Die Verschwörung um die Zahnpasta
Fluorid, der wirksame Bestandteil der Kariesprävention, wird zum Gegenstand der Desinformation und Brechstange im Kampf um Marktanteile von Zahnpasta-Herstellern.
Sie haben sicher auch von dem Mythos gehört, dass sehr alte Elefanten um ihres baldigen Sterbens wissen, und sich deshalb auf die Suche nach einem Elefantenfriedhof begeben. Ansammlungen von Elefantenskeletten werden in Afrika tatsächlich an bestimmten Orten gefunden. Kurioserweise hat dies mit den Backenzähnen der Elefanten zu tun, die sie für das Zermahlen der pflanzlichen Nahrung (etwa 200 kg pro Tag) brauchen. Der Verlust der Zähne kommt für den Elefanten einem Todesurteil gleich. Deshalb sondern sich die zahnlosen Methusalems von der Herde ab und suchen Sumpfgebiete auf, wo es weiches Blattwerk gibt. Diese Oasen werden dann auch ihre Friedhöfe. Hat ein Elefant das Glück, seinen Lebensabend in einem Zoo verbringen zu können, dann gewinnt er trotz Zahnlosigkeit, durch einen aus gedämpften Kartoffeln hergestellten Brei, einige Lebensjahre mehr als sein in der Wildnis lebender Verwandter.
Wie glücklich können wir dagegen sein. Obwohl uns nur zweimal Zähne wachsen – beim Elefanten ist erst nach dem sechsten Zahnwechsel Schluss – gibt es für uns auch noch im reiferen Lebensalter verschiedene Varianten des Zahnersatzes. Mit Hilfe einer gründlichen Putztechnik und geeigneter Zahnpasta kann der Zeitpunkt dafür weit nach hinten verschoben werden. Gegenwärtig sind 92 Zahnpasten im Handel und um die „richtige“ Zahnpasta ist nun eine heftige Auseinandersetzung entbrannt. Worum geht es denn bei dem Streit? Der Gegenstand ist das Fluor, ein chemisches Element mit der Ordnungszahl 9 im Periodensystem. Sein Name leitet sich von einem in der Metallurgie eingesetzten, im UV-Licht blau fluoreszierenden, Mineral ab, das zur Erniedrigung des Schmelzpunkts von Erzen eingesetzt wird (Flussspat). Wenn Sie das Glück eines nachhaltigen Chemieunterrichts hatten, also eines, der sowohl den Geist als auch die Sinne befriedigt hat, wissen Sie, dass Fluor ein äußerst reaktives Gas ist. Als extrem elektronensüchtiges Element „vermählt“ es sich sogar mit den Edelgasen. Der aggressive „Appetit“ des Fluors auf ein Elektron verwandelt es aber in ein friedliches Anion, das Fluorid.
In der Zahnpasta ist natürlich kein Fluor enthalten, auch wenn das darauf steht, sondern das harmlose Fluorid. Ähnlich ist es mit den von uns geschätzten Bratpfannen, die sich wegen einer Beschichtung mit Teflon so leicht reinigen lassen. Auch hier ist Fluor enthalten, aber in einer ungiftigen Form.
Um die Karriere des Fluorids als „Schild und Schwert“ gegen die Karies zu verstehen, müssen wir wieder zu unserer frühen Geschichte zurückkehren, nämlich als die Kohlenhydrate Bestandteil der Speisekarte wurden. Ein sehr kleiner Teil der Kohlenhydrate wird im Mund in ein Polysaccharid (Dextran) umgewandelt, das sich wie ein dünner Teppich über die Zähne legt und so die Bakterien der Mundflora dazu einlädt, sich auf diesen niederzulassen (Plaquebildung). Die sesshaft gewordenen Bakterien (Streptokokken und Milchsäurebakterien) setzen danach dem Zahnschmelz zu und so entwickelt sich die Zahnkaries. Bis über das Mittelalter hinaus war eine Zahnhygiene unüblich und die damaligen Zahnärzte waren möglicherweise Experten der Zahnextraktion, aber nicht der Zahnerhaltung. Gelegentlich wurden die Zähne sogar als Übeltäter von Erkrankungen angesehen, wie im Falle eines Leibarztes vom Sonnenkönig (Ludwig der XIV.). Dieser soll den Monarchen dazu überredet haben, sich ohne Not die Zähne ziehen zu lassen.
Wie kann es aber zur Karies kommen, wenn der sichtbare Teil der Zähne doch mit einem mineralischen „Lack“, dem Zahnschmelz, versiegelt ist? Auch in diesem Fall hilft die Chemie weiter. Der Zahnschmelz, das härteste Material in unserem Körper, besteht hauptsächlich aus Kalzium und Phosphat, enthält aber auch noch Hydroxid-ionen und diese sind seine Achillesferse. Von den im Mund heimischen Bakterien wird aus den Kohlenhydraten Säure gebildet, die eine hohe Affinität zu den Hydroxidionen hat. Dadurch werden diese aus dem Zahnschmelz extrahiert. Und jetzt geht es dem Zahnschmelz wie einer Mauer, aus der an tragenden Stellen Mauersteine entfernt werden. Warum wird nun aber die Zahnpasta mit Fluorid versetzt? Und noch einmal ein Exkurs in die Chemie. Das Fluorid ist dem Hydroxidion bezüglich der Größe und der negativen Ladung ausgesprochen ähnlich. Dadurch kann das Fluorid im Zahnschmelz den Platz des Hydroxidions einnehmen. Im Unterschied zum Hydroxidion fühlt sich das Fluoridion nicht zur Säure hingezogen. Dadurch wird der fluoridierte Zahnschmelz praktisch unangreifbar für Säure.
Aber wie kam nun das Fluorid in die Zahnpas-ta? Ausschlaggebend dafür war die Beobachtung, dass in Gegenden mit einem höheren Fluoridgehalt im Trinkwasser die Karieshäufigkeit deutlich niedriger ist. Daraufhin beschlossen Australien, die USA, Großbritannien und die Schweiz, allesamt Fluorid-Mangelgebiete, dem Trinkwasser Fluorid zu zusetzen. Obwohl es in Deutschland auch einen Fluoridmangel gibt, wird dem Trinkwasser kein Fluorid zugesetzt. Dadurch soll das Reinheitsgebot des Trinkwassers erhalten bleiben und auch kein Anlass für den Vorwurf einer Zwangsmedikation gegeben werden. Alternativ wurde deshalb Fluorid dem Speisesalz oder der Zahnpasta zugesetzt. Somit bleibt es jedem selbst überlassen, ob er sich für diese Produkte mit oder ohne Fluorid entscheidet. Von den Zahnärzten hört man jedenfalls nur positive Erfahrungen mit der fluoridhaltigen Zahnpasta. Nach einer im Auftrag der Bundeszahnärztekammer durchgeführten Studie zur Mundgesundheit (2016) haben heute mehr als 80% der Zwölfjährigen keine Karies. Eine andere kommt zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der von Karies befallenen Zähne bei Menschen zwischen 35 und 44 Jahre seit 1997 um 30% gesunken ist.
Trotz dieser Erfolgsgeschichte des Fluorids für die Kariesprophylaxe und der Tatsache, dass der „Nutzen auf höchstem wissenschaftlichen Niveau“ untersucht wurde (Stefan Zimmer, Lehrstuhlinhaber für Zahnerhaltung und Präventive Zahntechnik der Universität Witten/Herdecke), wird im Internet eine sehr kontroverse Diskussion über die Giftwirkungen des Fluorids geführt. So betreibt beispielweise das „www.zentrum-der-gesundheit.de“ mit einem besonderen Eifer die Desinformation über das Fluorid. In einem Internetbeitrag mit der Überschrift, „Fluorid – Spurenelement oder Gift?“, wird eingangs an „das Leid von Millionen Chinesen und Inder erinnert, die wegen des regelmäßigen Trinkens von fluoridreichem Wasser an Knochenleiden erkrankt sind“. Danach wird beiläufig erwähnt, dass es ja auch einmal eine Zeit gab, in der Fluorid als Rattengift eingesetzt wurde. Zusätzlich wird dann noch behauptet, dass durch die Magensäure das Fluorid in den noch giftigeren Fluorwasserstoff umgewandelt wird. Dies ist aber, nebenbei gesagt, wegen der im Fall von verschluckter Zahnpasta niedrigen Fluorid-Konzentration und des Magen-pH-Wertes unrealistisch. Es kann nach dieser Einstimmung des bereits verängstigten Lesers auch nicht mehr verwundern, dass danach der Bogen vom Fluorid zu möglichen negativen Folgen für den Intelligenzquotienten, die Demenz und den Zivilisationserkrankungen (z.B. Arthritis und Diabetes) geschlagen wird. Mit der letzten Spekulation konkurrieren die Fluoridgegner allerdings mit der Gruppe von Ernährungsexperten, die den Verzehr von sauren Lebensmitteln für das Entstehen der Zivilisationerkrankungen verantwortlich machen (Magdeburg Kompakt, 2016).
Zu einem neuen Schlagabtausch ist es jetzt durch eine großformatige, überregionale Zeitungsanzeige am Anfang des Jahres in Deutschland gekommen. Darin heißt es einleitend: „Fluorid – erste Verbraucherschützer rufen nach einem Verbot“. Nach der altbekannten Warnung vor einer schleichenden Vergiftung des Körpers durch Fluorid wird die Katze aus dem Sack gelassen – es folgt eine Werbung für die fluoridfreie Zahnpasta „Karex“. Die Hersteller der neuen Zahnpasta setzten im Verdrängungswettbewerb um Marktanteile darauf, dass die Verbraucher den Unterschied zwischen der Chemie des Fluors und des Fluorids nicht kennen und bei dem Wort Fluor in eine Art Schockstarre verfallen. Nach der Sicht einer Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen bedient sich der Hersteller von „Karex“ (ein Bielefelder Familienunternehmen) mit seiner Werbung einer Strategie, die ansons-ten den Verschwörungsideologen eigen ist. Ursprünglich verstand man unter einer Verschwörung „die Verbindung von Personen durch Schwur zu etwas Üblem (Intrige, Revolte, Putsch, Meuterei) gegen andere“.
Heute besteht das Wirken von Verschwörungsideologen darin, ein Ereignis, einen Zustand, einen Sachverhalt oder eine Entwicklung durch eine Verschwörung zu erklären. Also z.B., dass sich Zahnärzte und Gesundheitspolitiker dazu verschworen haben, fluoridhaltige Zahnpasta als alternativlos zur Prophylaxe gegen Karies zu erklären. Übrigens, nach den Verschwörungsideologen wurde die Trinkwasserfluoridierung wegen einer gewollten Verdummung der Bevölkerung eingeführt. Nebenbei gesagt, Ähnliches sagen die Verschwörungstheoretiker auch über die in großer Höhe gebildeten Kondensstreifen von Flugzeugen. Danach werden diese nämlich durch ein bewusstes Versprühen von Chemikalien zum Zwecke der politischen Manipulation und/oder Bevölkerungsreduktion erzeugt.
Die Bundeszahnärztekammer hält der Werbung für die Karex-Zahnpasta entgegen, dass diese eine „unbegründete Verunsicherung der Bevölkerung beabsichtige“. Auch Stiftung Warentest hat zu der Fluorid-Kontroverse Stellung (14.12.2017) bezogen. Danach ist das Fluorid der wichtigste Wirkstoff in der Zahnpasta und alle Zahnpasten ohne diesen Kariesschutz wurden mit „mangelhaft“ bewertet ("Pflanzen Zahngel" von Weleda und Biorepair).
Laut Stiftung Warentest nimmt ein Erwachsener täglich etwa zwischen 0,4 und 1,5 Milligramm Fluorid auf. Das ist weit entfernt vom täglichen Richtwert von circa 3,5 Milligramm, den die Deutsche Gesellschaft für Ernährung für Erwachsene angibt – und noch weiter entfernt von einer gesundheitlichen Gefährdung. Dafür müsste ein Erwachsener über längere Zeit täglich mindestens 10 Milligramm Fluorid aufnehmen.
Da Fluorid in einer größeren Menge nur durch Verschlucken der fluoridierten Zahnpasta vom Körper aufgenommen werden kann, vermindert sich durch Ausspucken und Ausspülen des Mundes die tatsächlich aufgenommene Fluoridmenge nochmals. Damit ist eine schleichende Vergiftung des Körpers durch Fluorid beim Zähneputzen ausgeschlossen.
Um es deutlich zu sagen, mit dem Fluorid in der Zahnpasta verhält es sich wie mit dem Kochsalz (Natriumchlorid) in der Wurst oder im Brot oder auf dem Frühstücksei. Die „Eltern“ des Kochsalzes sind ein reaktives Metall und giftiges Chlorgas, das übrigens ein enger Verwandter des Fluors ist. Und auch für das harmlose Kochsalz gilt der Satz des Paracelsus: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht´s, dass ein Ding kein Gift sei.“ Prof. Dr. Peter Schönfeld