Die fetten Tage sind vorbei
Nach der ausgieben Schlemmerei zum Jahreswechsel wird es Zeit, jetzt die braunen Fettzellen auf Trab zu bringen
Es ist wieder einer dieser Dezember-Winter, wie er in meiner Kindheitserinnerung nicht vorkommt. Aber ehrlich gesagt, mir geht es wie vielen meiner Altersgruppe, Schnee und Eis vermisse ich nicht sonderlich. Eigentlich möchte man den Winter schnell hinter sich bringen, am besten mit Schlafen. Aber das gelingt nur den sogenannten Winterschläfern. Der Grizzlybär ist ein solcher. Er frisst sich über den Sommer und Herbst viel Fett an. Mit dem Einbruch der kalten Jahreszeit zieht er sich in eine Höhle zurück und fällt dort in den Winterschlaf. Wenn er nicht gestört wird, kann dieser bis zu 7 Monate dauern. Wie kann aber ein ungefähr 300 kg schwerer Grizzly, ein ständig fressender Allesfresser, eine so lange Zeit ohne Nahrung auskommen? Ja, das kann er, denn beim Winterschlaf verringert sich sein Herzschlag von ca 84 auf nur 19 Mal pro Minute, was seinen Energieverbrauch stark erniedrigt. Wenn er allerdings gestört wird, kostet ihn das Erwachen eine Menge an Energie. Wird sein Winterschlaf wiederholt unterbrochen, erwartet ihn der Tod durch Auszehrung. Im Winterschlaf wird der Grizzly auch zum Diabetiker (Diabetes Typ 2), allerdings nur vorübergehend. Dass er nach dem Erwachen wieder völlig gesund ist und in seinem Fall das Übergewicht, anders als bei uns, nicht zur bleibenden Zuckerkrankheit führt, macht seinen Stoffwechsel interessant für die medizinische Forschung.
Braunes Fett – gutes Fett
Der Grizzly friert auch nicht in seiner Winterbehausung. Er kann während des Winterschlafs seine Körpertemperatur nahezu aufrecht halten. Das geht, weil er weißes, beiges und braunes Fettgewebe besitzt. Im Weißen speichert er das Fett, im Braunen verbrennt er es, das Beige liegt in seiner Funktion dazwischen. Das gilt übrigens auch für Fledermäuse, Murmeltiere und Hams-ter, und für den neugeborenen Säugling. Letzterer ist nach dem „Rausschmiss“ aus dem mütterlichen Unterleib einem starken Kältestress ausgesetzt. Da bei ihm das Verhältnis von Körperoberfläche und Körpervolumen größer ist, gibt er mehr Körperwärme ab als der Erwachsene – natürlich auf das jeweilige Gewicht bezogen. Da es in unserer Frühzeit noch nicht den warmhaltenden Strampler gab, hat ihn die Natur auch mit wärmebildendem, braunem Fettgewebe ausgerüstet. Als kleine Heizkissen befinden sich diese im Brust-, Nacken- und Nierenbereich. Kältestress wird in einem kleinen, aber speziellen Bereich des Gehirns (Hypothalamus) registriert und von dort aus mithilfe einer sympathischen Nervenfaser und dem Stresshormon Noradrenalin im braunen Fettgewebe die Wärmebildung (Thermogenese) ausgelöst. Braun ist dieses Fettgewebe deshalb, weil es viele Mitochondrien beherbergt, die reich an Zytochromen (den Zellfarbstoffen) sind. Im Unterschied zu den anderen Geweben sind die Mitochondrien im braunen Fettgewebe nur Heizkraftwerke.
Jahrzehntelang haben die Anatomen den Medizinstudenten gepredigt, der Erwachsene hat kein braunes Fettgewebe mehr. Richtig ist: kein zusammenhängendes. Vor 20 Jahren wurden zur großen Überraschung mit der Positronenemissionstomographie (PET), eine kostenintensive Methode, mit der sich Tumore im Körper enttarnen lassen, braunes Fettgewebe im Oberkörper (z. B. um die Wirbelsäule und oberhalb der Schlüsselbeine) des Erwachsenen gefunden.
Was halten Sie von einem thermogenen Lebensstil?
Hamster und Mäuse sind geeignete Haustiere für Untersuchungen zum braunen Fettgewebe. Wenn diese nämlich für 2 - 3 Wochen der Kälte ausgesetzt werden, vermehrt sich ihr braunes Fettgewebe und die braunen „Heizkissen“ werden aktiviert. Die darin ablaufende Fettverbrennung macht natürlich auch schlank. So setzten Mäuse im Unterschied zu ihren Brüdern und Schwestern kein Fett an, wenn sie in der Kälte gleiche Kalorienmengen vorgesetzt bekamen. Dass Kälte braunes Fettgewebe vermehrt, gilt auch für uns. Niederländische Forscher berichteten, dass sich bei Probanden, die sich 10 Tage lang jeweils nur für 6 Stunden in einem 16 Grad kühlen Raum aufhielten, das braune Fettgewebe bereits verdoppelte. Ein junger Erwachsener soll 50 – 100 Gramm davon haben. Würde es ihm gelingen, dieses ganzjährig zu aktivieren, könnte er damit 16 Kilogramm Fett verbrennen. Da wir aber unsere Zeit nur selten nackt in der Kälte verbringen, ist der Anteil des braunen Fettgewebes am Abnehmen sicher nicht sehr hoch. Trotzdem empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung demjenigen, der Abnehmen möchte, sich einen thermogenen Lebensstil anzugewöhnen. Im Klartext heißt das, runter mit der Wohnzimmertemperatur, kalt Duschen und rote Chili-Schoten in den Speiseplan aufnehmen.
Was haben nun die mit dem Abnehmen zu tun? Die Chilis enthalten einen Substanzcocktail, Capsaicin, der nicht nur auf der Zunge brennt, sondern auch die Wärmebildung und so die Fettverbrennung fördert. Es regt auch den Fluss der Verdauungssäfte an, steigert die Durchblutung, löst Muskelverspannungen (Chili-Salbe!) und unterstützt das Immunsystem im Kampf gegen unerwünschte Bakterien. Außerdem bringt Capsaicin im braunen Fettgewebe und der Muskulatur die Wärmebildung auf Trab. Eine solche Formulierung ist nicht abwegig, den mit Capsaicin wurden Springpferde gedopt. Aufgetragen auf die Beine erhöht Capsaicin deren Durchblutung und damit auch die Schmerzempfindlichkeit. Die Pferde sind daher stärker „motiviert“, beim Anblick eines Hindernisses hohe Sprünge zu wagen.
Trotz alledem sollte man von einer alleinigen thermogenen Lebensweise keine Wunder für die Figur erwarten, denn der Gesamtenergieverbrauch erhöht sich nur maximal um 10 Prozent.
Abgründe in der Werbung für Fett-Verbrenner
Vor 100 Jahren beobachtete man an übergewichtigen Arbeitern in Sprengstofffabriken, dass diese sehr schnell an Gewicht verloren, wenn sie mit DNP (2,4-Dinitrophenol) in Kontakt kamen. Heute wissen wir, dass diese Chemikalie das Prinzip der Wärmebildung im braunen Fettgewebe auf alle Organe des Körpers überträgt. Dazu muss man sich vorstellen, dass unter dem Diktat des DNP die Energiebildung durch die mitochondrialen Kraftwerke nicht mehr von den energieverbrauchenden „Haushalten“ der Zellen reguliert wird. Die Mitochondrien werden durch DNP zu auf volle Leistung gefahrene Heizkraftwerke degradiert, wodurch die Kapazität der Fettverbrennung um mehr als das Hundertfache gesteigert wird. Wegen dieser wärmebildenden Fähigkeit kam DNP als erstes synthetisches Arzneimittel zur Gewichtsreduktion auf den Markt, leider mit oft fatalen Folgen für die Konsumenten. Denn als Schlankheitsmittel brachte es diese nicht nur durch extremes Schwitzen um den Schlaf und bei geringster Belastung außer Atem, sondern es führte bereits eine geringe Überdosierung schnell zum Totalausfall der Organfunktionen. Deshalb wurde es auch nach kurzer Zeit (1938) aus dem Handel genommen. Seit einigen Jahren scheint aber die Gefährlichkeit der Chemikalie in Vergessenheit geraten zu sein. Seine Renaissance hat DNP der neuen Bodybuilder-Szene zu verdanken. Es wird heute als effektivster „Fat Burner“ (Fettverbrenner) und Lifestyle-Medikament im Internet angeboten. Sollte sich jemand darüber informieren wollen, bitte auch die Erfahrungsberichte lesen. Danach beginnt für den Konsumenten nach Einnahme von DNP ein Höllentrip. Im Vergleich dazu muss Dantes Inferno in der Göttlichen Komödie ein Spaziergang gewesen sein.
Die Kooperation von Darm mit braunem Fettgewebe signalisiert: Sofort Essen einstellen!
Zurück zum guten braunen Fettgewebe, an dem durch eine aktuelle Studie eines internationalen Teams neues Interesse entflammt ist. Initiiert wurde diese durch die Beobachtung, dass es auf den braunen Fettzellen von Mäusen viele Bindungsplätze für das Verdauungshormon Sekretin gibt. Die Frage war also: Welche Botschaft überbringt dieses Hormon dem braunen Fettgewebe? Sekretin schaltet im braunen Fettgewebe die Wärmebildung ein, hat also eine vergleichbare Wirkung wie Kältestress auf Mäuse. Das war ein sehr überraschendes Ergebnis, denn warum sollte ein Stoff, der an der Energieversorgung des Körpers beteiligt ist, gleichzeitig einen Teil davon zur Verschwendung (Verbrennung) freigeben? Und jetzt kommt der Clue. Wenn sich durch das Fressen die Temperatur im braunen Fettgewebe um zwei Grad erhöht hatte, verließen die Mäuse den Futtertrog. Das heizende, braune Fettgewebe meldet offenbar dem Gehirn seine Aktivität und das Gehirn reagiert darauf mit – „Fressen einstellen!“. Solche Ergebnisse werfen immer die Frage auf, ist das Gefundene auch auf Menschen übertragbar? Bisherige Ergebnisse scheinen dafür zu sprechen. Denn das Forschungsteam konnte unter Beteiligung von 25 gesunden jungen Männer und Frauen zeigen, dass nach einer Mahlzeit sowohl der Sekretinpegel im Blut als auch die Fettverbrennung im braunen Fettgewebe anstieg.
Lieber Leser, abschließend noch eine Empfehlung für Abnehmwillige. Machen sie an kalten Wintertagen leicht bekleidet ausgedehnte Spaziergänge. Lenken sie dabei ihre Schritte zum Curry54 in Magdeburg. Dort essen sie so lange richtig scharfe Currywürste, bis das braune Fettgewebe zu flüstern beginnt. Währenddessen trinken Sie viel grünen Tee, denn der sorgt dafür, dass das Stresshormon Noradrenalin nicht so schnell müde wird. Bei einem solchen Tagesablauf kann der Erfolg eigentlich nicht ausbleiben.