Branche allein in Deutschland um. Weltweit lag der Umsatz bei Partnervermittlungen 2016 bei fast zwei Milliarden Euro. Bis 2021 wird ein Anstieg auf 2,6 Milliarden Euro prognostiziert. Neben klassischen Singleforen, bei denen es scheinbar um eine echte Partnersuche geht, schießen zusätzlich so genannte Seitensprungportale aus dem Boden. Auch dafür sitzt das Geld locker. In diesem Jahr wird die Suche nach unverbindlichem Sex weltweit die Marke von einer Millarde Euro Umsatz überspringen. Doch was zeigen uns diese Zahlen über eine steigende Nachfrage für Nähe, Geborgenheit und Sex wirklich?
Wünsche nach verbindlicher Partnerschaft und gegenseitigem Vertrauen bleiben Herzenswünsche vieler. Obwohl der Anteil an Singles in der Gesellschaft weiter zunimmt, heißt dies nicht, dass die Sehnsucht nach verlässlichen Beziehungen geringer geworden ist. Die Vergrößerung der Wahlmöglichkeiten führt indes nicht zwangsläufig ins Glück gemeinsamer Bindung. Jeder erfahrene Mensch weiß, dass es stets ausschließlich von beiden Partnern abhängt, wie gelungen sich Beziehung anfühlt und in welche Zukunft sie führt.
Die Online-Partnerforen sind ein schöner Ozean der Eitelkeiten. Manche verbringen unter der selbst entfachten Anziehung zu einem anderen Tage und Wochen im wechselseitigen Schreibverkehr, um dann in einem kurzen Moment der Begegnung festzustellen, dass man doch nicht zueinander passt. Irgendwann führt ein oft erlebter Misserfolg zu Resignation und Verbitterung. Das ist eine Schattenseite in der modernen Online-Illusionswelt. Eine andere breitet sich bei gebundenen Männer oder Frauen aus. Es wird nämlich so viel geflirtet wie noch nie zuvor durch Partner, die eigentlich in Beziehungen sind. Vielfach wird die Entdeckung heimlicher OnlineAktivitäten im Internet durch den Partner als schwerer Vertrauensmissbrauch empfunden. Eine Trennung ist häufig die Folge. Und selbst, wenn man einmal ertappt wurde, bleibt das Misstrauen über eine lange Zeit bestehen und belastet die Partnerschaft. Nun gab es Fehltritte durch Flirts schon immer. Aber das statistische Gewicht und die hohe Anzahl umherstreunender Anbändelungsleute hat heute eine neue Qualität erreicht. Solche Erscheinungen lassen mutmaßen, dass die vielen Wahlchancen eben auch Qual-Erlebnisse in einer Größenordnung hervorbringen, die im Analogzeitalter nie denkbar waren. Möglicherweise entliebt sich eben ein Pärchen genauso oft, wie sich eines aus Singles findet. Und es muss angenommen werden, dass ein häufiges Online Date Hopping nicht letztlich dazu führt, dass sich Bindungsfähigkeit weiter auflöst.
„Du, mein Traumpartner, bist überall, aber auf jeden Fall irgenwo da draußen in der großen weiten Online-Welt”, ist offenbar ein dichter werdender Nebel, in den sich jeder begibt, der auf dem Jahrmarkt selbstdarstellender Eitelkeiten nicht begreifen will, dass im unmittelbaren Umfeld greifbare Partner auf eine gegenseitige Entdeckungsreise warten. Aber es ist natürlich bequem im Wohnzimmer zu sitzen und permanent Ausschau nach Faszinationswesen zu halten. Wie viele Chancen, lebendig und real mit anderen zusammenzutreffen, dabei verspielt werden und wie viel Lebenszeit dabei möglicherweise verschwendet wird, geht der einen oder dem anderen manchmal nicht auf. Eine Heilung ist möglich, kommt jedoch oft erst mit der späten Erfahrungseinsicht, dass Traumpartner eben so heißen, weil sie den eigenen Tagträumen entspringen. Davor stehen Sehnsüchte, die aus Einsamkeit erwachsen. (tw)